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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

II. Die rechtliche Macht, die in allen diesen Dingen auf seiten
der Verwaltung erscheint, ist nun näher zu betrachten.

1. Es handelt sich nicht um ein Recht an dem betreffenden
Grundstück, welches dem Staate zustände, sondern um eine allgemeine
rechtliche Eigenschaft aller Grundstücke. Es giebt des-
halb auch keinen Punkt, der als Entstehung oder Endigung
eines solchen Rechtes bezeichnet werden könnte. Es giebt bloß
thatsächliche Anlässe, welche diese Eigenschaft im
Einzelfall und an dem einzelnen Grundstücke wirksam
werden lassen
und ein Aufhören dieser Wirksamkeit mit
dem Wegfallen jenes Grundes.

Diese Eigenschaft hängt den Grundstücken an auch ohne Gesetz;
oder wie wir sagen mögen: die Geltendmachung der Eigentums-
beschränkung bedarf keiner gesetzlichen Grundlage. Das Eigentum
ist in unserem Staats- und Rechtswesen von vornherein nur anerkannt
mit der Bestimmung, in gewissem Maße den Rücksichten der un-
gehemmten Verwaltungsthätigkeit weichen zu müssen; die darin be-
griffenen Einwirkungen sind dafür angesehen, daß sie nicht unter die
Vorbehalte des Gesetzes fallen, die verfassungsrechtlich zu Gunsten
des Eigentums der Unterthanen gemacht sind (Bd. I § 6, I n. 2).
Die vollziehende Gewalt wirkt dann frei und die verhältnismäßige
Wehrlosigkeit des Grundstückes ist von selbst gegeben durch die
Ungleichheit der beteiligten Rechtssubjekte, des Rechts-
subjektes, dem es angehört, und des anderen, dessen Unternehmungen
daran stoßen13.

sind in diesem Sinne zahlreiche Entscheidungen des Bayr. Ob.G.H. ergangen, gegen
welche Luthardt in Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 366 ff. zu Gunsten einer Erweiterung
der Zuständigkeit der Civilgerichte lebhaft ankämpft. Später scheint die Recht-
sprechung schwankend geworden zu sein; Ob.G.H. 25. Juni 1872 und 17. Dez. 1872
(Bl. f. adm. Pr. 1873 S. 126 ff.). Aber auch hier wird noch anerkannt: die Ver-
waltungsbehörde könne in dieser Beziehung (wegen Zurückhaltung eines als öffent-
licher Weg benutzten Grundstückes) provisorische Verfügungen im öffentlichen
Interesse treffen. Das brauchen keine förmlichen Verwaltungsakte zu sein; das
Gericht hat jedenfalls nicht über sie zu urteilen. Mehr als mit solchen "vor-
läufigen" Zurückbehaltungen geschehen kann, will aber auch unser Rechtsinstitut
nicht bedeuten.
13 Deshalb sind gesetzliche Ordnungen nur bedeutsam zur Ergänzung, Er-
läuterung, Begrenzung des Eingriffes; vgl. oben Note 7--10. -- Nicht der über-
wiegende Wert des kollidierenden Interesses macht den Vorgang zulässig, wie
das wohl als Notstandsrecht zwischen Privaten gelten möchte (R. Merkel, Koll.
rechtm. Interessen S. 56); die Wertverschiedenheit der Rechtssubjekte ist im
öffentlichen Rechte das Erste und Ausschlaggebende; es kommt bloß darauf an, daß
ihr gegenüber den Schutzvorschriften der Verfassung Raum geschaffen ist, zu wirken.
§ 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

II. Die rechtliche Macht, die in allen diesen Dingen auf seiten
der Verwaltung erscheint, ist nun näher zu betrachten.

1. Es handelt sich nicht um ein Recht an dem betreffenden
Grundstück, welches dem Staate zustände, sondern um eine allgemeine
rechtliche Eigenschaft aller Grundstücke. Es giebt des-
halb auch keinen Punkt, der als Entstehung oder Endigung
eines solchen Rechtes bezeichnet werden könnte. Es giebt bloß
thatsächliche Anlässe, welche diese Eigenschaft im
Einzelfall und an dem einzelnen Grundstücke wirksam
werden lassen
und ein Aufhören dieser Wirksamkeit mit
dem Wegfallen jenes Grundes.

Diese Eigenschaft hängt den Grundstücken an auch ohne Gesetz;
oder wie wir sagen mögen: die Geltendmachung der Eigentums-
beschränkung bedarf keiner gesetzlichen Grundlage. Das Eigentum
ist in unserem Staats- und Rechtswesen von vornherein nur anerkannt
mit der Bestimmung, in gewissem Maße den Rücksichten der un-
gehemmten Verwaltungsthätigkeit weichen zu müssen; die darin be-
griffenen Einwirkungen sind dafür angesehen, daß sie nicht unter die
Vorbehalte des Gesetzes fallen, die verfassungsrechtlich zu Gunsten
des Eigentums der Unterthanen gemacht sind (Bd. I § 6, I n. 2).
Die vollziehende Gewalt wirkt dann frei und die verhältnismäßige
Wehrlosigkeit des Grundstückes ist von selbst gegeben durch die
Ungleichheit der beteiligten Rechtssubjekte, des Rechts-
subjektes, dem es angehört, und des anderen, dessen Unternehmungen
daran stoßen13.

sind in diesem Sinne zahlreiche Entscheidungen des Bayr. Ob.G.H. ergangen, gegen
welche Luthardt in Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 366 ff. zu Gunsten einer Erweiterung
der Zuständigkeit der Civilgerichte lebhaft ankämpft. Später scheint die Recht-
sprechung schwankend geworden zu sein; Ob.G.H. 25. Juni 1872 und 17. Dez. 1872
(Bl. f. adm. Pr. 1873 S. 126 ff.). Aber auch hier wird noch anerkannt: die Ver-
waltungsbehörde könne in dieser Beziehung (wegen Zurückhaltung eines als öffent-
licher Weg benutzten Grundstückes) provisorische Verfügungen im öffentlichen
Interesse treffen. Das brauchen keine förmlichen Verwaltungsakte zu sein; das
Gericht hat jedenfalls nicht über sie zu urteilen. Mehr als mit solchen „vor-
läufigen“ Zurückbehaltungen geschehen kann, will aber auch unser Rechtsinstitut
nicht bedeuten.
13 Deshalb sind gesetzliche Ordnungen nur bedeutsam zur Ergänzung, Er-
läuterung, Begrenzung des Eingriffes; vgl. oben Note 7—10. — Nicht der über-
wiegende Wert des kollidierenden Interesses macht den Vorgang zulässig, wie
das wohl als Notstandsrecht zwischen Privaten gelten möchte (R. Merkel, Koll.
rechtm. Interessen S. 56); die Wertverschiedenheit der Rechtssubjekte ist im
öffentlichen Rechte das Erste und Ausschlaggebende; es kommt bloß darauf an, daß
ihr gegenüber den Schutzvorschriften der Verfassung Raum geschaffen ist, zu wirken.
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[187/0199] § 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung. II. Die rechtliche Macht, die in allen diesen Dingen auf seiten der Verwaltung erscheint, ist nun näher zu betrachten. 1. Es handelt sich nicht um ein Recht an dem betreffenden Grundstück, welches dem Staate zustände, sondern um eine allgemeine rechtliche Eigenschaft aller Grundstücke. Es giebt des- halb auch keinen Punkt, der als Entstehung oder Endigung eines solchen Rechtes bezeichnet werden könnte. Es giebt bloß thatsächliche Anlässe, welche diese Eigenschaft im Einzelfall und an dem einzelnen Grundstücke wirksam werden lassen und ein Aufhören dieser Wirksamkeit mit dem Wegfallen jenes Grundes. Diese Eigenschaft hängt den Grundstücken an auch ohne Gesetz; oder wie wir sagen mögen: die Geltendmachung der Eigentums- beschränkung bedarf keiner gesetzlichen Grundlage. Das Eigentum ist in unserem Staats- und Rechtswesen von vornherein nur anerkannt mit der Bestimmung, in gewissem Maße den Rücksichten der un- gehemmten Verwaltungsthätigkeit weichen zu müssen; die darin be- griffenen Einwirkungen sind dafür angesehen, daß sie nicht unter die Vorbehalte des Gesetzes fallen, die verfassungsrechtlich zu Gunsten des Eigentums der Unterthanen gemacht sind (Bd. I § 6, I n. 2). Die vollziehende Gewalt wirkt dann frei und die verhältnismäßige Wehrlosigkeit des Grundstückes ist von selbst gegeben durch die Ungleichheit der beteiligten Rechtssubjekte, des Rechts- subjektes, dem es angehört, und des anderen, dessen Unternehmungen daran stoßen 13. 12 13 Deshalb sind gesetzliche Ordnungen nur bedeutsam zur Ergänzung, Er- läuterung, Begrenzung des Eingriffes; vgl. oben Note 7—10. — Nicht der über- wiegende Wert des kollidierenden Interesses macht den Vorgang zulässig, wie das wohl als Notstandsrecht zwischen Privaten gelten möchte (R. Merkel, Koll. rechtm. Interessen S. 56); die Wertverschiedenheit der Rechtssubjekte ist im öffentlichen Rechte das Erste und Ausschlaggebende; es kommt bloß darauf an, daß ihr gegenüber den Schutzvorschriften der Verfassung Raum geschaffen ist, zu wirken. 12 sind in diesem Sinne zahlreiche Entscheidungen des Bayr. Ob.G.H. ergangen, gegen welche Luthardt in Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 366 ff. zu Gunsten einer Erweiterung der Zuständigkeit der Civilgerichte lebhaft ankämpft. Später scheint die Recht- sprechung schwankend geworden zu sein; Ob.G.H. 25. Juni 1872 und 17. Dez. 1872 (Bl. f. adm. Pr. 1873 S. 126 ff.). Aber auch hier wird noch anerkannt: die Ver- waltungsbehörde könne in dieser Beziehung (wegen Zurückhaltung eines als öffent- licher Weg benutzten Grundstückes) provisorische Verfügungen im öffentlichen Interesse treffen. Das brauchen keine förmlichen Verwaltungsakte zu sein; das Gericht hat jedenfalls nicht über sie zu urteilen. Mehr als mit solchen „vor- läufigen“ Zurückbehaltungen geschehen kann, will aber auch unser Rechtsinstitut nicht bedeuten.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/199>, abgerufen am 21.11.2024.