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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
gemeinsamen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt spricht, oder von
einer Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung, oder nur
von ihrer Zustimmung, ohne welche kein Gesetz erlassen werden
darf, das ist nur eine für den entscheidenden Punkt gleichgültige Aus-
drucksverschiedenheit. Früher liebte man es zu betonen, dass der
Fürst dem Recht nach alle Staatsgewalt allein habe und nur in der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch das Mitwirkungsrecht
des Landtags beschränkt sei: entscheidend ist, wie es mit dieser
letzteren, mit dem dominium utile der Gesetzgebung steht. Neuer-
dings sagt man in feinerer juristischer Zergliederung, dass das Mit-
wirkungsrecht der Volksvertretung sich lediglich in der Vorbereitung
des Gesetzes geltend macht und nur die Feststellung des Inhaltes
des Gesetzes zum Gegenstande hat. Auch das ändert nichts an der
nackten Thatsache: wer über den Inhalt des Gesetzes aus freiem Ent-
schlusse mit bestimmt, ob er sein soll oder nicht, der verfügt that-
sächlich auch über die Kraft des Gesetzes selbst und macht in ihr
seinen Willen mit geltend.

Man mag die Mitwirkung der Volksvertretung noch so gering
anschlagen; immer ist das, was als Gesetz schliesslich herauskommt,
nicht das Erzeugnis des Willens des Fürsten allein, sondern zugleich
eines anderen Willen, ohne den es nicht entstehen konnte. Das
genügt aber vollkommen für den richtig verstandenen Begriff der
Trennung der Gewalten4.

4 Laband, St.R. I S. 517 ff., meint in scharfem Gegensatz zur Lehre von
der Trennung der Gewalten: "Das Recht zur staatlichen Gesetzgebung ist ebenso
unteilbar wie die Staatsgewalt". Deshalb ist im Reich nur der Bundesrat der
"eigentliche Gesetzgeber" (S. 543). Die Feststellung des Gesetzesinhalts mit dem
Reichstag ist nichts als eine Formbedingung für den nachher durch den alleinigen
Willen des Bundesrats getragenen Gesetzgebungsakt. Die Gesetzesform wird (S. 574)
geradezu verglichen mit der Form der Rechtsgeschäfte, mit einem notariell ab-
geschlossenen Vertrag. Als Vergleichsstück müssten wir uns aber doch einen no-
tariellen Vertrag denken, der gültig nur zu stande kommen kann, nachdem man
sich mit dem Notar über den Inhalt geeinigt hat, dann würde der Notar sofort als
Miturheber des Rechtsgeschäfts anzusehen sein. -- Man braucht nicht soweit zu gehen
wie Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 146 ff., der Volksvertretung und
Staatsoberhaupt für "nebengeordnete und darum oberste Organe des Staats" er-
klärt. Jedenfalls ist es die einfache Wirklichkeit der Dinge, der v. Sarwey,
A.V.R. S. 24, Laband gegenüber Ausdruck giebt mit dem Satze: "Das Gesetz ist
das Produkt des Willens und der Befehl beider". Diese Gemeinsamkeit lässt sich
auch nicht durch die Beobachtung irgend einer andern Förmlichkeit ersetzen, um
danach das Gesetz auszuscheiden. In den unteren Kreisen der Staatsthätigkeit ist
es möglich, den in gewisser Form ausgesprochenen Willen mit der besonderen
Kraft auszustatten, mit welcher er das fernere Thun des Willensträgers selbst
bindet; die Polizeiverordnung wird dafür ein anschauliches Beispiel geben; hier

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
gemeinsamen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt spricht, oder von
einer Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung, oder nur
von ihrer Zustimmung, ohne welche kein Gesetz erlassen werden
darf, das ist nur eine für den entscheidenden Punkt gleichgültige Aus-
drucksverschiedenheit. Früher liebte man es zu betonen, daſs der
Fürst dem Recht nach alle Staatsgewalt allein habe und nur in der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch das Mitwirkungsrecht
des Landtags beschränkt sei: entscheidend ist, wie es mit dieser
letzteren, mit dem dominium utile der Gesetzgebung steht. Neuer-
dings sagt man in feinerer juristischer Zergliederung, daſs das Mit-
wirkungsrecht der Volksvertretung sich lediglich in der Vorbereitung
des Gesetzes geltend macht und nur die Feststellung des Inhaltes
des Gesetzes zum Gegenstande hat. Auch das ändert nichts an der
nackten Thatsache: wer über den Inhalt des Gesetzes aus freiem Ent-
schlusse mit bestimmt, ob er sein soll oder nicht, der verfügt that-
sächlich auch über die Kraft des Gesetzes selbst und macht in ihr
seinen Willen mit geltend.

Man mag die Mitwirkung der Volksvertretung noch so gering
anschlagen; immer ist das, was als Gesetz schlieſslich herauskommt,
nicht das Erzeugnis des Willens des Fürsten allein, sondern zugleich
eines anderen Willen, ohne den es nicht entstehen konnte. Das
genügt aber vollkommen für den richtig verstandenen Begriff der
Trennung der Gewalten4.

4 Laband, St.R. I S. 517 ff., meint in scharfem Gegensatz zur Lehre von
der Trennung der Gewalten: „Das Recht zur staatlichen Gesetzgebung ist ebenso
unteilbar wie die Staatsgewalt“. Deshalb ist im Reich nur der Bundesrat der
„eigentliche Gesetzgeber“ (S. 543). Die Feststellung des Gesetzesinhalts mit dem
Reichstag ist nichts als eine Formbedingung für den nachher durch den alleinigen
Willen des Bundesrats getragenen Gesetzgebungsakt. Die Gesetzesform wird (S. 574)
geradezu verglichen mit der Form der Rechtsgeschäfte, mit einem notariell ab-
geschlossenen Vertrag. Als Vergleichsstück müſsten wir uns aber doch einen no-
tariellen Vertrag denken, der gültig nur zu stande kommen kann, nachdem man
sich mit dem Notar über den Inhalt geeinigt hat, dann würde der Notar sofort als
Miturheber des Rechtsgeschäfts anzusehen sein. — Man braucht nicht soweit zu gehen
wie Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 146 ff., der Volksvertretung und
Staatsoberhaupt für „nebengeordnete und darum oberste Organe des Staats“ er-
klärt. Jedenfalls ist es die einfache Wirklichkeit der Dinge, der v. Sarwey,
A.V.R. S. 24, Laband gegenüber Ausdruck giebt mit dem Satze: „Das Gesetz ist
das Produkt des Willens und der Befehl beider“. Diese Gemeinsamkeit läſst sich
auch nicht durch die Beobachtung irgend einer andern Förmlichkeit ersetzen, um
danach das Gesetz auszuscheiden. In den unteren Kreisen der Staatsthätigkeit ist
es möglich, den in gewisser Form ausgesprochenen Willen mit der besonderen
Kraft auszustatten, mit welcher er das fernere Thun des Willensträgers selbst
bindet; die Polizeiverordnung wird dafür ein anschauliches Beispiel geben; hier
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[70/0090] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. gemeinsamen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt spricht, oder von einer Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung, oder nur von ihrer Zustimmung, ohne welche kein Gesetz erlassen werden darf, das ist nur eine für den entscheidenden Punkt gleichgültige Aus- drucksverschiedenheit. Früher liebte man es zu betonen, daſs der Fürst dem Recht nach alle Staatsgewalt allein habe und nur in der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch das Mitwirkungsrecht des Landtags beschränkt sei: entscheidend ist, wie es mit dieser letzteren, mit dem dominium utile der Gesetzgebung steht. Neuer- dings sagt man in feinerer juristischer Zergliederung, daſs das Mit- wirkungsrecht der Volksvertretung sich lediglich in der Vorbereitung des Gesetzes geltend macht und nur die Feststellung des Inhaltes des Gesetzes zum Gegenstande hat. Auch das ändert nichts an der nackten Thatsache: wer über den Inhalt des Gesetzes aus freiem Ent- schlusse mit bestimmt, ob er sein soll oder nicht, der verfügt that- sächlich auch über die Kraft des Gesetzes selbst und macht in ihr seinen Willen mit geltend. Man mag die Mitwirkung der Volksvertretung noch so gering anschlagen; immer ist das, was als Gesetz schlieſslich herauskommt, nicht das Erzeugnis des Willens des Fürsten allein, sondern zugleich eines anderen Willen, ohne den es nicht entstehen konnte. Das genügt aber vollkommen für den richtig verstandenen Begriff der Trennung der Gewalten 4. 4 Laband, St.R. I S. 517 ff., meint in scharfem Gegensatz zur Lehre von der Trennung der Gewalten: „Das Recht zur staatlichen Gesetzgebung ist ebenso unteilbar wie die Staatsgewalt“. Deshalb ist im Reich nur der Bundesrat der „eigentliche Gesetzgeber“ (S. 543). Die Feststellung des Gesetzesinhalts mit dem Reichstag ist nichts als eine Formbedingung für den nachher durch den alleinigen Willen des Bundesrats getragenen Gesetzgebungsakt. Die Gesetzesform wird (S. 574) geradezu verglichen mit der Form der Rechtsgeschäfte, mit einem notariell ab- geschlossenen Vertrag. Als Vergleichsstück müſsten wir uns aber doch einen no- tariellen Vertrag denken, der gültig nur zu stande kommen kann, nachdem man sich mit dem Notar über den Inhalt geeinigt hat, dann würde der Notar sofort als Miturheber des Rechtsgeschäfts anzusehen sein. — Man braucht nicht soweit zu gehen wie Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 146 ff., der Volksvertretung und Staatsoberhaupt für „nebengeordnete und darum oberste Organe des Staats“ er- klärt. Jedenfalls ist es die einfache Wirklichkeit der Dinge, der v. Sarwey, A.V.R. S. 24, Laband gegenüber Ausdruck giebt mit dem Satze: „Das Gesetz ist das Produkt des Willens und der Befehl beider“. Diese Gemeinsamkeit läſst sich auch nicht durch die Beobachtung irgend einer andern Förmlichkeit ersetzen, um danach das Gesetz auszuscheiden. In den unteren Kreisen der Staatsthätigkeit ist es möglich, den in gewisser Form ausgesprochenen Willen mit der besonderen Kraft auszustatten, mit welcher er das fernere Thun des Willensträgers selbst bindet; die Polizeiverordnung wird dafür ein anschauliches Beispiel geben; hier

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/90>, abgerufen am 22.12.2024.