Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.§ 59. Die Aufsichtsgewalt. naturgemäß, in einer solchen Abhängigkeit zu stehen. Man wird alsowenigstens für die schlimmsten Fälle durch die Annahme still- schweigender gesetzlicher Ermächtigungen oder statutenmäßiger Vor- behalte zu helfen suchen. Wo das nicht angeht, kann es zweifelhaft werden, ob nicht vielmehr eine juristische Person des Civilrechtes und kein Selbstverwaltungskörper vorliegt. Rechtlich unmöglich ist ein solcher auch dann nicht: die Aufsichtsgewalt ist für ihn ein naturale, aber kein essentiale5. Die Formen, in welchen die Geltendmachung der Aufsichts- 1. Zum Zwecke der Ausübung der Aufsichtsgewalt werden obrig- Sie sind Verwaltungsakte, sofern sie ein Verhältnis der öffent- 5 Vgl. oben § 55 Note 15. 6 Es handelt sich hier zunächst um eine Einteilung der "Mittel der Aufsichts-
führung", wie Gierke, Gen.Theorie S. 659, es ausdrückt; S. 658 teilt er ein: "Je nachdem so ein negatives oder ein positives Verhalten erzielt werden soll, wird sich die Aufsicht durch Verbot oder Gebot äußern". Leidig, Preuß. Stadt.R., der ihm sonst zu folgen pflegt, setzt dafür eine negative und eine positive Aufgabe der Aufsicht (§ 500 ff.). Das ist keine Einteilung der Mittel mehr, sondern der Art ihrer Verwendung (unten II). Diese Abweichung von Gierke rächt sich alsbald durch eine große Verwirrung, vermöge deren er sogar die Zwangseinschreibung zur Herbeiführung gesetzlicher Leistungen unter die negativen Aufgaben stellt. § 59. Die Aufsichtsgewalt. naturgemäß, in einer solchen Abhängigkeit zu stehen. Man wird alsowenigstens für die schlimmsten Fälle durch die Annahme still- schweigender gesetzlicher Ermächtigungen oder statutenmäßiger Vor- behalte zu helfen suchen. Wo das nicht angeht, kann es zweifelhaft werden, ob nicht vielmehr eine juristische Person des Civilrechtes und kein Selbstverwaltungskörper vorliegt. Rechtlich unmöglich ist ein solcher auch dann nicht: die Aufsichtsgewalt ist für ihn ein naturale, aber kein essentiale5. Die Formen, in welchen die Geltendmachung der Aufsichts- 1. Zum Zwecke der Ausübung der Aufsichtsgewalt werden obrig- Sie sind Verwaltungsakte, sofern sie ein Verhältnis der öffent- 5 Vgl. oben § 55 Note 15. 6 Es handelt sich hier zunächst um eine Einteilung der „Mittel der Aufsichts-
führung“, wie Gierke, Gen.Theorie S. 659, es ausdrückt; S. 658 teilt er ein: „Je nachdem so ein negatives oder ein positives Verhalten erzielt werden soll, wird sich die Aufsicht durch Verbot oder Gebot äußern“. Leidig, Preuß. Stadt.R., der ihm sonst zu folgen pflegt, setzt dafür eine negative und eine positive Aufgabe der Aufsicht (§ 500 ff.). Das ist keine Einteilung der Mittel mehr, sondern der Art ihrer Verwendung (unten II). Diese Abweichung von Gierke rächt sich alsbald durch eine große Verwirrung, vermöge deren er sogar die Zwangseinschreibung zur Herbeiführung gesetzlicher Leistungen unter die negativen Aufgaben stellt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0425" n="413"/><fw place="top" type="header">§ 59. Die Aufsichtsgewalt.</fw><lb/> naturgemäß, in einer solchen Abhängigkeit zu stehen. Man wird also<lb/> wenigstens für die schlimmsten Fälle durch die Annahme still-<lb/> schweigender gesetzlicher Ermächtigungen oder statutenmäßiger Vor-<lb/> behalte zu helfen suchen. Wo das nicht angeht, kann es zweifelhaft<lb/> werden, ob nicht vielmehr eine juristische Person des Civilrechtes und<lb/> kein Selbstverwaltungskörper vorliegt. Rechtlich unmöglich ist ein<lb/> solcher auch dann nicht: die Aufsichtsgewalt ist für ihn ein naturale,<lb/> aber kein essentiale<note place="foot" n="5">Vgl. oben § 55 Note 15.</note>.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Formen,</hi> in welchen die Geltendmachung der Aufsichts-<lb/> gewalt erscheint, sind wesentlich zweierlei Art. Das Vorbild von<lb/> Befehl und Zwang giebt die Grundzüge der Einteilung und wird auch<lb/> in der üblichen Ausdrucksweise gern angerufen<note place="foot" n="6">Es handelt sich hier zunächst um eine Einteilung der „Mittel der Aufsichts-<lb/> führung“, wie <hi rendition="#g">Gierke,</hi> Gen.Theorie S. 659, es ausdrückt; S. 658 teilt er ein:<lb/> „Je nachdem so ein negatives oder ein positives Verhalten erzielt werden soll,<lb/> wird sich die Aufsicht durch Verbot oder Gebot äußern“. <hi rendition="#g">Leidig,</hi> Preuß.<lb/> Stadt.R., der ihm sonst zu folgen pflegt, setzt dafür eine negative und eine positive<lb/><hi rendition="#g">Aufgabe</hi> der Aufsicht (§ 500 ff.). Das ist keine Einteilung der Mittel mehr,<lb/> sondern der Art ihrer Verwendung (unten II). Diese Abweichung von <hi rendition="#g">Gierke</hi><lb/> rächt sich alsbald durch eine große Verwirrung, vermöge deren er sogar die<lb/> Zwangseinschreibung zur Herbeiführung gesetzlicher Leistungen unter die negativen<lb/> Aufgaben stellt.</note>. Doch gilt das immer<lb/> nur vergleichsweise.</p><lb/> <p>1. Zum Zwecke der Ausübung der Aufsichtsgewalt werden obrig-<lb/> keitliche Aussprüche über den Selbstverwaltungskörper erlassen, um<lb/> im Einzelfall zu bestimmen, was für ihn Rechtens sein soll; <hi rendition="#g">auf-<lb/> sichtsrechtliche Befehle</hi> nennt man das wohl; <hi rendition="#g">aufsichts-<lb/> rechtliche Festsetzungsakte</hi> wäre besser gesagt.</p><lb/> <p>Sie sind Verwaltungsakte, sofern sie ein Verhältnis der öffent-<lb/> lichen Gewalt, das des Staates zum Selbstverwaltungskörper zum Gegen-<lb/> stande haben; aufsichtsrechtliche Verwaltungsakte, sofern sie die im<lb/> Wesen des Selbstverwaltungskörpers liegende besondere Zugehörigkeit<lb/> zum Staate zur Geltung bringen. Indem sie bestimmen, was für den<lb/> Selbstverwaltungskörper Rechtens ist, sind sie mittelbar bindend für<lb/> dessen Vertreterschaft, die nur nach dieser Maßgabe rechtmäßig für<lb/> ihn handelt. Aber das Rechtssubjekt, über das sie ergehen, ist in<lb/> erster Linie und unmittelbar nur die juristische Person selbst. Wenn<lb/> wir hierfür die Ausdrücke aus dem Begriffskreise des Befehls zur Ver-<lb/> wendung bringen, so darf man sie nicht in strengem Sinne verstehen;<lb/> Gebot, Verbot, Erlaubnis finden nur annähernde Seitenstücke.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0425]
§ 59. Die Aufsichtsgewalt.
naturgemäß, in einer solchen Abhängigkeit zu stehen. Man wird also
wenigstens für die schlimmsten Fälle durch die Annahme still-
schweigender gesetzlicher Ermächtigungen oder statutenmäßiger Vor-
behalte zu helfen suchen. Wo das nicht angeht, kann es zweifelhaft
werden, ob nicht vielmehr eine juristische Person des Civilrechtes und
kein Selbstverwaltungskörper vorliegt. Rechtlich unmöglich ist ein
solcher auch dann nicht: die Aufsichtsgewalt ist für ihn ein naturale,
aber kein essentiale 5.
Die Formen, in welchen die Geltendmachung der Aufsichts-
gewalt erscheint, sind wesentlich zweierlei Art. Das Vorbild von
Befehl und Zwang giebt die Grundzüge der Einteilung und wird auch
in der üblichen Ausdrucksweise gern angerufen 6. Doch gilt das immer
nur vergleichsweise.
1. Zum Zwecke der Ausübung der Aufsichtsgewalt werden obrig-
keitliche Aussprüche über den Selbstverwaltungskörper erlassen, um
im Einzelfall zu bestimmen, was für ihn Rechtens sein soll; auf-
sichtsrechtliche Befehle nennt man das wohl; aufsichts-
rechtliche Festsetzungsakte wäre besser gesagt.
Sie sind Verwaltungsakte, sofern sie ein Verhältnis der öffent-
lichen Gewalt, das des Staates zum Selbstverwaltungskörper zum Gegen-
stande haben; aufsichtsrechtliche Verwaltungsakte, sofern sie die im
Wesen des Selbstverwaltungskörpers liegende besondere Zugehörigkeit
zum Staate zur Geltung bringen. Indem sie bestimmen, was für den
Selbstverwaltungskörper Rechtens ist, sind sie mittelbar bindend für
dessen Vertreterschaft, die nur nach dieser Maßgabe rechtmäßig für
ihn handelt. Aber das Rechtssubjekt, über das sie ergehen, ist in
erster Linie und unmittelbar nur die juristische Person selbst. Wenn
wir hierfür die Ausdrücke aus dem Begriffskreise des Befehls zur Ver-
wendung bringen, so darf man sie nicht in strengem Sinne verstehen;
Gebot, Verbot, Erlaubnis finden nur annähernde Seitenstücke.
5 Vgl. oben § 55 Note 15.
6 Es handelt sich hier zunächst um eine Einteilung der „Mittel der Aufsichts-
führung“, wie Gierke, Gen.Theorie S. 659, es ausdrückt; S. 658 teilt er ein:
„Je nachdem so ein negatives oder ein positives Verhalten erzielt werden soll,
wird sich die Aufsicht durch Verbot oder Gebot äußern“. Leidig, Preuß.
Stadt.R., der ihm sonst zu folgen pflegt, setzt dafür eine negative und eine positive
Aufgabe der Aufsicht (§ 500 ff.). Das ist keine Einteilung der Mittel mehr,
sondern der Art ihrer Verwendung (unten II). Diese Abweichung von Gierke
rächt sich alsbald durch eine große Verwirrung, vermöge deren er sogar die
Zwangseinschreibung zur Herbeiführung gesetzlicher Leistungen unter die negativen
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