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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.

2. Die Ungehorsamsstrafe ist bestimmt, als Zwangsmittel zu
dienen zur Überwindung des Ungehorsams gegen den obrigkeitlichen
Befehl. Sie steht deshalb für diesen Zweck der Behörde zur freien
Verfügung,
im Gegensatz zur Polizeistrafe, und das ganze Ver-
fahren ist von diesem Gedanken beherrscht.

Die Strafe ist nicht rechtssatzmässig ein- für allemal angedroht
auf den Ungehorsam gegen obrigkeitliche Befehle. Die Behörde hat
selbst zu ermessen, ob sie im Einzelfall ihren Befehl mit diesem
Zwangsmittel ausrüsten will11. Dann droht sie durch Verwaltungsakt
die Strafe an für den Fall des Ungehorsams. Sie kann diesen Akt
sofort mit ihrem Befehle verbinden. Sie kann ihn auch in einem
selbständigen Akt unter Hinweis auf jenen und unter Wiederholung
desselben ergehen lassen. Immer ist diese Verfügung kundzugeben
nach den Regeln der Kundgabe des Polizeibefehls. Doch finden sich
gerade für diesen Fall noch am ersten die sonst so selten bestehenden
Formvorschriften; namentlich schriftliche Behändigung ist manchmal
gesetzlich vorgesehen.

Die kundgegebene Androhung begründet für den Betroffenen den
rechtlichen Zustand einer bedingten Strafbarkeit; die Be-
dingung ist beim Verbote das Zuwiderhandeln schlechthin, beim
Gebote das Nichtbefolgen innerhalb einer bestimmten Frist, die
entweder eine natürlich gegebene oder eine ausdrücklich gesteckte ist.

Mit dem Eintritt des Ungehorsams in der einen oder anderen
Gestalt wird die bedingte Strafbarkeit frei; die Behörde ist befugt,
die Strafe zu verhängen. Zum Ungehorsam genügt nicht der
äusserliche Widerspruch mit dem Befehl; wie bei jeder Strafe ist auch
hier eine Schuld vorausgesetzt. Ob diese vorliegt, ist nach den näm-
lichen Grundsätzen zu beurteilen, welche bei der Polizeistrafe gelten:
Entlastungsgründe und Strafausschliessungsgründe kommen hier in der
gleichen Weise in Betracht (oben § 22, III)12.

11 Nur in Württemberg, Ges. v. 12. Aug. 1879, ist die Strafdrohung im ge-
setzlich bestimmten Mass immer stillschweigend mit dem Befehl verbunden. That-
sächlich pflegt man aber doch, wenn beabsichtigt ist, das Zwangsmittel zu ge-
brauchen, eine Mitteilung davon zu machen, also zu drohen: Schicker, Württemb.
Pol.Stf.R. S. 78.
12 Da dieselbe Behörde, welche den Befehl erlässt und die Ungehorsamsstrafe
androht, die Strafe nachher auch verhängt, so kommt hier die Nachprüfung der
Rechtmässigkeit des Befehls, die bei der Verhängung der Polizeistrafe so wichtig
ist (oben § 20, III n. 1), nicht in Betracht. Anders stünde die Sache nach Hess.
Ges. 12. Juni 1874 Art. 80, welches die von der Verwaltungsbehörde angedrohte
Strafe durch das ordentliche Gericht verhängen lässt. Allein hier wird zugleich
ausdrücklich bestimmt, dass das Gericht die Strafe jedesmal auszusprechen hat,
§ 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung.

2. Die Ungehorsamsstrafe ist bestimmt, als Zwangsmittel zu
dienen zur Überwindung des Ungehorsams gegen den obrigkeitlichen
Befehl. Sie steht deshalb für diesen Zweck der Behörde zur freien
Verfügung,
im Gegensatz zur Polizeistrafe, und das ganze Ver-
fahren ist von diesem Gedanken beherrscht.

Die Strafe ist nicht rechtssatzmäſsig ein- für allemal angedroht
auf den Ungehorsam gegen obrigkeitliche Befehle. Die Behörde hat
selbst zu ermessen, ob sie im Einzelfall ihren Befehl mit diesem
Zwangsmittel ausrüsten will11. Dann droht sie durch Verwaltungsakt
die Strafe an für den Fall des Ungehorsams. Sie kann diesen Akt
sofort mit ihrem Befehle verbinden. Sie kann ihn auch in einem
selbständigen Akt unter Hinweis auf jenen und unter Wiederholung
desselben ergehen lassen. Immer ist diese Verfügung kundzugeben
nach den Regeln der Kundgabe des Polizeibefehls. Doch finden sich
gerade für diesen Fall noch am ersten die sonst so selten bestehenden
Formvorschriften; namentlich schriftliche Behändigung ist manchmal
gesetzlich vorgesehen.

Die kundgegebene Androhung begründet für den Betroffenen den
rechtlichen Zustand einer bedingten Strafbarkeit; die Be-
dingung ist beim Verbote das Zuwiderhandeln schlechthin, beim
Gebote das Nichtbefolgen innerhalb einer bestimmten Frist, die
entweder eine natürlich gegebene oder eine ausdrücklich gesteckte ist.

Mit dem Eintritt des Ungehorsams in der einen oder anderen
Gestalt wird die bedingte Strafbarkeit frei; die Behörde ist befugt,
die Strafe zu verhängen. Zum Ungehorsam genügt nicht der
äuſserliche Widerspruch mit dem Befehl; wie bei jeder Strafe ist auch
hier eine Schuld vorausgesetzt. Ob diese vorliegt, ist nach den näm-
lichen Grundsätzen zu beurteilen, welche bei der Polizeistrafe gelten:
Entlastungsgründe und Strafausschlieſsungsgründe kommen hier in der
gleichen Weise in Betracht (oben § 22, III)12.

11 Nur in Württemberg, Ges. v. 12. Aug. 1879, ist die Strafdrohung im ge-
setzlich bestimmten Maſs immer stillschweigend mit dem Befehl verbunden. That-
sächlich pflegt man aber doch, wenn beabsichtigt ist, das Zwangsmittel zu ge-
brauchen, eine Mitteilung davon zu machen, also zu drohen: Schicker, Württemb.
Pol.Stf.R. S. 78.
12 Da dieselbe Behörde, welche den Befehl erläſst und die Ungehorsamsstrafe
androht, die Strafe nachher auch verhängt, so kommt hier die Nachprüfung der
Rechtmäſsigkeit des Befehls, die bei der Verhängung der Polizeistrafe so wichtig
ist (oben § 20, III n. 1), nicht in Betracht. Anders stünde die Sache nach Hess.
Ges. 12. Juni 1874 Art. 80, welches die von der Verwaltungsbehörde angedrohte
Strafe durch das ordentliche Gericht verhängen läſst. Allein hier wird zugleich
ausdrücklich bestimmt, daſs das Gericht die Strafe jedesmal auszusprechen hat,
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[331/0351] § 23. Polizeiliche Zwangsvollstreckung. 2. Die Ungehorsamsstrafe ist bestimmt, als Zwangsmittel zu dienen zur Überwindung des Ungehorsams gegen den obrigkeitlichen Befehl. Sie steht deshalb für diesen Zweck der Behörde zur freien Verfügung, im Gegensatz zur Polizeistrafe, und das ganze Ver- fahren ist von diesem Gedanken beherrscht. Die Strafe ist nicht rechtssatzmäſsig ein- für allemal angedroht auf den Ungehorsam gegen obrigkeitliche Befehle. Die Behörde hat selbst zu ermessen, ob sie im Einzelfall ihren Befehl mit diesem Zwangsmittel ausrüsten will 11. Dann droht sie durch Verwaltungsakt die Strafe an für den Fall des Ungehorsams. Sie kann diesen Akt sofort mit ihrem Befehle verbinden. Sie kann ihn auch in einem selbständigen Akt unter Hinweis auf jenen und unter Wiederholung desselben ergehen lassen. Immer ist diese Verfügung kundzugeben nach den Regeln der Kundgabe des Polizeibefehls. Doch finden sich gerade für diesen Fall noch am ersten die sonst so selten bestehenden Formvorschriften; namentlich schriftliche Behändigung ist manchmal gesetzlich vorgesehen. Die kundgegebene Androhung begründet für den Betroffenen den rechtlichen Zustand einer bedingten Strafbarkeit; die Be- dingung ist beim Verbote das Zuwiderhandeln schlechthin, beim Gebote das Nichtbefolgen innerhalb einer bestimmten Frist, die entweder eine natürlich gegebene oder eine ausdrücklich gesteckte ist. Mit dem Eintritt des Ungehorsams in der einen oder anderen Gestalt wird die bedingte Strafbarkeit frei; die Behörde ist befugt, die Strafe zu verhängen. Zum Ungehorsam genügt nicht der äuſserliche Widerspruch mit dem Befehl; wie bei jeder Strafe ist auch hier eine Schuld vorausgesetzt. Ob diese vorliegt, ist nach den näm- lichen Grundsätzen zu beurteilen, welche bei der Polizeistrafe gelten: Entlastungsgründe und Strafausschlieſsungsgründe kommen hier in der gleichen Weise in Betracht (oben § 22, III) 12. 11 Nur in Württemberg, Ges. v. 12. Aug. 1879, ist die Strafdrohung im ge- setzlich bestimmten Maſs immer stillschweigend mit dem Befehl verbunden. That- sächlich pflegt man aber doch, wenn beabsichtigt ist, das Zwangsmittel zu ge- brauchen, eine Mitteilung davon zu machen, also zu drohen: Schicker, Württemb. Pol.Stf.R. S. 78. 12 Da dieselbe Behörde, welche den Befehl erläſst und die Ungehorsamsstrafe androht, die Strafe nachher auch verhängt, so kommt hier die Nachprüfung der Rechtmäſsigkeit des Befehls, die bei der Verhängung der Polizeistrafe so wichtig ist (oben § 20, III n. 1), nicht in Betracht. Anders stünde die Sache nach Hess. Ges. 12. Juni 1874 Art. 80, welches die von der Verwaltungsbehörde angedrohte Strafe durch das ordentliche Gericht verhängen läſst. Allein hier wird zugleich ausdrücklich bestimmt, daſs das Gericht die Strafe jedesmal auszusprechen hat,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/351>, abgerufen am 23.12.2024.