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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 31. Die Finanzstrafe.

Das Polizeidelikt verlangt, dass der objektive Thatbestand zurück-
zuführen sei auf eine Verletzung der polizeilichen Pflicht, Nicht-
erfüllung des für diesen Zweck herausgegriffenen und ausdrücklich
formulierten Stückes der allgemeinen Verbindlichkeit, die gute Ord-
nung nicht zu stören (vgl. oben § 22, I n. 3).

Die Finanzgewalt wählt nach Zweckmässigkeitserwägungen die
aufzulegenden Lasten, umgiebt die Staatseinnahmen nach ihrer Schutz-
bedürftigkeit mit Befehlen und Strafdrohungen. Dem Einzelnen
gegenüber ist das willkürliche Satzung, die keine Erläuterung und
Auslegung erhält aus vorgefundenen Beziehungen. Das strafrechtliche
Verhältnis ist von Grund aus Neuschöpfung des geäusserten Staats-
willens8.

Welche Anstrengungen dem Einzelnen dabei zugemutet werden,
damit er der Strafbarkeit entgehe, das hängt ganz von dem an-
genommenen Masse der Schutzbedürftigkeit des jeweils zu wahrenden
Finanzinteresses ab. Es kann genügen, dass bloss der böse Wille ver-
mieden werde; dann wird nur das wissentliche absichtliche Vergehen
verpönt. Wenn gesagt ist: wer dies oder jenes thut oder unterlässt,
wird bestraft, so ist verlangt, dass alles geschehe, um das Thun oder
Unterlassen zu stande zu bringen. Wenn es lautet: falls dies oder
jenes eintritt, wird der oder jener gestraft, so bedeutet das die straf-
rechtliche Zumutung an denselben, dass er den Erfolg vermeide oder
verhindere und sich dazu fähig halte. Auf die Gesinnung kommt es
dann so wenig an, wie bei den entsprechenden Erscheinungen des
Polizeidelikts (oben § 22, III).

Es ist aber für das Finanzdelikt so unrichtig, wie für das Polizeidelikt,
zu sagen: es sehe ab von einem Verschulden, sei Formalvergehen
in diesem Sinne. Auch in den letztgenannten Fällen ist immer ein
Verschulden vorhanden, ein sittlich recht leicht wiegendes und des-
halb für das gemeine Strafrecht gar nicht wahrnehmbares, aber ein
finanzrechtliches Verschulden9.

Die allgemeinen Strafausschliessungsgründe wirken deshalb auch
hier, nur, was den Irrtum anlangt, selbstverständlich wieder mit Vor-

8 Merkel, Krim. Abh. II S. 110.
9 Loebe, Zollstrafrecht S. 33; R.G. (Stf.S.) 9./10. Juni 1884. Daher ist ins-
besondere eine Gesellschaft, eine juristische Person als solche auch finanzrechtlich
nicht strafbar: sie ist eines Verschuldens nicht fähig, folglich auch des Finanz-
deliktes nicht, weil eben auch dieses ein Verschulden voraussetzt; R.G. (Stf.S.)
12. Juni 1886: die Strafe trifft in solchem Fall die Vorstände persönlich, während
die Stempelpflicht, deren Nichterfüllung die Strafbarkeit begründet, der Gesellschaft
oblag.
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§ 31. Die Finanzstrafe.

Das Polizeidelikt verlangt, daſs der objektive Thatbestand zurück-
zuführen sei auf eine Verletzung der polizeilichen Pflicht, Nicht-
erfüllung des für diesen Zweck herausgegriffenen und ausdrücklich
formulierten Stückes der allgemeinen Verbindlichkeit, die gute Ord-
nung nicht zu stören (vgl. oben § 22, I n. 3).

Die Finanzgewalt wählt nach Zweckmäſsigkeitserwägungen die
aufzulegenden Lasten, umgiebt die Staatseinnahmen nach ihrer Schutz-
bedürftigkeit mit Befehlen und Strafdrohungen. Dem Einzelnen
gegenüber ist das willkürliche Satzung, die keine Erläuterung und
Auslegung erhält aus vorgefundenen Beziehungen. Das strafrechtliche
Verhältnis ist von Grund aus Neuschöpfung des geäuſserten Staats-
willens8.

Welche Anstrengungen dem Einzelnen dabei zugemutet werden,
damit er der Strafbarkeit entgehe, das hängt ganz von dem an-
genommenen Maſse der Schutzbedürftigkeit des jeweils zu wahrenden
Finanzinteresses ab. Es kann genügen, daſs bloſs der böse Wille ver-
mieden werde; dann wird nur das wissentliche absichtliche Vergehen
verpönt. Wenn gesagt ist: wer dies oder jenes thut oder unterläſst,
wird bestraft, so ist verlangt, daſs alles geschehe, um das Thun oder
Unterlassen zu stande zu bringen. Wenn es lautet: falls dies oder
jenes eintritt, wird der oder jener gestraft, so bedeutet das die straf-
rechtliche Zumutung an denselben, daſs er den Erfolg vermeide oder
verhindere und sich dazu fähig halte. Auf die Gesinnung kommt es
dann so wenig an, wie bei den entsprechenden Erscheinungen des
Polizeidelikts (oben § 22, III).

Es ist aber für das Finanzdelikt so unrichtig, wie für das Polizeidelikt,
zu sagen: es sehe ab von einem Verschulden, sei Formalvergehen
in diesem Sinne. Auch in den letztgenannten Fällen ist immer ein
Verschulden vorhanden, ein sittlich recht leicht wiegendes und des-
halb für das gemeine Strafrecht gar nicht wahrnehmbares, aber ein
finanzrechtliches Verschulden9.

Die allgemeinen Strafausschlieſsungsgründe wirken deshalb auch
hier, nur, was den Irrtum anlangt, selbstverständlich wieder mit Vor-

8 Merkel, Krim. Abh. II S. 110.
9 Loebe, Zollstrafrecht S. 33; R.G. (Stf.S.) 9./10. Juni 1884. Daher ist ins-
besondere eine Gesellschaft, eine juristische Person als solche auch finanzrechtlich
nicht strafbar: sie ist eines Verschuldens nicht fähig, folglich auch des Finanz-
deliktes nicht, weil eben auch dieses ein Verschulden voraussetzt; R.G. (Stf.S.)
12. Juni 1886: die Strafe trifft in solchem Fall die Vorstände persönlich, während
die Stempelpflicht, deren Nichterfüllung die Strafbarkeit begründet, der Gesellschaft
oblag.
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[451/0471] § 31. Die Finanzstrafe. Das Polizeidelikt verlangt, daſs der objektive Thatbestand zurück- zuführen sei auf eine Verletzung der polizeilichen Pflicht, Nicht- erfüllung des für diesen Zweck herausgegriffenen und ausdrücklich formulierten Stückes der allgemeinen Verbindlichkeit, die gute Ord- nung nicht zu stören (vgl. oben § 22, I n. 3). Die Finanzgewalt wählt nach Zweckmäſsigkeitserwägungen die aufzulegenden Lasten, umgiebt die Staatseinnahmen nach ihrer Schutz- bedürftigkeit mit Befehlen und Strafdrohungen. Dem Einzelnen gegenüber ist das willkürliche Satzung, die keine Erläuterung und Auslegung erhält aus vorgefundenen Beziehungen. Das strafrechtliche Verhältnis ist von Grund aus Neuschöpfung des geäuſserten Staats- willens 8. Welche Anstrengungen dem Einzelnen dabei zugemutet werden, damit er der Strafbarkeit entgehe, das hängt ganz von dem an- genommenen Maſse der Schutzbedürftigkeit des jeweils zu wahrenden Finanzinteresses ab. Es kann genügen, daſs bloſs der böse Wille ver- mieden werde; dann wird nur das wissentliche absichtliche Vergehen verpönt. Wenn gesagt ist: wer dies oder jenes thut oder unterläſst, wird bestraft, so ist verlangt, daſs alles geschehe, um das Thun oder Unterlassen zu stande zu bringen. Wenn es lautet: falls dies oder jenes eintritt, wird der oder jener gestraft, so bedeutet das die straf- rechtliche Zumutung an denselben, daſs er den Erfolg vermeide oder verhindere und sich dazu fähig halte. Auf die Gesinnung kommt es dann so wenig an, wie bei den entsprechenden Erscheinungen des Polizeidelikts (oben § 22, III). Es ist aber für das Finanzdelikt so unrichtig, wie für das Polizeidelikt, zu sagen: es sehe ab von einem Verschulden, sei Formalvergehen in diesem Sinne. Auch in den letztgenannten Fällen ist immer ein Verschulden vorhanden, ein sittlich recht leicht wiegendes und des- halb für das gemeine Strafrecht gar nicht wahrnehmbares, aber ein finanzrechtliches Verschulden 9. Die allgemeinen Strafausschlieſsungsgründe wirken deshalb auch hier, nur, was den Irrtum anlangt, selbstverständlich wieder mit Vor- 8 Merkel, Krim. Abh. II S. 110. 9 Loebe, Zollstrafrecht S. 33; R.G. (Stf.S.) 9./10. Juni 1884. Daher ist ins- besondere eine Gesellschaft, eine juristische Person als solche auch finanzrechtlich nicht strafbar: sie ist eines Verschuldens nicht fähig, folglich auch des Finanz- deliktes nicht, weil eben auch dieses ein Verschulden voraussetzt; R.G. (Stf.S.) 12. Juni 1886: die Strafe trifft in solchem Fall die Vorstände persönlich, während die Stempelpflicht, deren Nichterfüllung die Strafbarkeit begründet, der Gesellschaft oblag. 29*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/471>, abgerufen am 23.12.2024.