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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.

Allein eine solche einfache Rückkehr zu der alten genossenschaft-
lichen Grundlage läßt sich nicht durchführen. Bedarf es überhaupt
der Mitgliedschaft zu dem bestimmten geordneten Gemeinwesen, um
das Recht des Gemeingebrauchs an seinen öffentlichen Sachen zu
haben? Offenbar ist das nicht der Fall. Es genügt, daß man zu
jener großen Gesellschaft gehöre, die als "das Publikum" der öffent-
lichen Gewalt gegenübersteht. Also das Publikum, sagt man, hat
das Recht auf den Gemeingebrauch und der Einzelne übt ihn aus
namens des Publikums, davon er eben ein Mitglied ist5.

In dieser Erscheinung des Publikums haben wir wohl den letzten
Ausläufer der alten Genossenschaftsidee zu begrüßen, womit sich diese
nun gänzlich verflüchtigt. Denn daß das Publikum ebensowenig ein
Rechtssubjekt als eine abgegrenzte Gesamtheit ist, war ja leicht zu
erkennen. Und so mußte man sich denn zuletzt wohl entschließen,
die unverhüllte Wahrheit anzuerkennen: daß dieses Recht einfach
jedermann zusteht, dem Menschen als solchem6.

Also ein ursprüngliches, nicht verliehenes, von selbst bestehendes
Recht für jedermann, ein angeborenes Recht, ein Menschenrecht auf
Gebrauch der öffentlichen Sachen! Wie ist das denkbar?

Die Schwierigkeit glaubt man häufig damit gelöst zu haben, daß
man sagt: es sei eben ein publizistisches Recht, ein öffentlich-
rechtlicher, verwaltungsrechtlicher Anspruch -- offenbar mit dem Hinter-
gedanken, daß man es mit einem solchen nicht so genau nehmen dürfe7.
Da können wir nicht mitthun.

Die Civilisten bemühen sich redlich, diesem Recht eine feste

ihres Bürgerrechts"; Bl. f. adm. Pr. 1874 S. 23: gegenüber allen juristischen Per-
sonen, welche öffentliche Sachen besitzen, hat der Einzelne das Recht der Be-
nützung "als Glied der Gesamtheit".
5 Wappäus, Dem Rechtsverkehr entzogene Sachen S. 112, 113. Jhering,
Gutachten zum Baseler Schanzenstreit S. 38, macht ja deshalb das "Publikum"
geradewegs zum Eigentümer der öffentlichen Sache (oben § 35 Note 8). Vgl. auch
O.Tr. 12. Juni 1852 (Str. 4 S. 244); O.Tr. 28. März 1873 (Str. 88 S. 341). Auch
die Franzosen drücken sich gern so aus; Proudhon, dom. publ. I n. 220: "un
droit d'usage ou d'usufruit etabli sur ce fonds au profit du public."
6 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93): "das an öffentlichen Wegen jeder-
mann zustehende Recht, welches, obgleich es publizistischer Natur ist, nach ge-
meinem Rechte auch privatrechtlich gegen Störungen geschützt ist." Bekker,
Pand. I S. 341: "Rechte, die allen zukommen".
7 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93); R.G. 23. Febr. 1880 (Samml. I
S. 366): "eine öffentlichrechtliche Befugnis"; Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 337: "kein
Privatrecht, sondern ein verwaltungsrechtlicher Anspruch"; ebenda 1874 S. 43:
"kein klagbares Privatrecht, sondern bloß (!) eine administrative Befugnis".
Das öffentliche Sachenrecht.

Allein eine solche einfache Rückkehr zu der alten genossenschaft-
lichen Grundlage läßt sich nicht durchführen. Bedarf es überhaupt
der Mitgliedschaft zu dem bestimmten geordneten Gemeinwesen, um
das Recht des Gemeingebrauchs an seinen öffentlichen Sachen zu
haben? Offenbar ist das nicht der Fall. Es genügt, daß man zu
jener großen Gesellschaft gehöre, die als „das Publikum“ der öffent-
lichen Gewalt gegenübersteht. Also das Publikum, sagt man, hat
das Recht auf den Gemeingebrauch und der Einzelne übt ihn aus
namens des Publikums, davon er eben ein Mitglied ist5.

In dieser Erscheinung des Publikums haben wir wohl den letzten
Ausläufer der alten Genossenschaftsidee zu begrüßen, womit sich diese
nun gänzlich verflüchtigt. Denn daß das Publikum ebensowenig ein
Rechtssubjekt als eine abgegrenzte Gesamtheit ist, war ja leicht zu
erkennen. Und so mußte man sich denn zuletzt wohl entschließen,
die unverhüllte Wahrheit anzuerkennen: daß dieses Recht einfach
jedermann zusteht, dem Menschen als solchem6.

Also ein ursprüngliches, nicht verliehenes, von selbst bestehendes
Recht für jedermann, ein angeborenes Recht, ein Menschenrecht auf
Gebrauch der öffentlichen Sachen! Wie ist das denkbar?

Die Schwierigkeit glaubt man häufig damit gelöst zu haben, daß
man sagt: es sei eben ein publizistisches Recht, ein öffentlich-
rechtlicher, verwaltungsrechtlicher Anspruch — offenbar mit dem Hinter-
gedanken, daß man es mit einem solchen nicht so genau nehmen dürfe7.
Da können wir nicht mitthun.

Die Civilisten bemühen sich redlich, diesem Recht eine feste

ihres Bürgerrechts“; Bl. f. adm. Pr. 1874 S. 23: gegenüber allen juristischen Per-
sonen, welche öffentliche Sachen besitzen, hat der Einzelne das Recht der Be-
nützung „als Glied der Gesamtheit“.
5 Wappäus, Dem Rechtsverkehr entzogene Sachen S. 112, 113. Jhering,
Gutachten zum Baseler Schanzenstreit S. 38, macht ja deshalb das „Publikum“
geradewegs zum Eigentümer der öffentlichen Sache (oben § 35 Note 8). Vgl. auch
O.Tr. 12. Juni 1852 (Str. 4 S. 244); O.Tr. 28. März 1873 (Str. 88 S. 341). Auch
die Franzosen drücken sich gern so aus; Proudhon, dom. publ. I n. 220: „un
droit d’usage ou d’usufruit établi sur ce fonds au profit du public.“
6 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93): „das an öffentlichen Wegen jeder-
mann zustehende Recht, welches, obgleich es publizistischer Natur ist, nach ge-
meinem Rechte auch privatrechtlich gegen Störungen geschützt ist.“ Bekker,
Pand. I S. 341: „Rechte, die allen zukommen“.
7 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93); R.G. 23. Febr. 1880 (Samml. I
S. 366): „eine öffentlichrechtliche Befugnis“; Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 337: „kein
Privatrecht, sondern ein verwaltungsrechtlicher Anspruch“; ebenda 1874 S. 43:
„kein klagbares Privatrecht, sondern bloß (!) eine administrative Befugnis“.
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[114/0126] Das öffentliche Sachenrecht. Allein eine solche einfache Rückkehr zu der alten genossenschaft- lichen Grundlage läßt sich nicht durchführen. Bedarf es überhaupt der Mitgliedschaft zu dem bestimmten geordneten Gemeinwesen, um das Recht des Gemeingebrauchs an seinen öffentlichen Sachen zu haben? Offenbar ist das nicht der Fall. Es genügt, daß man zu jener großen Gesellschaft gehöre, die als „das Publikum“ der öffent- lichen Gewalt gegenübersteht. Also das Publikum, sagt man, hat das Recht auf den Gemeingebrauch und der Einzelne übt ihn aus namens des Publikums, davon er eben ein Mitglied ist 5. In dieser Erscheinung des Publikums haben wir wohl den letzten Ausläufer der alten Genossenschaftsidee zu begrüßen, womit sich diese nun gänzlich verflüchtigt. Denn daß das Publikum ebensowenig ein Rechtssubjekt als eine abgegrenzte Gesamtheit ist, war ja leicht zu erkennen. Und so mußte man sich denn zuletzt wohl entschließen, die unverhüllte Wahrheit anzuerkennen: daß dieses Recht einfach jedermann zusteht, dem Menschen als solchem 6. Also ein ursprüngliches, nicht verliehenes, von selbst bestehendes Recht für jedermann, ein angeborenes Recht, ein Menschenrecht auf Gebrauch der öffentlichen Sachen! Wie ist das denkbar? Die Schwierigkeit glaubt man häufig damit gelöst zu haben, daß man sagt: es sei eben ein publizistisches Recht, ein öffentlich- rechtlicher, verwaltungsrechtlicher Anspruch — offenbar mit dem Hinter- gedanken, daß man es mit einem solchen nicht so genau nehmen dürfe 7. Da können wir nicht mitthun. Die Civilisten bemühen sich redlich, diesem Recht eine feste 4 5 Wappäus, Dem Rechtsverkehr entzogene Sachen S. 112, 113. Jhering, Gutachten zum Baseler Schanzenstreit S. 38, macht ja deshalb das „Publikum“ geradewegs zum Eigentümer der öffentlichen Sache (oben § 35 Note 8). Vgl. auch O.Tr. 12. Juni 1852 (Str. 4 S. 244); O.Tr. 28. März 1873 (Str. 88 S. 341). Auch die Franzosen drücken sich gern so aus; Proudhon, dom. publ. I n. 220: „un droit d’usage ou d’usufruit établi sur ce fonds au profit du public.“ 6 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93): „das an öffentlichen Wegen jeder- mann zustehende Recht, welches, obgleich es publizistischer Natur ist, nach ge- meinem Rechte auch privatrechtlich gegen Störungen geschützt ist.“ Bekker, Pand. I S. 341: „Rechte, die allen zukommen“. 7 R.G. 13. Jan. 1882 (Reger III S. 93); R.G. 23. Febr. 1880 (Samml. I S. 366): „eine öffentlichrechtliche Befugnis“; Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 337: „kein Privatrecht, sondern ein verwaltungsrechtlicher Anspruch“; ebenda 1874 S. 43: „kein klagbares Privatrecht, sondern bloß (!) eine administrative Befugnis“. 4 ihres Bürgerrechts“; Bl. f. adm. Pr. 1874 S. 23: gegenüber allen juristischen Per- sonen, welche öffentliche Sachen besitzen, hat der Einzelne das Recht der Be- nützung „als Glied der Gesamtheit“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/126>, abgerufen am 24.11.2024.