Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 31. Die Finanzstrafe. In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage sucht man jetzt In der fehlenden Angriffsnatur der Täuschung kann allerdings Da hätten wir also wieder die Frage. Binding, Stf.R. I S. 294. 295, will in der Erwähnung der Verletzungen der Presspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll- u. s. w. Gesetze eine reichsgesetzliche Fiktion sehen, dass diese Gesetze selbständige Materien beträfen. Wenn aber das E.G. von besonderen Vorschriften spricht, die eigene Materien beträfen, und dann "namentlich" besondere Beispiele anführt, so kann es damit unmöglich eine Fiktion einleiten wollen. -- Schwaiger in Gerichtssaal 49 S. 447 will trotz E.G. § 2 Abs. 2 das allgemeine Betrugsrecht auch für das be- sondere Gebiet der Steuer-, Zollgesetze u. s. w. gelten lassen, soweit nicht das Specialgesetz dessen Anwendung ausdrücklich ausschliesst. Dazu bemerken wir, dass dazu selbstverständlich nur ein Reichsgesetz befähigt wäre, und sodann, dass diese Ausschliessung nicht notwendig eine ausdrückliche sein muss. Sie dürfte z. B. genügend ausgesprochen sein im Texte des Postges. § 27 Ziff. 3. 23 Die Führung hat Merkel, Krim. Abhandl. I S. 93, II S. 108 ff. Ebenso Schütze, Stf.R. S. 472; Haelschner, Stf.R. II S. 257. Bezüglich der Angriffs- natur der Täuschung insbesondere Merkel, Krim.Abhandl. II S. 136: "Das Ver- halten des Betrügers muss sich als ein aktives darstellen". Derselbe Gedanke findet sich in R.G. 5. Juli 1886 ausgedrückt: "ein aktives Irreführen", "besondere Veranstaltungen zur Täuschung" sind erforderlich. 24 R.G. 26. Juni 1880 (oben Note 21) hatte geglaubt, mit der formellen Aus-
scheidung durchzukommen, wonach "diese Materie dem Steuergesetze gehöre", und, "von den Versuchen der Theorie, eine Scheidung von Defraudation und Be- trug herzustellen, könne man absehen". Bald darauf entschieden die vereinigten § 31. Die Finanzstrafe. In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage sucht man jetzt In der fehlenden Angriffsnatur der Täuschung kann allerdings Da hätten wir also wieder die Frage. Binding, Stf.R. I S. 294. 295, will in der Erwähnung der Verletzungen der Preſspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll- u. s. w. Gesetze eine reichsgesetzliche Fiktion sehen, daſs diese Gesetze selbständige Materien beträfen. Wenn aber das E.G. von besonderen Vorschriften spricht, die eigene Materien beträfen, und dann „namentlich“ besondere Beispiele anführt, so kann es damit unmöglich eine Fiktion einleiten wollen. — Schwaiger in Gerichtssaal 49 S. 447 will trotz E.G. § 2 Abs. 2 das allgemeine Betrugsrecht auch für das be- sondere Gebiet der Steuer-, Zollgesetze u. s. w. gelten lassen, soweit nicht das Specialgesetz dessen Anwendung ausdrücklich ausschlieſst. Dazu bemerken wir, daſs dazu selbstverständlich nur ein Reichsgesetz befähigt wäre, und sodann, daſs diese Ausschlieſsung nicht notwendig eine ausdrückliche sein muſs. Sie dürfte z. B. genügend ausgesprochen sein im Texte des Postges. § 27 Ziff. 3. 23 Die Führung hat Merkel, Krim. Abhandl. I S. 93, II S. 108 ff. Ebenso Schütze, Stf.R. S. 472; Haelschner, Stf.R. II S. 257. Bezüglich der Angriffs- natur der Täuschung insbesondere Merkel, Krim.Abhandl. II S. 136: „Das Ver- halten des Betrügers muſs sich als ein aktives darstellen“. Derselbe Gedanke findet sich in R.G. 5. Juli 1886 ausgedrückt: „ein aktives Irreführen“, „besondere Veranstaltungen zur Täuschung“ sind erforderlich. 24 R.G. 26. Juni 1880 (oben Note 21) hatte geglaubt, mit der formellen Aus-
scheidung durchzukommen, wonach „diese Materie dem Steuergesetze gehöre“, und, „von den Versuchen der Theorie, eine Scheidung von Defraudation und Be- trug herzustellen, könne man absehen“. Bald darauf entschieden die vereinigten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0479" n="459"/> <fw place="top" type="header">§ 31. Die Finanzstrafe.</fw><lb/> <p>In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage sucht man jetzt<lb/> die Lösung statt in solchen äuſserlichen Gründen vielmehr in der<lb/> rechtlichen Natur des Betrugs selbst, von der ein wesentliches Stück<lb/> an jenem Thatbestand, den die Hinterziehung bietet, nicht erfüllt<lb/> wäre. Der Betrug, sagt man, ist ein Angriff auf das fremde Ver-<lb/> mögen. Die Täuschung, die seinen Kern ausmacht, kann also nicht<lb/> bestehen in einem bloſsen Sich-verteidigen, im Schweigen und Zusehen<lb/> und Fürsich-bleiben. Sie setzt immer voraus ein Übergreifen in den<lb/> Machtkreis des Anderen, der bestimmt, in Bewegung gesetzt oder von<lb/> der Bewegung abgehalten werden soll. Der Betrug ist ein Kommissiv-<lb/> delikt. Dieses Merkmal nun will man der Hinterziehung absprechen.<lb/> Sie ist bloſs Abwehr, geht über das negative Ergebnis nicht hinaus.<lb/> Der Zolldefraudant, der die Ware am Zollhaus heimlich vorbeiführt<lb/> oder sie an sich verbirgt, ihren Besitz verleugnet, würde sachlich<lb/> doch nur in verschiedener Form das nämliche thun, wie jeder<lb/> Schuldner, der sich unter Ausflüchten der Zahlung entzieht, ohne<lb/> dadurch aus seinem eignen Machtkreise herauszutreten. Die Hinter-<lb/> ziehung wäre demnach im Gegensatze zum Betrug ein <hi rendition="#g">Ommissiv-<lb/> delikt</hi><note place="foot" n="23">Die Führung hat <hi rendition="#g">Merkel,</hi> Krim. Abhandl. I S. 93, II S. 108 ff. Ebenso<lb/><hi rendition="#g">Schütze,</hi> Stf.R. S. 472; <hi rendition="#g">Haelschner,</hi> Stf.R. II S. 257. Bezüglich der Angriffs-<lb/> natur der Täuschung insbesondere <hi rendition="#g">Merkel,</hi> Krim.Abhandl. II S. 136: „Das Ver-<lb/> halten des Betrügers muſs sich als ein aktives darstellen“. Derselbe Gedanke<lb/> findet sich in R.G. 5. Juli 1886 ausgedrückt: „ein aktives Irreführen“, „besondere<lb/> Veranstaltungen zur Täuschung“ sind erforderlich.</note>.</p><lb/> <p>In der fehlenden Angriffsnatur der Täuschung kann allerdings<lb/> die Besonderheit der Hinterziehung allein zu suchen sein<note xml:id="seg2pn_98_1" next="#seg2pn_98_2" place="foot" n="24">R.G. 26. Juni 1880 (oben Note 21) hatte geglaubt, mit der formellen Aus-<lb/> scheidung durchzukommen, wonach „diese Materie dem Steuergesetze gehöre“,<lb/> und, „von den Versuchen der Theorie, eine Scheidung von Defraudation und Be-<lb/> trug herzustellen, könne man absehen“. Bald darauf entschieden die vereinigten</note>. Allein<lb/><note xml:id="seg2pn_97_2" prev="#seg2pn_97_1" place="foot" n="22">Da hätten wir also wieder die Frage. <hi rendition="#g">Binding,</hi> Stf.R. I S. 294. 295, will in der<lb/> Erwähnung der Verletzungen der Preſspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll- u. s. w. Gesetze<lb/> eine reichsgesetzliche <hi rendition="#g">Fiktion</hi> sehen, daſs diese Gesetze selbständige Materien<lb/> beträfen. Wenn aber das E.G. von besonderen Vorschriften spricht, die eigene<lb/> Materien beträfen, und dann „namentlich“ besondere Beispiele anführt, so kann es<lb/> damit unmöglich eine Fiktion einleiten wollen. — <hi rendition="#g">Schwaiger</hi> in Gerichtssaal 49<lb/> S. 447 will trotz E.G. § 2 Abs. 2 das allgemeine Betrugsrecht auch für das be-<lb/> sondere Gebiet der Steuer-, Zollgesetze u. s. w. gelten lassen, soweit nicht das<lb/> Specialgesetz dessen Anwendung ausdrücklich ausschlieſst. Dazu bemerken wir,<lb/> daſs dazu selbstverständlich nur ein Reichsgesetz befähigt wäre, und sodann, daſs<lb/> diese Ausschlieſsung nicht notwendig eine ausdrückliche sein muſs. Sie dürfte<lb/> z. B. genügend ausgesprochen sein im Texte des Postges. § 27 Ziff. 3.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [459/0479]
§ 31. Die Finanzstrafe.
In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage sucht man jetzt
die Lösung statt in solchen äuſserlichen Gründen vielmehr in der
rechtlichen Natur des Betrugs selbst, von der ein wesentliches Stück
an jenem Thatbestand, den die Hinterziehung bietet, nicht erfüllt
wäre. Der Betrug, sagt man, ist ein Angriff auf das fremde Ver-
mögen. Die Täuschung, die seinen Kern ausmacht, kann also nicht
bestehen in einem bloſsen Sich-verteidigen, im Schweigen und Zusehen
und Fürsich-bleiben. Sie setzt immer voraus ein Übergreifen in den
Machtkreis des Anderen, der bestimmt, in Bewegung gesetzt oder von
der Bewegung abgehalten werden soll. Der Betrug ist ein Kommissiv-
delikt. Dieses Merkmal nun will man der Hinterziehung absprechen.
Sie ist bloſs Abwehr, geht über das negative Ergebnis nicht hinaus.
Der Zolldefraudant, der die Ware am Zollhaus heimlich vorbeiführt
oder sie an sich verbirgt, ihren Besitz verleugnet, würde sachlich
doch nur in verschiedener Form das nämliche thun, wie jeder
Schuldner, der sich unter Ausflüchten der Zahlung entzieht, ohne
dadurch aus seinem eignen Machtkreise herauszutreten. Die Hinter-
ziehung wäre demnach im Gegensatze zum Betrug ein Ommissiv-
delikt 23.
In der fehlenden Angriffsnatur der Täuschung kann allerdings
die Besonderheit der Hinterziehung allein zu suchen sein 24. Allein
22
23 Die Führung hat Merkel, Krim. Abhandl. I S. 93, II S. 108 ff. Ebenso
Schütze, Stf.R. S. 472; Haelschner, Stf.R. II S. 257. Bezüglich der Angriffs-
natur der Täuschung insbesondere Merkel, Krim.Abhandl. II S. 136: „Das Ver-
halten des Betrügers muſs sich als ein aktives darstellen“. Derselbe Gedanke
findet sich in R.G. 5. Juli 1886 ausgedrückt: „ein aktives Irreführen“, „besondere
Veranstaltungen zur Täuschung“ sind erforderlich.
24 R.G. 26. Juni 1880 (oben Note 21) hatte geglaubt, mit der formellen Aus-
scheidung durchzukommen, wonach „diese Materie dem Steuergesetze gehöre“,
und, „von den Versuchen der Theorie, eine Scheidung von Defraudation und Be-
trug herzustellen, könne man absehen“. Bald darauf entschieden die vereinigten
22 Da hätten wir also wieder die Frage. Binding, Stf.R. I S. 294. 295, will in der
Erwähnung der Verletzungen der Preſspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll- u. s. w. Gesetze
eine reichsgesetzliche Fiktion sehen, daſs diese Gesetze selbständige Materien
beträfen. Wenn aber das E.G. von besonderen Vorschriften spricht, die eigene
Materien beträfen, und dann „namentlich“ besondere Beispiele anführt, so kann es
damit unmöglich eine Fiktion einleiten wollen. — Schwaiger in Gerichtssaal 49
S. 447 will trotz E.G. § 2 Abs. 2 das allgemeine Betrugsrecht auch für das be-
sondere Gebiet der Steuer-, Zollgesetze u. s. w. gelten lassen, soweit nicht das
Specialgesetz dessen Anwendung ausdrücklich ausschlieſst. Dazu bemerken wir,
daſs dazu selbstverständlich nur ein Reichsgesetz befähigt wäre, und sodann, daſs
diese Ausschlieſsung nicht notwendig eine ausdrückliche sein muſs. Sie dürfte
z. B. genügend ausgesprochen sein im Texte des Postges. § 27 Ziff. 3.
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