Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 5. Der Rechtsstaat. Rechtsstaates, den grossen Gedanken der Justizförmigkeit derVerwaltung erst vollendet20. Es wird darauf ankommen, das Wesen dieses Verwaltungsaktes III. Nichts wäre also verfehlter als zu glauben, die Idee des Sollen wir das Wesen dieses Rechtsstaates hier noch einmal 20 Das Seitenstück des civilgerichtlichen Urteils, das uns für den Rechtsstaat wesentlich ist, ist auch eine Art "Zwischenbau" zwischen "Staatsgewalt und Volk" d. h. zwischen gesetzlichem Rechtssatz und dem Einzelnen, der getroffen wird; aber natürlich ganz andrer Art als der politische Zwischenbau, in welchem Gneist das Wesen des Rechtsstaats sucht. -- Dass der ganze Begriff des Rechtsstaats auf die Justizförmigkeit der Verwaltung hinausläuft, erkennt besonders Leuthold in Annalen 1884 S. 418 ff., der die Grundzüge des Rechtsstaats ausdrücklich einteilt nach dem Muster der Justiz in 1. Normengebung, 2. Rechtsprechung, als Seiten- stück der letzteren in der Verwaltung dann allerdings nur die Verwaltungsrechts- pflege findet. Ähnlich v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. 12 S. 221 ff. Nun be- deutet aber ja auch die Verwaltungsrechtspflege nur die Erlassung eines Ver- waltungsaktes in bestimmten Formen; die vielen Verwaltungsakte, welche ohne diese Formen erlassen werden, sind für den Stand der Rechtsordnung im ganzen um ein Beträchtliches mehr wert. Wenn Pann, Reform des V.R. S. 14, es als das Ideal des Rechtsstaats aufstellt, dass der Staat wegen seiner Ansprüche auf Militärdienst, Steuern u. s. w. auf die gerichtsordnungsmässige Klage verwiesen würde, so liegt darin nur eine Verschiebung des eigentlichen Grundgedankens: die Justizförmigkeit der Verwaltung bedeutet für den verwaltenden Staat die Rolle des Gerichts, nicht der Partei. 21 So v. Stein, Verw.Lehre I S. 297. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 5
§ 5. Der Rechtsstaat. Rechtsstaates, den groſsen Gedanken der Justizförmigkeit derVerwaltung erst vollendet20. Es wird darauf ankommen, das Wesen dieses Verwaltungsaktes III. Nichts wäre also verfehlter als zu glauben, die Idee des Sollen wir das Wesen dieses Rechtsstaates hier noch einmal 20 Das Seitenstück des civilgerichtlichen Urteils, das uns für den Rechtsstaat wesentlich ist, ist auch eine Art „Zwischenbau“ zwischen „Staatsgewalt und Volk“ d. h. zwischen gesetzlichem Rechtssatz und dem Einzelnen, der getroffen wird; aber natürlich ganz andrer Art als der politische Zwischenbau, in welchem Gneist das Wesen des Rechtsstaats sucht. — Daſs der ganze Begriff des Rechtsstaats auf die Justizförmigkeit der Verwaltung hinausläuft, erkennt besonders Leuthold in Annalen 1884 S. 418 ff., der die Grundzüge des Rechtsstaats ausdrücklich einteilt nach dem Muster der Justiz in 1. Normengebung, 2. Rechtsprechung, als Seiten- stück der letzteren in der Verwaltung dann allerdings nur die Verwaltungsrechts- pflege findet. Ähnlich v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. 12 S. 221 ff. Nun be- deutet aber ja auch die Verwaltungsrechtspflege nur die Erlassung eines Ver- waltungsaktes in bestimmten Formen; die vielen Verwaltungsakte, welche ohne diese Formen erlassen werden, sind für den Stand der Rechtsordnung im ganzen um ein Beträchtliches mehr wert. Wenn Pann, Reform des V.R. S. 14, es als das Ideal des Rechtsstaats aufstellt, daſs der Staat wegen seiner Ansprüche auf Militärdienst, Steuern u. s. w. auf die gerichtsordnungsmäſsige Klage verwiesen würde, so liegt darin nur eine Verschiebung des eigentlichen Grundgedankens: die Justizförmigkeit der Verwaltung bedeutet für den verwaltenden Staat die Rolle des Gerichts, nicht der Partei. 21 So v. Stein, Verw.Lehre I S. 297. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 5
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§ 5. Der Rechtsstaat.
Rechtsstaates, den groſsen Gedanken der Justizförmigkeit der
Verwaltung erst vollendet 20.
Es wird darauf ankommen, das Wesen dieses Verwaltungsaktes
noch genauer zu bestimmen; daſs er beim Aufbau der einzelnen
Rechtsinstitute unseres Verwaltungsrechtes eine groſse Rolle spielen
muſs, ist selbstverständlich.
III. Nichts wäre also verfehlter als zu glauben, die Idee des
Rechtsstaates sei eine ganz besondere deutsche Eigentümlichkeit 21.
Sie ist uns in allen wesentlichen Grundzügen gemeinsam mit unseren
Schwesternationen, welche die gleichen Entwicklungsstufen durch-
gemacht haben; insbesondere mit der französischen, mit welcher das
Schicksal uns nun einmal trotz alledem geistig zusammengebunden hat.
Sollen wir das Wesen dieses Rechtsstaates hier noch einmal
zusammenfassen, so mögen wir immerhin von ihm sagen, daſs er
seine Wirksamkeit gegenüber den Unterthanen bestimmt in der Weise
des Rechtes, daſs er eine Rechtsordnung und Rechte der Unterthanen
anerkennt und aufrecht erhält auch in der Verwaltung. Greifbarere
Merkmale erhält er erst durch die besondere Art und Weise, wie er
das bewerkstelligt. Diese stellt sich dar in gewissen Grundregeln, die
ihm eigentümlich sind, Regeln von verschiedener Natur: zum einen
Teil bedeuten sie eine bestimmte rechtliche Ordnung, die ihm gegeben
ist, zum andern stellen sie ihm eine Aufgabe, ein Ziel, dem er nach-
streben soll.
20 Das Seitenstück des civilgerichtlichen Urteils, das uns für den Rechtsstaat
wesentlich ist, ist auch eine Art „Zwischenbau“ zwischen „Staatsgewalt und Volk“
d. h. zwischen gesetzlichem Rechtssatz und dem Einzelnen, der getroffen wird; aber
natürlich ganz andrer Art als der politische Zwischenbau, in welchem Gneist das
Wesen des Rechtsstaats sucht. — Daſs der ganze Begriff des Rechtsstaats auf die
Justizförmigkeit der Verwaltung hinausläuft, erkennt besonders Leuthold in
Annalen 1884 S. 418 ff., der die Grundzüge des Rechtsstaats ausdrücklich einteilt
nach dem Muster der Justiz in 1. Normengebung, 2. Rechtsprechung, als Seiten-
stück der letzteren in der Verwaltung dann allerdings nur die Verwaltungsrechts-
pflege findet. Ähnlich v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. 12 S. 221 ff. Nun be-
deutet aber ja auch die Verwaltungsrechtspflege nur die Erlassung eines Ver-
waltungsaktes in bestimmten Formen; die vielen Verwaltungsakte, welche ohne diese
Formen erlassen werden, sind für den Stand der Rechtsordnung im ganzen um ein
Beträchtliches mehr wert. Wenn Pann, Reform des V.R. S. 14, es als das Ideal
des Rechtsstaats aufstellt, daſs der Staat wegen seiner Ansprüche auf Militärdienst,
Steuern u. s. w. auf die gerichtsordnungsmäſsige Klage verwiesen würde, so liegt
darin nur eine Verschiebung des eigentlichen Grundgedankens: die Justizförmigkeit
der Verwaltung bedeutet für den verwaltenden Staat die Rolle des Gerichts, nicht
der Partei.
21 So v. Stein, Verw.Lehre I S. 297.
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