Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.Geschichtliche Entwicklungsstufen. Gesetz steht über aller sonstiger Staatsthätigkeit gleichmässig7. Dem-gemäss verschwindet auch sehr bald aus der Rechtslehre der falsche Schein einer einfachen Dreiteilung der Gewalten. Neben dem Gesetz erkennt man nur eine wahre Gewalt, die ihrerseits unter dem Ge- setz steht, die vollziehende Gewalt. Diese spaltet sich ihrer- seits wieder in zwei Zweige; sie wird thätig einerseits als Justiz, andererseits als Verwaltung8. Nach den Überlieferungen der Parlamente wäre es gegeben gewesen, dass man die Justiz ihrer- seits nunmehr über die Verwaltung stellte, um ihr gegenüber das Gesetz im Einzelfall durch Urteilsspruch zur Geltung zu bringen, die Verwaltung also auf die einfache Geschäftsbesorgung, das thatsächliche Handeln namens des Staates beschränkte. Man hatte gute Gründe, das nicht zu thun, vielmehr die Unabhängigkeit der beiden Thätig- keitszweige von einander, namentlich die der Verwaltung gegenüber der Justiz, mit aller Schärfe durchzuführen9. Man drückt das aus als eine separation des pouvoirs, die sich hier wiederhole, genauer gesprochen als eine separation des autorites. Das Vorbild, das die Justiz gegeben hat für eine gesetzmässige Staatsthätigkeit, soll also die Verwaltung auf ihrer Seite selbständig verwirklichen. Das ist die Grundidee, aus der heraus sich nunmehr die neue Die beiden Zweige der vollziehenden Gewalt laufen parallel. 7 Es hebt jetzt ein Kultus mit dem Wort Gesetz an. Der Polizeibeamte in den Landgemeinden, der garde champetre, trägt auf seiner Armbinde die Inschrift "la loi"; auf den Ruf "force a la loi" sollen alle guten Bürger auf die Strasse eilen und den Aufstand unterdrücken; die Aufforderung an die Zusammengerotteten be- ginnt mit den Worten "obeissance a la loi"; das gefürchtete "au nom de la loi" öffnet alle Thüren. Unter den volkstümlichsten Theaterstücken der ersten Revo- lutionszeit ist eins: "l'ami des lois", in welchem der Held einen wahren Fanatismus im Gehorsam gegen das Gesetz im allgemeinen an den Tag legt und sich zum Sklaven desselben bekennt. 8 Serrigny, traite de l'organisation etc. en matiere contentieuse administrative I n. 15. 9 Sonst wäre hier ein Rechtsstaat im Sinne von Bähr entstanden. Die Par-
lamente hatten sich gerade in der letzten Zeit vor der Revolution als Hindernisse für jede Verbesserung bewährt. Der neue Staat übernahm sorgfältig die Mittel, welche sich das ancien regime bereitet hatte, um seine Verwaltung gegen die Über- griffe der Gerichte unabhängig zu stellen; Toqueville, l'ancien regime et la revolution cap. IV. Geschichtliche Entwicklungsstufen. Gesetz steht über aller sonstiger Staatsthätigkeit gleichmäſsig7. Dem-gemäſs verschwindet auch sehr bald aus der Rechtslehre der falsche Schein einer einfachen Dreiteilung der Gewalten. Neben dem Gesetz erkennt man nur eine wahre Gewalt, die ihrerseits unter dem Ge- setz steht, die vollziehende Gewalt. Diese spaltet sich ihrer- seits wieder in zwei Zweige; sie wird thätig einerseits als Justiz, andererseits als Verwaltung8. Nach den Überlieferungen der Parlamente wäre es gegeben gewesen, daſs man die Justiz ihrer- seits nunmehr über die Verwaltung stellte, um ihr gegenüber das Gesetz im Einzelfall durch Urteilsspruch zur Geltung zu bringen, die Verwaltung also auf die einfache Geschäftsbesorgung, das thatsächliche Handeln namens des Staates beschränkte. Man hatte gute Gründe, das nicht zu thun, vielmehr die Unabhängigkeit der beiden Thätig- keitszweige von einander, namentlich die der Verwaltung gegenüber der Justiz, mit aller Schärfe durchzuführen9. Man drückt das aus als eine séparation des pouvoirs, die sich hier wiederhole, genauer gesprochen als eine séparation des autorités. Das Vorbild, das die Justiz gegeben hat für eine gesetzmäſsige Staatsthätigkeit, soll also die Verwaltung auf ihrer Seite selbständig verwirklichen. Das ist die Grundidee, aus der heraus sich nunmehr die neue Die beiden Zweige der vollziehenden Gewalt laufen parallel. 7 Es hebt jetzt ein Kultus mit dem Wort Gesetz an. Der Polizeibeamte in den Landgemeinden, der garde champêtre, trägt auf seiner Armbinde die Inschrift „la loi“; auf den Ruf „force à la loi“ sollen alle guten Bürger auf die Straſse eilen und den Aufstand unterdrücken; die Aufforderung an die Zusammengerotteten be- ginnt mit den Worten „obéissance à la loi“; das gefürchtete „au nom de la loi“ öffnet alle Thüren. Unter den volkstümlichsten Theaterstücken der ersten Revo- lutionszeit ist eins: „l’ami des lois“, in welchem der Held einen wahren Fanatismus im Gehorsam gegen das Gesetz im allgemeinen an den Tag legt und sich zum Sklaven desselben bekennt. 8 Serrigny, traité de l’organisation etc. en matière contentieuse administrative I n. 15. 9 Sonst wäre hier ein Rechtsstaat im Sinne von Bähr entstanden. Die Par-
lamente hatten sich gerade in der letzten Zeit vor der Revolution als Hindernisse für jede Verbesserung bewährt. Der neue Staat übernahm sorgfältig die Mittel, welche sich das ancien régime bereitet hatte, um seine Verwaltung gegen die Über- griffe der Gerichte unabhängig zu stellen; Toqueville, l’ancien régime et la révolution cap. IV. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0078" n="58"/><fw place="top" type="header">Geschichtliche Entwicklungsstufen.</fw><lb/> Gesetz steht über aller sonstiger Staatsthätigkeit gleichmäſsig<note place="foot" n="7">Es hebt jetzt ein Kultus mit dem Wort Gesetz an. Der Polizeibeamte in<lb/> den Landgemeinden, der garde champêtre, trägt auf seiner Armbinde die Inschrift<lb/> „la loi“; auf den Ruf „force à la loi“ sollen alle guten Bürger auf die Straſse eilen<lb/> und den Aufstand unterdrücken; die Aufforderung an die Zusammengerotteten be-<lb/> ginnt mit den Worten „obéissance à la loi“; das gefürchtete „au nom de la loi“<lb/> öffnet alle Thüren. Unter den volkstümlichsten Theaterstücken der ersten Revo-<lb/> lutionszeit ist eins: „l’ami des lois“, in welchem der Held einen wahren Fanatismus<lb/> im Gehorsam gegen das Gesetz im allgemeinen an den Tag legt und sich zum<lb/> Sklaven desselben bekennt.</note>. Dem-<lb/> gemäſs verschwindet auch sehr bald aus der Rechtslehre der falsche<lb/> Schein einer einfachen Dreiteilung der Gewalten. Neben dem Gesetz<lb/> erkennt man nur <hi rendition="#g">eine</hi> wahre Gewalt, die ihrerseits unter dem Ge-<lb/> setz steht, die <hi rendition="#g">vollziehende Gewalt</hi>. Diese spaltet sich ihrer-<lb/> seits wieder in zwei Zweige; sie wird thätig einerseits als <hi rendition="#g">Justiz,</hi><lb/> andererseits als <hi rendition="#g">Verwaltung</hi><note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Serrigny,</hi> traité de l’organisation etc. en matière contentieuse administrative<lb/> I n. 15.</note>. Nach den Überlieferungen der<lb/> Parlamente wäre es gegeben gewesen, daſs man die Justiz ihrer-<lb/> seits nunmehr über die Verwaltung stellte, um ihr gegenüber das<lb/> Gesetz im Einzelfall durch Urteilsspruch zur Geltung zu bringen, die<lb/> Verwaltung also auf die einfache Geschäftsbesorgung, das thatsächliche<lb/> Handeln namens des Staates beschränkte. Man hatte gute Gründe,<lb/> das nicht zu thun, vielmehr die Unabhängigkeit der beiden Thätig-<lb/> keitszweige von einander, namentlich die der Verwaltung gegenüber<lb/> der Justiz, mit aller Schärfe durchzuführen<note place="foot" n="9">Sonst wäre hier ein Rechtsstaat im Sinne von Bähr entstanden. Die Par-<lb/> lamente hatten sich gerade in der letzten Zeit vor der Revolution als Hindernisse<lb/> für jede Verbesserung bewährt. Der neue Staat übernahm sorgfältig die Mittel,<lb/> welche sich das ancien régime bereitet hatte, um seine Verwaltung gegen die Über-<lb/> griffe der Gerichte unabhängig zu stellen; <hi rendition="#g">Toqueville,</hi> l’ancien régime et la<lb/> révolution cap. IV.</note>. Man drückt das aus<lb/> als eine séparation des pouvoirs, die sich hier wiederhole, genauer<lb/> gesprochen als eine séparation des autorités. Das Vorbild, das die<lb/> Justiz gegeben hat für eine gesetzmäſsige Staatsthätigkeit, soll also<lb/> die Verwaltung auf ihrer Seite <hi rendition="#g">selbständig verwirklichen</hi>.</p><lb/> <p>Das ist die Grundidee, aus der heraus sich nunmehr die neue<lb/> rechtliche Gestalt der Verwaltung bestimmt.</p><lb/> <p>Die beiden Zweige der vollziehenden Gewalt laufen parallel.<lb/> Beide stehen unter dem Gesetz. Die Justiz wendet das Gesetz an<lb/> durch Urteile, obrigkeitliche Aussprüche im Einzelfall und nach diesen<lb/> richtet sich alsdann die That der Vollstreckungsbeamten. Die Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0078]
Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Gesetz steht über aller sonstiger Staatsthätigkeit gleichmäſsig 7. Dem-
gemäſs verschwindet auch sehr bald aus der Rechtslehre der falsche
Schein einer einfachen Dreiteilung der Gewalten. Neben dem Gesetz
erkennt man nur eine wahre Gewalt, die ihrerseits unter dem Ge-
setz steht, die vollziehende Gewalt. Diese spaltet sich ihrer-
seits wieder in zwei Zweige; sie wird thätig einerseits als Justiz,
andererseits als Verwaltung 8. Nach den Überlieferungen der
Parlamente wäre es gegeben gewesen, daſs man die Justiz ihrer-
seits nunmehr über die Verwaltung stellte, um ihr gegenüber das
Gesetz im Einzelfall durch Urteilsspruch zur Geltung zu bringen, die
Verwaltung also auf die einfache Geschäftsbesorgung, das thatsächliche
Handeln namens des Staates beschränkte. Man hatte gute Gründe,
das nicht zu thun, vielmehr die Unabhängigkeit der beiden Thätig-
keitszweige von einander, namentlich die der Verwaltung gegenüber
der Justiz, mit aller Schärfe durchzuführen 9. Man drückt das aus
als eine séparation des pouvoirs, die sich hier wiederhole, genauer
gesprochen als eine séparation des autorités. Das Vorbild, das die
Justiz gegeben hat für eine gesetzmäſsige Staatsthätigkeit, soll also
die Verwaltung auf ihrer Seite selbständig verwirklichen.
Das ist die Grundidee, aus der heraus sich nunmehr die neue
rechtliche Gestalt der Verwaltung bestimmt.
Die beiden Zweige der vollziehenden Gewalt laufen parallel.
Beide stehen unter dem Gesetz. Die Justiz wendet das Gesetz an
durch Urteile, obrigkeitliche Aussprüche im Einzelfall und nach diesen
richtet sich alsdann die That der Vollstreckungsbeamten. Die Ver-
7 Es hebt jetzt ein Kultus mit dem Wort Gesetz an. Der Polizeibeamte in
den Landgemeinden, der garde champêtre, trägt auf seiner Armbinde die Inschrift
„la loi“; auf den Ruf „force à la loi“ sollen alle guten Bürger auf die Straſse eilen
und den Aufstand unterdrücken; die Aufforderung an die Zusammengerotteten be-
ginnt mit den Worten „obéissance à la loi“; das gefürchtete „au nom de la loi“
öffnet alle Thüren. Unter den volkstümlichsten Theaterstücken der ersten Revo-
lutionszeit ist eins: „l’ami des lois“, in welchem der Held einen wahren Fanatismus
im Gehorsam gegen das Gesetz im allgemeinen an den Tag legt und sich zum
Sklaven desselben bekennt.
8 Serrigny, traité de l’organisation etc. en matière contentieuse administrative
I n. 15.
9 Sonst wäre hier ein Rechtsstaat im Sinne von Bähr entstanden. Die Par-
lamente hatten sich gerade in der letzten Zeit vor der Revolution als Hindernisse
für jede Verbesserung bewährt. Der neue Staat übernahm sorgfältig die Mittel,
welche sich das ancien régime bereitet hatte, um seine Verwaltung gegen die Über-
griffe der Gerichte unabhängig zu stellen; Toqueville, l’ancien régime et la
révolution cap. IV.
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