Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
denn die Entschädigung findet auch statt, wenn der Staat gar keinen
entsprechenden Vorteil dabei gehabt hat, und immer nimmt sie ihr
Maß nur aus dem Schaden, nicht aus dem etwaigen Gewinn auf der
andern Seite. Bereicherung wie Delikt sind zufällige Neben-
erscheinungen, welche sich in den Voraussetzungen unserer Ent-
schädigung bald finden, bald nicht.

Der Grundgedanke, auf welchem diese Entschädigung beruht, ist
ein völlig selbständiger, ganz und gar dem Gedankenkreise des öffent-
lichen Rechtes angehöriger: der Vermögensnachteil wird ausgeglichen
wegen der Ungerechtigkeit, die darin liegt, daß er dem Be-
troffenen zugefügt wurde.

Der Staat tritt seinen Unterthanen mannigfach gegenüber, um
ihnen Vermögensnachteil zu bereiten. Das soll nur rechtmäßiger-
weise geschehen; die Forderung der Gerechtigkeit steht aber noch
außerdem darüber.

Gerecht ist der Eingriff, wenn er durch den Betroffenen selbst
veranlaßt ist, ihn nicht von freien Stücken in Anspruch nimmt, sondern
nur eine Vergeltung bedeutet. Gerecht ist auch der Eingriff, der von
freien Stücken erfolgt, wenn er gleichmäßig belastet, für sich oder
im Zusammenhang mit anderen Belastungen einen auf Ausgleich be-
rechneten Maßstab durchführt. Die Ordnungen unserer öffentlichen
Gewalt sind darauf gerichtet, ihre Inanspruchnahme des Unterthanen
von vornherein möglichst nur im Sinne solcher ausgleichenden Ge-
rechtigkeit vor sich gehen zu lassen. Allgemein und unbedingt durch-
führbar ist das nicht. Die Zufälligkeit der Bedürfnisse und die Un-
vollkommenheit der Mittel, mit welchen gearbeitet wird, führen im
Einzelfalle thatsächlich doch zu ungleichen Belastungen. Wir be-
zeichnen das als ein besonderes Opfer, das dem Betroffenen zu-
gemutet wird: ein Opfer, sofern ihn der Nachteil nicht als Ver-
geltung, sondern von freien Stücken trifft, und ein besonderes
Opfer, weil er ihn ungleich trifft, ihn auszeichnet vor den Anderen,
denen nicht eine gleiche entsprechende Last zugemessen ist1.

1 Dieser grundlegende Gedankengang ist wieder am klarsten zum Ausdruck
gekommen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 373. Ähnlich Pfeiffer, Prakt.
Ausf. III S. 288; F. F. Mayer, Grunds. S. 433; Haus in Lotz Nachrichten
S. 338; Bähr, Rechtsstaat S. 163; Grünhut, Ent.R. S. 10. Überall ist es die
materielle Gerechtigkeit, das gleiche Maß der Belastung, die Gleichheit, welche
man durch eine derartige Schädigung verletzt erkennt. Der Ausdruck "Opfer",
"besonderes Opfer", den wir dafür bei Pfeiffer, F. F. Mayer, Bähr, Grünhut
u. s. w. finden, ist in der preußischen Gesetzgebung angenommen: A.L.R. Einl.
§ 75; Ges. v. 11. Mai 1841 über den Rechtsweg gegen pol. Verf. § 4.

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
denn die Entschädigung findet auch statt, wenn der Staat gar keinen
entsprechenden Vorteil dabei gehabt hat, und immer nimmt sie ihr
Maß nur aus dem Schaden, nicht aus dem etwaigen Gewinn auf der
andern Seite. Bereicherung wie Delikt sind zufällige Neben-
erscheinungen, welche sich in den Voraussetzungen unserer Ent-
schädigung bald finden, bald nicht.

Der Grundgedanke, auf welchem diese Entschädigung beruht, ist
ein völlig selbständiger, ganz und gar dem Gedankenkreise des öffent-
lichen Rechtes angehöriger: der Vermögensnachteil wird ausgeglichen
wegen der Ungerechtigkeit, die darin liegt, daß er dem Be-
troffenen zugefügt wurde.

Der Staat tritt seinen Unterthanen mannigfach gegenüber, um
ihnen Vermögensnachteil zu bereiten. Das soll nur rechtmäßiger-
weise geschehen; die Forderung der Gerechtigkeit steht aber noch
außerdem darüber.

Gerecht ist der Eingriff, wenn er durch den Betroffenen selbst
veranlaßt ist, ihn nicht von freien Stücken in Anspruch nimmt, sondern
nur eine Vergeltung bedeutet. Gerecht ist auch der Eingriff, der von
freien Stücken erfolgt, wenn er gleichmäßig belastet, für sich oder
im Zusammenhang mit anderen Belastungen einen auf Ausgleich be-
rechneten Maßstab durchführt. Die Ordnungen unserer öffentlichen
Gewalt sind darauf gerichtet, ihre Inanspruchnahme des Unterthanen
von vornherein möglichst nur im Sinne solcher ausgleichenden Ge-
rechtigkeit vor sich gehen zu lassen. Allgemein und unbedingt durch-
führbar ist das nicht. Die Zufälligkeit der Bedürfnisse und die Un-
vollkommenheit der Mittel, mit welchen gearbeitet wird, führen im
Einzelfalle thatsächlich doch zu ungleichen Belastungen. Wir be-
zeichnen das als ein besonderes Opfer, das dem Betroffenen zu-
gemutet wird: ein Opfer, sofern ihn der Nachteil nicht als Ver-
geltung, sondern von freien Stücken trifft, und ein besonderes
Opfer, weil er ihn ungleich trifft, ihn auszeichnet vor den Anderen,
denen nicht eine gleiche entsprechende Last zugemessen ist1.

1 Dieser grundlegende Gedankengang ist wieder am klarsten zum Ausdruck
gekommen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 373. Ähnlich Pfeiffer, Prakt.
Ausf. III S. 288; F. F. Mayer, Grunds. S. 433; Haus in Lotz Nachrichten
S. 338; Bähr, Rechtsstaat S. 163; Grünhut, Ent.R. S. 10. Überall ist es die
materielle Gerechtigkeit, das gleiche Maß der Belastung, die Gleichheit, welche
man durch eine derartige Schädigung verletzt erkennt. Der Ausdruck „Opfer“,
„besonderes Opfer“, den wir dafür bei Pfeiffer, F. F. Mayer, Bähr, Grünhut
u. s. w. finden, ist in der preußischen Gesetzgebung angenommen: A.L.R. Einl.
§ 75; Ges. v. 11. Mai 1841 über den Rechtsweg gegen pol. Verf. § 4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0358" n="346"/><fw place="top" type="header">Recht der besonderen Schuldverhältnisse.</fw><lb/>
denn die Entschädigung findet auch statt, wenn der Staat gar keinen<lb/>
entsprechenden Vorteil dabei gehabt hat, und immer nimmt sie ihr<lb/>
Maß nur aus dem Schaden, nicht aus dem etwaigen Gewinn auf der<lb/>
andern Seite. Bereicherung wie Delikt sind zufällige Neben-<lb/>
erscheinungen, welche sich in den Voraussetzungen unserer Ent-<lb/>
schädigung bald finden, bald nicht.</p><lb/>
              <p>Der Grundgedanke, auf welchem diese Entschädigung beruht, ist<lb/>
ein völlig selbständiger, ganz und gar dem Gedankenkreise des öffent-<lb/>
lichen Rechtes angehöriger: der Vermögensnachteil wird ausgeglichen<lb/>
wegen der <hi rendition="#g">Ungerechtigkeit,</hi> die darin liegt, daß er dem Be-<lb/>
troffenen zugefügt wurde.</p><lb/>
              <p>Der Staat tritt seinen Unterthanen mannigfach gegenüber, um<lb/>
ihnen Vermögensnachteil zu bereiten. Das soll nur rechtmäßiger-<lb/>
weise geschehen; die Forderung der Gerechtigkeit steht aber noch<lb/>
außerdem darüber.</p><lb/>
              <p>Gerecht ist der Eingriff, wenn er durch den Betroffenen selbst<lb/>
veranlaßt ist, ihn nicht von freien Stücken in Anspruch nimmt, sondern<lb/>
nur eine Vergeltung bedeutet. Gerecht ist auch der Eingriff, der von<lb/>
freien Stücken erfolgt, wenn er <hi rendition="#g">gleichmäßig</hi> belastet, für sich oder<lb/>
im Zusammenhang mit anderen Belastungen einen auf Ausgleich be-<lb/>
rechneten Maßstab durchführt. Die Ordnungen unserer öffentlichen<lb/>
Gewalt sind darauf gerichtet, ihre Inanspruchnahme des Unterthanen<lb/>
von vornherein möglichst nur im Sinne solcher ausgleichenden Ge-<lb/>
rechtigkeit vor sich gehen zu lassen. Allgemein und unbedingt durch-<lb/>
führbar ist das nicht. Die Zufälligkeit der Bedürfnisse und die Un-<lb/>
vollkommenheit der Mittel, mit welchen gearbeitet wird, führen im<lb/>
Einzelfalle thatsächlich doch zu ungleichen Belastungen. Wir be-<lb/>
zeichnen das als ein <hi rendition="#g">besonderes Opfer,</hi> das dem Betroffenen zu-<lb/>
gemutet wird: ein <hi rendition="#g">Opfer,</hi> sofern ihn der Nachteil nicht als Ver-<lb/>
geltung, sondern von freien Stücken trifft, und ein <hi rendition="#g">besonderes</hi><lb/>
Opfer, weil er ihn ungleich trifft, ihn auszeichnet vor den Anderen,<lb/>
denen nicht eine gleiche entsprechende Last zugemessen ist<note place="foot" n="1">Dieser grundlegende Gedankengang ist wieder am klarsten zum Ausdruck<lb/>
gekommen bei v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 373. Ähnlich <hi rendition="#g">Pfeiffer,</hi> Prakt.<lb/>
Ausf. III S. 288; F. F. <hi rendition="#g">Mayer,</hi> Grunds. S. 433; <hi rendition="#g">Haus</hi> in Lotz Nachrichten<lb/>
S. 338; <hi rendition="#g">Bähr,</hi> Rechtsstaat S. 163; <hi rendition="#g">Grünhut,</hi> Ent.R. S. 10. Überall ist es die<lb/>
materielle Gerechtigkeit, das gleiche Maß der Belastung, die Gleichheit, welche<lb/>
man durch eine derartige Schädigung verletzt erkennt. Der Ausdruck &#x201E;Opfer&#x201C;,<lb/>
&#x201E;besonderes Opfer&#x201C;, den wir dafür bei <hi rendition="#g">Pfeiffer,</hi> F. F. <hi rendition="#g">Mayer, Bähr, Grünhut</hi><lb/>
u. s. w. finden, ist in der preußischen Gesetzgebung angenommen: A.L.R. Einl.<lb/>
§ 75; Ges. v. 11. Mai 1841 über den Rechtsweg gegen pol. Verf. § 4.</note>.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0358] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. denn die Entschädigung findet auch statt, wenn der Staat gar keinen entsprechenden Vorteil dabei gehabt hat, und immer nimmt sie ihr Maß nur aus dem Schaden, nicht aus dem etwaigen Gewinn auf der andern Seite. Bereicherung wie Delikt sind zufällige Neben- erscheinungen, welche sich in den Voraussetzungen unserer Ent- schädigung bald finden, bald nicht. Der Grundgedanke, auf welchem diese Entschädigung beruht, ist ein völlig selbständiger, ganz und gar dem Gedankenkreise des öffent- lichen Rechtes angehöriger: der Vermögensnachteil wird ausgeglichen wegen der Ungerechtigkeit, die darin liegt, daß er dem Be- troffenen zugefügt wurde. Der Staat tritt seinen Unterthanen mannigfach gegenüber, um ihnen Vermögensnachteil zu bereiten. Das soll nur rechtmäßiger- weise geschehen; die Forderung der Gerechtigkeit steht aber noch außerdem darüber. Gerecht ist der Eingriff, wenn er durch den Betroffenen selbst veranlaßt ist, ihn nicht von freien Stücken in Anspruch nimmt, sondern nur eine Vergeltung bedeutet. Gerecht ist auch der Eingriff, der von freien Stücken erfolgt, wenn er gleichmäßig belastet, für sich oder im Zusammenhang mit anderen Belastungen einen auf Ausgleich be- rechneten Maßstab durchführt. Die Ordnungen unserer öffentlichen Gewalt sind darauf gerichtet, ihre Inanspruchnahme des Unterthanen von vornherein möglichst nur im Sinne solcher ausgleichenden Ge- rechtigkeit vor sich gehen zu lassen. Allgemein und unbedingt durch- führbar ist das nicht. Die Zufälligkeit der Bedürfnisse und die Un- vollkommenheit der Mittel, mit welchen gearbeitet wird, führen im Einzelfalle thatsächlich doch zu ungleichen Belastungen. Wir be- zeichnen das als ein besonderes Opfer, das dem Betroffenen zu- gemutet wird: ein Opfer, sofern ihn der Nachteil nicht als Ver- geltung, sondern von freien Stücken trifft, und ein besonderes Opfer, weil er ihn ungleich trifft, ihn auszeichnet vor den Anderen, denen nicht eine gleiche entsprechende Last zugemessen ist 1. 1 Dieser grundlegende Gedankengang ist wieder am klarsten zum Ausdruck gekommen bei v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 373. Ähnlich Pfeiffer, Prakt. Ausf. III S. 288; F. F. Mayer, Grunds. S. 433; Haus in Lotz Nachrichten S. 338; Bähr, Rechtsstaat S. 163; Grünhut, Ent.R. S. 10. Überall ist es die materielle Gerechtigkeit, das gleiche Maß der Belastung, die Gleichheit, welche man durch eine derartige Schädigung verletzt erkennt. Der Ausdruck „Opfer“, „besonderes Opfer“, den wir dafür bei Pfeiffer, F. F. Mayer, Bähr, Grünhut u. s. w. finden, ist in der preußischen Gesetzgebung angenommen: A.L.R. Einl. § 75; Ges. v. 11. Mai 1841 über den Rechtsweg gegen pol. Verf. § 4.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/358
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/358>, abgerufen am 22.11.2024.