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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
setzes. Diese Seite ist in den Verfassungsurkunden meist wieder
gar nicht berührt. Mit den Namen Gesetz, Gesetzgebung, gesetz-
gebende Gewalt ist der Gedanke der Kraft, Rechtssätze zu machen,
unmittelbar verbunden. Die Natur dieser wichtigsten Kraft des Ge-
setzes wird noch ausführlich zu betrachten sein (unten § 7).

Mit ihrer Verwendung steht es gerade so wie bei den beiden andern.
Sie kann übertragen werden, wie Verordnungsrecht und Autonomie
bezeugen. Es kann sich aus dem Inhalte der gesetzlichen Willens-
äusserung ergeben, dass sie bei diesem Gesetze nicht zur Wirkung
gelangt.

Im Gesetz erscheint überall die lebendige Staatsgewalt, die von
ihren besonderen und allgemeinen Kräften Gebrauch macht, wie sie
will, möglicher Weise im gegebenen Fall nur von der einen oder
andern, möglicher Weise von gar keiner.

II. Die vollziehende Gewalt verkörpert sich nicht wie die
gesetzgebende in einem verfassungsmässig geordneten Akt, der ihren
Willen zum Ausdruck bringt. Ebendeshalb hebt sich auch der Begriff
nicht so deutlich und greifbar ab. Nach der Ausscheidung von Gesetz
und gesetzgebender Gewalt ist er eine von selbst sich ergebende Not-
wendigkeit; er umfasst alles, was übrig bleibt von öffentlicher Gewalt,
und die Willensäusserungen der vollziehenden Gewalt, obwohl sie
eines gemeinsamen Namens entbehren, haben dennoch ihre gemein-
same rechtliche Natur14.

Die Willensäusserung der vollziehenden Gewalt ist gekennzeichnet:

1. durch ihre Entstehungsart: sie geht aus von irgend
einem Träger der öffentlichen Gewalt, Fürst oder Behörde oder
Selbstverwaltungsvertreter oder wie sonst sich solche Trägerschaften
ergeben;

14 Die Geschichte des Begriffs der vollziehenden Gewalt zeichnet in grossen
Zügen L. v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 51--57. Was in der deutschen Rechtswissen-
schaft nach und nach damit gemacht worden ist, bietet wenig erfreuliches. Es
ist die alte Erscheinung, die man bei so und so viel Gelegenheiten beobachten
kann. Der Ausdruck "vollziehende Gewalt" wird übernommen aus dem Französi-
schen; dann kümmert man sich nicht mehr viel um die Zusammenhänge des Be-
griffs, sondern belauscht einfach die Buchstaben des Wortes um ihr Geheimnis.
Was ist der allgemeine Sinn des Wortes "Vollziehung"? was der von "Gewalt"?
Wenn man das herausgebracht hat, glaubt man auch zu wissen, was vollziehende
Gewalt sei. So Gönner, St.R. § 343, Häberlin, St.R. II § 242, Schmitt-
henner,
St.R. § 84, u. s. w. Neuerdings verfährt wieder v. Sarwey, A.V.R.
S. 22 und 23, in der gleichen Weise. Das führt natürlich zu nichts.

§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
setzes. Diese Seite ist in den Verfassungsurkunden meist wieder
gar nicht berührt. Mit den Namen Gesetz, Gesetzgebung, gesetz-
gebende Gewalt ist der Gedanke der Kraft, Rechtssätze zu machen,
unmittelbar verbunden. Die Natur dieser wichtigsten Kraft des Ge-
setzes wird noch ausführlich zu betrachten sein (unten § 7).

Mit ihrer Verwendung steht es gerade so wie bei den beiden andern.
Sie kann übertragen werden, wie Verordnungsrecht und Autonomie
bezeugen. Es kann sich aus dem Inhalte der gesetzlichen Willens-
äuſserung ergeben, daſs sie bei diesem Gesetze nicht zur Wirkung
gelangt.

Im Gesetz erscheint überall die lebendige Staatsgewalt, die von
ihren besonderen und allgemeinen Kräften Gebrauch macht, wie sie
will, möglicher Weise im gegebenen Fall nur von der einen oder
andern, möglicher Weise von gar keiner.

II. Die vollziehende Gewalt verkörpert sich nicht wie die
gesetzgebende in einem verfassungsmäſsig geordneten Akt, der ihren
Willen zum Ausdruck bringt. Ebendeshalb hebt sich auch der Begriff
nicht so deutlich und greifbar ab. Nach der Ausscheidung von Gesetz
und gesetzgebender Gewalt ist er eine von selbst sich ergebende Not-
wendigkeit; er umfaſst alles, was übrig bleibt von öffentlicher Gewalt,
und die Willensäuſserungen der vollziehenden Gewalt, obwohl sie
eines gemeinsamen Namens entbehren, haben dennoch ihre gemein-
same rechtliche Natur14.

Die Willensäuſserung der vollziehenden Gewalt ist gekennzeichnet:

1. durch ihre Entstehungsart: sie geht aus von irgend
einem Träger der öffentlichen Gewalt, Fürst oder Behörde oder
Selbstverwaltungsvertreter oder wie sonst sich solche Trägerschaften
ergeben;

14 Die Geschichte des Begriffs der vollziehenden Gewalt zeichnet in groſsen
Zügen L. v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 51—57. Was in der deutschen Rechtswissen-
schaft nach und nach damit gemacht worden ist, bietet wenig erfreuliches. Es
ist die alte Erscheinung, die man bei so und so viel Gelegenheiten beobachten
kann. Der Ausdruck „vollziehende Gewalt“ wird übernommen aus dem Französi-
schen; dann kümmert man sich nicht mehr viel um die Zusammenhänge des Be-
griffs, sondern belauscht einfach die Buchstaben des Wortes um ihr Geheimnis.
Was ist der allgemeine Sinn des Wortes „Vollziehung“? was der von „Gewalt“?
Wenn man das herausgebracht hat, glaubt man auch zu wissen, was vollziehende
Gewalt sei. So Gönner, St.R. § 343, Häberlin, St.R. II § 242, Schmitt-
henner,
St.R. § 84, u. s. w. Neuerdings verfährt wieder v. Sarwey, A.V.R.
S. 22 und 23, in der gleichen Weise. Das führt natürlich zu nichts.
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[77/0097] § 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt. setzes. Diese Seite ist in den Verfassungsurkunden meist wieder gar nicht berührt. Mit den Namen Gesetz, Gesetzgebung, gesetz- gebende Gewalt ist der Gedanke der Kraft, Rechtssätze zu machen, unmittelbar verbunden. Die Natur dieser wichtigsten Kraft des Ge- setzes wird noch ausführlich zu betrachten sein (unten § 7). Mit ihrer Verwendung steht es gerade so wie bei den beiden andern. Sie kann übertragen werden, wie Verordnungsrecht und Autonomie bezeugen. Es kann sich aus dem Inhalte der gesetzlichen Willens- äuſserung ergeben, daſs sie bei diesem Gesetze nicht zur Wirkung gelangt. Im Gesetz erscheint überall die lebendige Staatsgewalt, die von ihren besonderen und allgemeinen Kräften Gebrauch macht, wie sie will, möglicher Weise im gegebenen Fall nur von der einen oder andern, möglicher Weise von gar keiner. II. Die vollziehende Gewalt verkörpert sich nicht wie die gesetzgebende in einem verfassungsmäſsig geordneten Akt, der ihren Willen zum Ausdruck bringt. Ebendeshalb hebt sich auch der Begriff nicht so deutlich und greifbar ab. Nach der Ausscheidung von Gesetz und gesetzgebender Gewalt ist er eine von selbst sich ergebende Not- wendigkeit; er umfaſst alles, was übrig bleibt von öffentlicher Gewalt, und die Willensäuſserungen der vollziehenden Gewalt, obwohl sie eines gemeinsamen Namens entbehren, haben dennoch ihre gemein- same rechtliche Natur 14. Die Willensäuſserung der vollziehenden Gewalt ist gekennzeichnet: 1. durch ihre Entstehungsart: sie geht aus von irgend einem Träger der öffentlichen Gewalt, Fürst oder Behörde oder Selbstverwaltungsvertreter oder wie sonst sich solche Trägerschaften ergeben; 14 Die Geschichte des Begriffs der vollziehenden Gewalt zeichnet in groſsen Zügen L. v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 51—57. Was in der deutschen Rechtswissen- schaft nach und nach damit gemacht worden ist, bietet wenig erfreuliches. Es ist die alte Erscheinung, die man bei so und so viel Gelegenheiten beobachten kann. Der Ausdruck „vollziehende Gewalt“ wird übernommen aus dem Französi- schen; dann kümmert man sich nicht mehr viel um die Zusammenhänge des Be- griffs, sondern belauscht einfach die Buchstaben des Wortes um ihr Geheimnis. Was ist der allgemeine Sinn des Wortes „Vollziehung“? was der von „Gewalt“? Wenn man das herausgebracht hat, glaubt man auch zu wissen, was vollziehende Gewalt sei. So Gönner, St.R. § 343, Häberlin, St.R. II § 242, Schmitt- henner, St.R. § 84, u. s. w. Neuerdings verfährt wieder v. Sarwey, A.V.R. S. 22 und 23, in der gleichen Weise. Das führt natürlich zu nichts.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/97>, abgerufen am 22.12.2024.