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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 24. Unmittelbarer Zwang.
durch die Art des zu schützenden Gutes und des abzuwehrenden
Angriffes bestimmt.

Die Verwaltung wirft ohne weiteres alles bei Seite, was störend
in ihre Lebensäusserungen eingreift. Alle dazu erforderliche Gewalt-
anwendung an Personen und Sachen ist durch diesen Zweck allein
schon gerechtfertigt.

Ein Abwägen zwischen dem Interesse des Staates an der Un-
gestörtheit seines Besitzes und Unternehmens und dem Nachteil,
welcher dem Einzelnen durch die gewaltsame Beseitigung der Störung
zugeht, kann dabei nötig werden gemäss dem Grundsatz der Ver-
hältnismässigkeit der Polizeigewalt (oben § 19, II n. 2). Das gilt
namentlich von der Wahl der Mittel der Gewalt. Was mit ge-
ringerer Schädigung erreicht werden kann, darf, -- von besonderen
gesetzlichen Bestimmungen, namentlich über Verhaftung und Waffen-
gebrauch abgesehen, -- nicht sofort mit härteren Schlägen gefasst
werden. Dem Ermessen ist ein weiter Spielraum gelassen; aber es
giebt überall einen Punkt, wo die schärfere nachteiligere Gewalt-
anwendung als überflüssig klar erkennbar ist; da ist sie auch Unrecht
und macht verantwortlich9.

Die Gewaltanwendung hört von selbst auf, berechtigt zu
sein, sobald der Zweck, der sie rechtfertigt, erreicht ist. Das ist dann
der Fall, wenn der Angriff vollständig überwunden und beseitigt ist.
Auch in seinen Wirkungen. Die Selbstverteidigung ist nicht darauf
beschränkt, ihn noch in der Bewegung zu fassen. Die strafrechtliche
Notwehr "hört auf mit dem endgültigen Gelingen des rechtswidrigen
Angriffs"; die polizeiliche Selbstverteidigung erstreckt sich auch noch
auf die durch das Gelingen des Angriffs geschaffenen Zustände, so-
fern sie als fortdauernde Störung sich darstellen. Gewalt findet z. B.
nicht bloss statt gegen denjenigen, der seine Sache als Verkehrs-
hindernis aufstellen will, sondern auch noch, nachdem es ihm gelungen
ist, wird nachträglich die vorgefundene Sache von der Strasse ge-
schafft oder vernichtet werden können. Desgleichen kann eine Be-
hörde ihre Akten und sonstige wesentliche Dienstsachen nicht bloss
gegen Wegnahme verteidigen, sondern auch gewaltsam abholen lassen,
wenn sie ihr selbst von einem gutgläubigen Dritten ohne Recht vor-
enthalten werden. Diese Verteidigung durch Wiederherstellung nimmt
selbst die äussere Gestalt des Angriffs an, aber sie wird nichts wesent-

9 Der Aedile, der in 1. 12 D. 18,6 die auf der Strasse stehengebliebenen
Gerätschaften einfach zerschlagen lässt, beginge heutzutage eine Gewaltüber-
schreitung.

§ 24. Unmittelbarer Zwang.
durch die Art des zu schützenden Gutes und des abzuwehrenden
Angriffes bestimmt.

Die Verwaltung wirft ohne weiteres alles bei Seite, was störend
in ihre Lebensäuſserungen eingreift. Alle dazu erforderliche Gewalt-
anwendung an Personen und Sachen ist durch diesen Zweck allein
schon gerechtfertigt.

Ein Abwägen zwischen dem Interesse des Staates an der Un-
gestörtheit seines Besitzes und Unternehmens und dem Nachteil,
welcher dem Einzelnen durch die gewaltsame Beseitigung der Störung
zugeht, kann dabei nötig werden gemäſs dem Grundsatz der Ver-
hältnismäſsigkeit der Polizeigewalt (oben § 19, II n. 2). Das gilt
namentlich von der Wahl der Mittel der Gewalt. Was mit ge-
ringerer Schädigung erreicht werden kann, darf, — von besonderen
gesetzlichen Bestimmungen, namentlich über Verhaftung und Waffen-
gebrauch abgesehen, — nicht sofort mit härteren Schlägen gefaſst
werden. Dem Ermessen ist ein weiter Spielraum gelassen; aber es
giebt überall einen Punkt, wo die schärfere nachteiligere Gewalt-
anwendung als überflüssig klar erkennbar ist; da ist sie auch Unrecht
und macht verantwortlich9.

Die Gewaltanwendung hört von selbst auf, berechtigt zu
sein, sobald der Zweck, der sie rechtfertigt, erreicht ist. Das ist dann
der Fall, wenn der Angriff vollständig überwunden und beseitigt ist.
Auch in seinen Wirkungen. Die Selbstverteidigung ist nicht darauf
beschränkt, ihn noch in der Bewegung zu fassen. Die strafrechtliche
Notwehr „hört auf mit dem endgültigen Gelingen des rechtswidrigen
Angriffs“; die polizeiliche Selbstverteidigung erstreckt sich auch noch
auf die durch das Gelingen des Angriffs geschaffenen Zustände, so-
fern sie als fortdauernde Störung sich darstellen. Gewalt findet z. B.
nicht bloſs statt gegen denjenigen, der seine Sache als Verkehrs-
hindernis aufstellen will, sondern auch noch, nachdem es ihm gelungen
ist, wird nachträglich die vorgefundene Sache von der Straſse ge-
schafft oder vernichtet werden können. Desgleichen kann eine Be-
hörde ihre Akten und sonstige wesentliche Dienstsachen nicht bloſs
gegen Wegnahme verteidigen, sondern auch gewaltsam abholen lassen,
wenn sie ihr selbst von einem gutgläubigen Dritten ohne Recht vor-
enthalten werden. Diese Verteidigung durch Wiederherstellung nimmt
selbst die äuſsere Gestalt des Angriffs an, aber sie wird nichts wesent-

9 Der Aedile, der in 1. 12 D. 18,6 die auf der Straſse stehengebliebenen
Gerätschaften einfach zerschlagen läſst, beginge heutzutage eine Gewaltüber-
schreitung.
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[351/0371] § 24. Unmittelbarer Zwang. durch die Art des zu schützenden Gutes und des abzuwehrenden Angriffes bestimmt. Die Verwaltung wirft ohne weiteres alles bei Seite, was störend in ihre Lebensäuſserungen eingreift. Alle dazu erforderliche Gewalt- anwendung an Personen und Sachen ist durch diesen Zweck allein schon gerechtfertigt. Ein Abwägen zwischen dem Interesse des Staates an der Un- gestörtheit seines Besitzes und Unternehmens und dem Nachteil, welcher dem Einzelnen durch die gewaltsame Beseitigung der Störung zugeht, kann dabei nötig werden gemäſs dem Grundsatz der Ver- hältnismäſsigkeit der Polizeigewalt (oben § 19, II n. 2). Das gilt namentlich von der Wahl der Mittel der Gewalt. Was mit ge- ringerer Schädigung erreicht werden kann, darf, — von besonderen gesetzlichen Bestimmungen, namentlich über Verhaftung und Waffen- gebrauch abgesehen, — nicht sofort mit härteren Schlägen gefaſst werden. Dem Ermessen ist ein weiter Spielraum gelassen; aber es giebt überall einen Punkt, wo die schärfere nachteiligere Gewalt- anwendung als überflüssig klar erkennbar ist; da ist sie auch Unrecht und macht verantwortlich 9. Die Gewaltanwendung hört von selbst auf, berechtigt zu sein, sobald der Zweck, der sie rechtfertigt, erreicht ist. Das ist dann der Fall, wenn der Angriff vollständig überwunden und beseitigt ist. Auch in seinen Wirkungen. Die Selbstverteidigung ist nicht darauf beschränkt, ihn noch in der Bewegung zu fassen. Die strafrechtliche Notwehr „hört auf mit dem endgültigen Gelingen des rechtswidrigen Angriffs“; die polizeiliche Selbstverteidigung erstreckt sich auch noch auf die durch das Gelingen des Angriffs geschaffenen Zustände, so- fern sie als fortdauernde Störung sich darstellen. Gewalt findet z. B. nicht bloſs statt gegen denjenigen, der seine Sache als Verkehrs- hindernis aufstellen will, sondern auch noch, nachdem es ihm gelungen ist, wird nachträglich die vorgefundene Sache von der Straſse ge- schafft oder vernichtet werden können. Desgleichen kann eine Be- hörde ihre Akten und sonstige wesentliche Dienstsachen nicht bloſs gegen Wegnahme verteidigen, sondern auch gewaltsam abholen lassen, wenn sie ihr selbst von einem gutgläubigen Dritten ohne Recht vor- enthalten werden. Diese Verteidigung durch Wiederherstellung nimmt selbst die äuſsere Gestalt des Angriffs an, aber sie wird nichts wesent- 9 Der Aedile, der in 1. 12 D. 18,6 die auf der Straſse stehengebliebenen Gerätschaften einfach zerschlagen läſst, beginge heutzutage eine Gewaltüber- schreitung.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/371>, abgerufen am 23.12.2024.