Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Polizeigewalt.

Er stellt die Verbindung her zwischen jener natürlichen Grund-
lage der Polizeigewalt und den Forderungen des Rechtsstaates, indem
er die natürliche Pflicht in der Form einer den Regeln des Rechts-
staates unterworfenen Willenserklärung zum Ausspruch bringt. Wenn
jene zunächst nur allgemeine Grundsätze giebt, aus welchen die be-
stimmte Pflicht im einzelnen erst zu folgern ist, so giebt ihr nun der
Polizeibefehl diese Bestimmtheit, indem er in obrigkeitlicher Weise
ausspricht, worin sie besteht, wie sie zu erfüllen sei und von wem.

Er thut das aber nicht einfach so, dass er sie nur erkennbar und
unbestreitbar aufstellt, wie sie ist; vielmehr wird zugleich die Pflicht
selbst umgewandelt: an Stelle der natürlichen Unterthanenpflicht
gegenüber dem Gemeinwesen setzt er die Gehorsamspflicht des
Angeredeten gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem Staate, und er-
öffnet damit auf den Fall des Ungehorsams die Zulässigkeit der dafür
geordneten Zwangsmittel und sonstigen Rechtsnachteile.

In diesem zweiten Stück, in der Begründung der Gehorsams-
pflicht, bildet der Polizeibefehl ein Mehr über die natürliche Unter-
thanenpflicht hinaus, einen staatlichen Eingriff in die Freiheit und der
verfassungsmässige Vorbehalt des Gesetzes findet auf ihn Anwendung.

Der oberste Satz, von dem alles ausgeht, ist danach der: kein
Polizeibefehl kann gültig erlassen werden ohne gesetzliche Grund-
lage,
d. h. anders als durch Gesetz oder mit gesetzlicher Ermächti-
gung2.

2 So die herrschende Meinung. Die gesetzliche Ermächtigung könnte vielleicht
für bestimmte Arten von Befehlen durch alte Gewohnheitsrechtssätze ersetzt werden
(Rosin, Pol.Verord. S. 13; vgl. oben § 10 n. 4). Wenn aber G. Meyer, St.R. § 178
Note 1, eine "allgemeine Berechtigung der Polizei, überall gebietend und verbietend
einzuschreiten, wo dies aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit
erforderlich erscheint", durch Gewohnheitsrechtssatz begründen will, so meint er
damit in Wahrheit vielmehr ein Stück Verfassungsrecht des absolutistischen Polizei-
staates, das da erhalten sein soll; wie er denn auch in V.R. I S. 78 einfach auf
die "allgemeine Rechtsstellung" der Polizei sich beruft, aus der sie solche Gewalt
ziehen müsse. Ebenso Zorn in Annalen 1885 S. 309. Diese allgemeine Rechts-
stellung ist aber eben durch die Einführung der neuen Verfassungen und den Vor-
behalt des Gesetzes unter neue Bedingungen gebracht. Zorn in Annalen 1885 S. 309,
Note 1 verweist auf die Kolonialverwaltung, wo man ja ohne gesetzliche Grundlage
und ohne Gewohnheitsrechtssatz auskommen müsse. Allein dort ist die Frage da-
durch gelöst, dass der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, ohne durch verfassungs-
mässige Vorbehalte des Gesetzes beschränkt zu sein. Beschränkungen entstehen
erst, wenn ein Reichsgesetz für einen gewissen Gegenstand ergeht (Laband St.R. I
S. 798): es ist ungefähr der Zustand, wie ihn G. Meyer auch für die Heimat
behauptet.
Die Polizeigewalt.

Er stellt die Verbindung her zwischen jener natürlichen Grund-
lage der Polizeigewalt und den Forderungen des Rechtsstaates, indem
er die natürliche Pflicht in der Form einer den Regeln des Rechts-
staates unterworfenen Willenserklärung zum Ausspruch bringt. Wenn
jene zunächst nur allgemeine Grundsätze giebt, aus welchen die be-
stimmte Pflicht im einzelnen erst zu folgern ist, so giebt ihr nun der
Polizeibefehl diese Bestimmtheit, indem er in obrigkeitlicher Weise
ausspricht, worin sie besteht, wie sie zu erfüllen sei und von wem.

Er thut das aber nicht einfach so, daſs er sie nur erkennbar und
unbestreitbar aufstellt, wie sie ist; vielmehr wird zugleich die Pflicht
selbst umgewandelt: an Stelle der natürlichen Unterthanenpflicht
gegenüber dem Gemeinwesen setzt er die Gehorsamspflicht des
Angeredeten gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem Staate, und er-
öffnet damit auf den Fall des Ungehorsams die Zulässigkeit der dafür
geordneten Zwangsmittel und sonstigen Rechtsnachteile.

In diesem zweiten Stück, in der Begründung der Gehorsams-
pflicht, bildet der Polizeibefehl ein Mehr über die natürliche Unter-
thanenpflicht hinaus, einen staatlichen Eingriff in die Freiheit und der
verfassungsmäſsige Vorbehalt des Gesetzes findet auf ihn Anwendung.

Der oberste Satz, von dem alles ausgeht, ist danach der: kein
Polizeibefehl kann gültig erlassen werden ohne gesetzliche Grund-
lage,
d. h. anders als durch Gesetz oder mit gesetzlicher Ermächti-
gung2.

2 So die herrschende Meinung. Die gesetzliche Ermächtigung könnte vielleicht
für bestimmte Arten von Befehlen durch alte Gewohnheitsrechtssätze ersetzt werden
(Rosin, Pol.Verord. S. 13; vgl. oben § 10 n. 4). Wenn aber G. Meyer, St.R. § 178
Note 1, eine „allgemeine Berechtigung der Polizei, überall gebietend und verbietend
einzuschreiten, wo dies aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit
erforderlich erscheint“, durch Gewohnheitsrechtssatz begründen will, so meint er
damit in Wahrheit vielmehr ein Stück Verfassungsrecht des absolutistischen Polizei-
staates, das da erhalten sein soll; wie er denn auch in V.R. I S. 78 einfach auf
die „allgemeine Rechtsstellung“ der Polizei sich beruft, aus der sie solche Gewalt
ziehen müsse. Ebenso Zorn in Annalen 1885 S. 309. Diese allgemeine Rechts-
stellung ist aber eben durch die Einführung der neuen Verfassungen und den Vor-
behalt des Gesetzes unter neue Bedingungen gebracht. Zorn in Annalen 1885 S. 309,
Note 1 verweist auf die Kolonialverwaltung, wo man ja ohne gesetzliche Grundlage
und ohne Gewohnheitsrechtssatz auskommen müsse. Allein dort ist die Frage da-
durch gelöst, daſs der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, ohne durch verfassungs-
mäſsige Vorbehalte des Gesetzes beschränkt zu sein. Beschränkungen entstehen
erst, wenn ein Reichsgesetz für einen gewissen Gegenstand ergeht (Laband St.R. I
S. 798): es ist ungefähr der Zustand, wie ihn G. Meyer auch für die Heimat
behauptet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0292" n="272"/>
              <fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/>
              <p>Er stellt die Verbindung her zwischen jener natürlichen Grund-<lb/>
lage der Polizeigewalt und den Forderungen des Rechtsstaates, indem<lb/>
er die natürliche Pflicht in der Form einer den Regeln des Rechts-<lb/>
staates unterworfenen Willenserklärung zum Ausspruch bringt. Wenn<lb/>
jene zunächst nur allgemeine Grundsätze giebt, aus welchen die be-<lb/>
stimmte Pflicht im einzelnen erst zu folgern ist, so giebt ihr nun der<lb/>
Polizeibefehl diese <hi rendition="#g">Bestimmtheit,</hi> indem er in obrigkeitlicher Weise<lb/>
ausspricht, worin sie besteht, wie sie zu erfüllen sei und von wem.</p><lb/>
              <p>Er thut das aber nicht einfach so, da&#x017F;s er sie nur erkennbar und<lb/>
unbestreitbar aufstellt, wie sie ist; vielmehr wird zugleich die Pflicht<lb/>
selbst <hi rendition="#g">umgewandelt:</hi> an Stelle der natürlichen Unterthanenpflicht<lb/>
gegenüber dem Gemeinwesen setzt er die <hi rendition="#g">Gehorsamspflicht</hi> des<lb/>
Angeredeten gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem Staate, und er-<lb/>
öffnet damit auf den Fall des Ungehorsams die Zulässigkeit der dafür<lb/>
geordneten Zwangsmittel und sonstigen Rechtsnachteile.</p><lb/>
              <p>In diesem zweiten Stück, in der Begründung der Gehorsams-<lb/>
pflicht, bildet der Polizeibefehl ein Mehr über die natürliche Unter-<lb/>
thanenpflicht hinaus, einen staatlichen Eingriff in die Freiheit und der<lb/>
verfassungsmä&#x017F;sige Vorbehalt des Gesetzes findet auf ihn Anwendung.</p><lb/>
              <p>Der oberste Satz, von dem alles ausgeht, ist danach der: kein<lb/>
Polizeibefehl kann gültig erlassen werden ohne <hi rendition="#g">gesetzliche Grund-<lb/>
lage,</hi> d. h. anders als durch Gesetz oder mit gesetzlicher Ermächti-<lb/>
gung<note place="foot" n="2">So die herrschende Meinung. Die gesetzliche Ermächtigung könnte vielleicht<lb/>
für bestimmte Arten von Befehlen durch alte Gewohnheitsrechtssätze ersetzt werden<lb/>
(<hi rendition="#g">Rosin,</hi> Pol.Verord. S. 13; vgl. oben § 10 n. 4). Wenn aber G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> St.R. § 178<lb/>
Note 1, eine &#x201E;allgemeine Berechtigung der Polizei, überall gebietend und verbietend<lb/>
einzuschreiten, wo dies aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit<lb/>
erforderlich erscheint&#x201C;, durch Gewohnheitsrechtssatz begründen will, so meint er<lb/>
damit in Wahrheit vielmehr ein Stück Verfassungsrecht des absolutistischen Polizei-<lb/>
staates, das da erhalten sein soll; wie er denn auch in V.R. I S. 78 einfach auf<lb/>
die &#x201E;allgemeine Rechtsstellung&#x201C; der Polizei sich beruft, aus der sie solche Gewalt<lb/>
ziehen müsse. Ebenso <hi rendition="#g">Zorn</hi> in Annalen 1885 S. 309. Diese allgemeine Rechts-<lb/>
stellung ist aber eben durch die Einführung der neuen Verfassungen und den Vor-<lb/>
behalt des Gesetzes unter neue Bedingungen gebracht. <hi rendition="#g">Zorn</hi> in Annalen 1885 S. 309,<lb/>
Note 1 verweist auf die Kolonialverwaltung, wo man ja ohne gesetzliche Grundlage<lb/>
und ohne Gewohnheitsrechtssatz auskommen müsse. Allein dort ist die Frage da-<lb/>
durch gelöst, da&#x017F;s der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, ohne durch verfassungs-<lb/>&#x017F;sige Vorbehalte des Gesetzes beschränkt zu sein. Beschränkungen entstehen<lb/>
erst, wenn ein Reichsgesetz für einen gewissen Gegenstand ergeht (Laband St.R. I<lb/>
S. 798): es ist ungefähr der Zustand, wie ihn G. Meyer auch für die Heimat<lb/>
behauptet.</note>.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0292] Die Polizeigewalt. Er stellt die Verbindung her zwischen jener natürlichen Grund- lage der Polizeigewalt und den Forderungen des Rechtsstaates, indem er die natürliche Pflicht in der Form einer den Regeln des Rechts- staates unterworfenen Willenserklärung zum Ausspruch bringt. Wenn jene zunächst nur allgemeine Grundsätze giebt, aus welchen die be- stimmte Pflicht im einzelnen erst zu folgern ist, so giebt ihr nun der Polizeibefehl diese Bestimmtheit, indem er in obrigkeitlicher Weise ausspricht, worin sie besteht, wie sie zu erfüllen sei und von wem. Er thut das aber nicht einfach so, daſs er sie nur erkennbar und unbestreitbar aufstellt, wie sie ist; vielmehr wird zugleich die Pflicht selbst umgewandelt: an Stelle der natürlichen Unterthanenpflicht gegenüber dem Gemeinwesen setzt er die Gehorsamspflicht des Angeredeten gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem Staate, und er- öffnet damit auf den Fall des Ungehorsams die Zulässigkeit der dafür geordneten Zwangsmittel und sonstigen Rechtsnachteile. In diesem zweiten Stück, in der Begründung der Gehorsams- pflicht, bildet der Polizeibefehl ein Mehr über die natürliche Unter- thanenpflicht hinaus, einen staatlichen Eingriff in die Freiheit und der verfassungsmäſsige Vorbehalt des Gesetzes findet auf ihn Anwendung. Der oberste Satz, von dem alles ausgeht, ist danach der: kein Polizeibefehl kann gültig erlassen werden ohne gesetzliche Grund- lage, d. h. anders als durch Gesetz oder mit gesetzlicher Ermächti- gung 2. 2 So die herrschende Meinung. Die gesetzliche Ermächtigung könnte vielleicht für bestimmte Arten von Befehlen durch alte Gewohnheitsrechtssätze ersetzt werden (Rosin, Pol.Verord. S. 13; vgl. oben § 10 n. 4). Wenn aber G. Meyer, St.R. § 178 Note 1, eine „allgemeine Berechtigung der Polizei, überall gebietend und verbietend einzuschreiten, wo dies aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit erforderlich erscheint“, durch Gewohnheitsrechtssatz begründen will, so meint er damit in Wahrheit vielmehr ein Stück Verfassungsrecht des absolutistischen Polizei- staates, das da erhalten sein soll; wie er denn auch in V.R. I S. 78 einfach auf die „allgemeine Rechtsstellung“ der Polizei sich beruft, aus der sie solche Gewalt ziehen müsse. Ebenso Zorn in Annalen 1885 S. 309. Diese allgemeine Rechts- stellung ist aber eben durch die Einführung der neuen Verfassungen und den Vor- behalt des Gesetzes unter neue Bedingungen gebracht. Zorn in Annalen 1885 S. 309, Note 1 verweist auf die Kolonialverwaltung, wo man ja ohne gesetzliche Grundlage und ohne Gewohnheitsrechtssatz auskommen müsse. Allein dort ist die Frage da- durch gelöst, daſs der Kaiser die Staatsgewalt ausübt, ohne durch verfassungs- mäſsige Vorbehalte des Gesetzes beschränkt zu sein. Beschränkungen entstehen erst, wenn ein Reichsgesetz für einen gewissen Gegenstand ergeht (Laband St.R. I S. 798): es ist ungefähr der Zustand, wie ihn G. Meyer auch für die Heimat behauptet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/292
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/292>, abgerufen am 23.12.2024.