Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.§ 60. Selbstverwaltungslasten und Ausgleichungen. Rechtsgeschäft und die daraus entspringenden Ansprüche gehörenzweifellos dem öffentlichen Rechte an. Die beteiligten Personen stehen sich nichtsdestoweniger darin als gleiche gegenüber; insofern würde für die Anwendung des Vertragsbegriffs hier kein Hindernis vorliegen. Zum Wesen des Vertrags gehört aber auch, daß er rechtswirksam wird durch einen darüber stehenden Rechtssatz, der diesen Willens- erklärungen die Kraft verleiht. Ein solcher Rechtssatz wird in vielen, wohl den meisten Fällen für derartige Übereinkommen nicht nach- zuweisen sein15. Wir sind deshalb genötigt, eine selbständig wirkende Kraft in dem Akte anzunehmen. Was darin zum Ausdruck kommt, ist die in der Natur des Selbstverwaltungskörpers gegebene Zuständig- keit, die ihm obliegenden Aufgaben näher zu bestimmen und zur Verwirklichung zu führen. Bei unseren als gemeinsam anerkannten Unternehmungen wird diese Bestimmung durch den gemeinsamen Akt gegeben, den man als Vertrag bezeichnet. Als gemeinsame Be- stimmung kann sie einseitig nicht wieder aufgehoben werden; es ist in ihr einem Jeden Willensmacht eingeräumt über den dadurch ge- bundenen Vollzug auch auf der anderen Seite; das bedeutet sub- jektive öffentliche Rechte, die als solche geschützt sind. Ein Vertrag im juristischen Sinne dieses Wortes ist das nicht16. Es kann sich bei diesen Dingen um Aufgaben handeln, welche Straßenbau einer "Societät" von Gemeinden mit Zuschuß der Provinz; O.V.G. 9. Febr. 1889: Kreistierarzt von Staat bestellt mit Gehaltszuschuß des Kreises; Sächs. M. d. K. 17. Juli 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 367): gemeinsame Schule von der einen Gemeinde unterhalten mit Zuschuß der anderen. Die Bayr. Praxis behandelt auch solche Verträge als öffentlichrechtliche: V.G.H. 29. Dez. 1879 (Samml. I S. 50) und vor allem das bedeutsame Gutachten von Seydel in Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 96 ff. 15 Jellinek, Subj öff. R. S. 211, sieht diese Schwierigkeit sehr wohl. Daß aber der Vertrag, wie er sagt, eine allgemeine Rechtsform ist, und "gewisse all- gemeine Elemente des Vertrags vorhanden sind, die auch ohne ausdrückliche An- erkennung durch den Gesetzgeber objektives Vertragsrecht bilden", scheint uns keine Lösung zu geben. "Gewisse allgemeine Elemente" sind doch keine Rechts- sätze, und solche brauchen wir. 16 Viel eher dürfte hier der Begriff der Vereinbarung zutreffen, den man
neuerdings dem Vertrag an die Seite stellt: Binding, Gründung des Nordd. Bdes. S. 69 ff.; Jellinek, Subj. öff. R. S. 193 ff.; Kunze, Der Gesamtakt S. 29 ff. Der letztere findet eine Anwendung dieses Gesamtaktes insbesondere im Gebiete des Gemeindelebens, "wo eine Anzahl von Einzelgemeinden zu einem Gesamtbunde zusammentreten" (S. 56). § 60. Selbstverwaltungslasten und Ausgleichungen. Rechtsgeschäft und die daraus entspringenden Ansprüche gehörenzweifellos dem öffentlichen Rechte an. Die beteiligten Personen stehen sich nichtsdestoweniger darin als gleiche gegenüber; insofern würde für die Anwendung des Vertragsbegriffs hier kein Hindernis vorliegen. Zum Wesen des Vertrags gehört aber auch, daß er rechtswirksam wird durch einen darüber stehenden Rechtssatz, der diesen Willens- erklärungen die Kraft verleiht. Ein solcher Rechtssatz wird in vielen, wohl den meisten Fällen für derartige Übereinkommen nicht nach- zuweisen sein15. Wir sind deshalb genötigt, eine selbständig wirkende Kraft in dem Akte anzunehmen. Was darin zum Ausdruck kommt, ist die in der Natur des Selbstverwaltungskörpers gegebene Zuständig- keit, die ihm obliegenden Aufgaben näher zu bestimmen und zur Verwirklichung zu führen. Bei unseren als gemeinsam anerkannten Unternehmungen wird diese Bestimmung durch den gemeinsamen Akt gegeben, den man als Vertrag bezeichnet. Als gemeinsame Be- stimmung kann sie einseitig nicht wieder aufgehoben werden; es ist in ihr einem Jeden Willensmacht eingeräumt über den dadurch ge- bundenen Vollzug auch auf der anderen Seite; das bedeutet sub- jektive öffentliche Rechte, die als solche geschützt sind. Ein Vertrag im juristischen Sinne dieses Wortes ist das nicht16. Es kann sich bei diesen Dingen um Aufgaben handeln, welche Straßenbau einer „Societät“ von Gemeinden mit Zuschuß der Provinz; O.V.G. 9. Febr. 1889: Kreistierarzt von Staat bestellt mit Gehaltszuschuß des Kreises; Sächs. M. d. K. 17. Juli 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 367): gemeinsame Schule von der einen Gemeinde unterhalten mit Zuschuß der anderen. Die Bayr. Praxis behandelt auch solche Verträge als öffentlichrechtliche: V.G.H. 29. Dez. 1879 (Samml. I S. 50) und vor allem das bedeutsame Gutachten von Seydel in Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 96 ff. 15 Jellinek, Subj öff. R. S. 211, sieht diese Schwierigkeit sehr wohl. Daß aber der Vertrag, wie er sagt, eine allgemeine Rechtsform ist, und „gewisse all- gemeine Elemente des Vertrags vorhanden sind, die auch ohne ausdrückliche An- erkennung durch den Gesetzgeber objektives Vertragsrecht bilden“, scheint uns keine Lösung zu geben. „Gewisse allgemeine Elemente“ sind doch keine Rechts- sätze, und solche brauchen wir. 16 Viel eher dürfte hier der Begriff der Vereinbarung zutreffen, den man
neuerdings dem Vertrag an die Seite stellt: Binding, Gründung des Nordd. Bdes. S. 69 ff.; Jellinek, Subj. öff. R. S. 193 ff.; Kunze, Der Gesamtakt S. 29 ff. Der letztere findet eine Anwendung dieses Gesamtaktes insbesondere im Gebiete des Gemeindelebens, „wo eine Anzahl von Einzelgemeinden zu einem Gesamtbunde zusammentreten“ (S. 56). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0443" n="431"/><fw place="top" type="header">§ 60. Selbstverwaltungslasten und Ausgleichungen.</fw><lb/> Rechtsgeschäft und die daraus entspringenden Ansprüche gehören<lb/> zweifellos dem öffentlichen Rechte an. Die beteiligten Personen stehen<lb/> sich nichtsdestoweniger darin als gleiche gegenüber; insofern würde für<lb/> die Anwendung des Vertragsbegriffs hier kein Hindernis vorliegen.<lb/> Zum Wesen des Vertrags gehört aber auch, daß er rechtswirksam<lb/> wird durch einen darüber stehenden Rechtssatz, der diesen Willens-<lb/> erklärungen die Kraft verleiht. Ein solcher Rechtssatz wird in vielen,<lb/> wohl den meisten Fällen für derartige Übereinkommen nicht nach-<lb/> zuweisen sein<note place="foot" n="15"><hi rendition="#g">Jellinek,</hi> Subj öff. R. S. 211, sieht diese Schwierigkeit sehr wohl. Daß<lb/> aber der Vertrag, wie er sagt, eine allgemeine Rechtsform ist, und „gewisse all-<lb/> gemeine Elemente des Vertrags vorhanden sind, die auch ohne ausdrückliche An-<lb/> erkennung durch den Gesetzgeber objektives Vertragsrecht bilden“, scheint uns<lb/> keine Lösung zu geben. „Gewisse allgemeine Elemente“ sind doch keine Rechts-<lb/> sätze, und solche brauchen wir.</note>. Wir sind deshalb genötigt, eine selbständig wirkende<lb/> Kraft in dem Akte anzunehmen. Was darin zum Ausdruck kommt,<lb/> ist die in der Natur des Selbstverwaltungskörpers gegebene Zuständig-<lb/> keit, die ihm obliegenden Aufgaben näher zu bestimmen und zur<lb/> Verwirklichung zu führen. Bei unseren als gemeinsam anerkannten<lb/> Unternehmungen wird diese Bestimmung durch den <hi rendition="#g">gemeinsamen<lb/> Akt</hi> gegeben, den man als Vertrag bezeichnet. Als gemeinsame Be-<lb/> stimmung kann sie einseitig nicht wieder aufgehoben werden; es ist<lb/> in ihr einem Jeden Willensmacht eingeräumt über den dadurch ge-<lb/> bundenen Vollzug auch auf der anderen Seite; das bedeutet sub-<lb/> jektive öffentliche Rechte, die als solche geschützt sind. Ein Vertrag<lb/> im juristischen Sinne dieses Wortes ist das nicht<note place="foot" n="16">Viel eher dürfte hier der Begriff der Vereinbarung zutreffen, den man<lb/> neuerdings dem Vertrag an die Seite stellt: <hi rendition="#g">Binding,</hi> Gründung des Nordd. Bdes.<lb/> S. 69 ff.; <hi rendition="#g">Jellinek,</hi> Subj. öff. R. S. 193 ff.; <hi rendition="#g">Kunze,</hi> Der Gesamtakt S. 29 ff.<lb/> Der letztere findet eine Anwendung dieses Gesamtaktes insbesondere im Gebiete<lb/> des Gemeindelebens, „wo eine Anzahl von Einzelgemeinden zu einem Gesamtbunde<lb/> zusammentreten“ (S. 56).</note>.</p><lb/> <p>Es kann sich bei diesen Dingen um Aufgaben handeln, welche<lb/> der Selbstverwaltungskörper zu erfüllen gebunden ist, um seiner selbst<lb/> willen, um Selbstverwaltungslasten (oben I n. 1); dann überwacht und<lb/> erzwingt die Aufsichtsbehörde die Erfüllung von Amtswegen. Aber<lb/> an sich wird das Unternehmen durch die Verpflichtung der anderen<lb/><note xml:id="seg2pn_124_2" prev="#seg2pn_124_1" place="foot" n="14">Straßenbau einer „Societät“ von Gemeinden mit Zuschuß der Provinz; O.V.G.<lb/> 9. Febr. 1889: Kreistierarzt von Staat bestellt mit Gehaltszuschuß des Kreises;<lb/> Sächs. M. d. K. 17. Juli 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 367): gemeinsame Schule<lb/> von der einen Gemeinde unterhalten mit Zuschuß der anderen. Die Bayr. Praxis<lb/> behandelt auch solche Verträge als öffentlichrechtliche: V.G.H. 29. Dez. 1879<lb/> (Samml. I S. 50) und vor allem das bedeutsame Gutachten von <hi rendition="#g">Seydel</hi> in Bl. f.<lb/> adm. Pr. 1886 S. 96 ff.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [431/0443]
§ 60. Selbstverwaltungslasten und Ausgleichungen.
Rechtsgeschäft und die daraus entspringenden Ansprüche gehören
zweifellos dem öffentlichen Rechte an. Die beteiligten Personen stehen
sich nichtsdestoweniger darin als gleiche gegenüber; insofern würde für
die Anwendung des Vertragsbegriffs hier kein Hindernis vorliegen.
Zum Wesen des Vertrags gehört aber auch, daß er rechtswirksam
wird durch einen darüber stehenden Rechtssatz, der diesen Willens-
erklärungen die Kraft verleiht. Ein solcher Rechtssatz wird in vielen,
wohl den meisten Fällen für derartige Übereinkommen nicht nach-
zuweisen sein 15. Wir sind deshalb genötigt, eine selbständig wirkende
Kraft in dem Akte anzunehmen. Was darin zum Ausdruck kommt,
ist die in der Natur des Selbstverwaltungskörpers gegebene Zuständig-
keit, die ihm obliegenden Aufgaben näher zu bestimmen und zur
Verwirklichung zu führen. Bei unseren als gemeinsam anerkannten
Unternehmungen wird diese Bestimmung durch den gemeinsamen
Akt gegeben, den man als Vertrag bezeichnet. Als gemeinsame Be-
stimmung kann sie einseitig nicht wieder aufgehoben werden; es ist
in ihr einem Jeden Willensmacht eingeräumt über den dadurch ge-
bundenen Vollzug auch auf der anderen Seite; das bedeutet sub-
jektive öffentliche Rechte, die als solche geschützt sind. Ein Vertrag
im juristischen Sinne dieses Wortes ist das nicht 16.
Es kann sich bei diesen Dingen um Aufgaben handeln, welche
der Selbstverwaltungskörper zu erfüllen gebunden ist, um seiner selbst
willen, um Selbstverwaltungslasten (oben I n. 1); dann überwacht und
erzwingt die Aufsichtsbehörde die Erfüllung von Amtswegen. Aber
an sich wird das Unternehmen durch die Verpflichtung der anderen
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15 Jellinek, Subj öff. R. S. 211, sieht diese Schwierigkeit sehr wohl. Daß
aber der Vertrag, wie er sagt, eine allgemeine Rechtsform ist, und „gewisse all-
gemeine Elemente des Vertrags vorhanden sind, die auch ohne ausdrückliche An-
erkennung durch den Gesetzgeber objektives Vertragsrecht bilden“, scheint uns
keine Lösung zu geben. „Gewisse allgemeine Elemente“ sind doch keine Rechts-
sätze, und solche brauchen wir.
16 Viel eher dürfte hier der Begriff der Vereinbarung zutreffen, den man
neuerdings dem Vertrag an die Seite stellt: Binding, Gründung des Nordd. Bdes.
S. 69 ff.; Jellinek, Subj. öff. R. S. 193 ff.; Kunze, Der Gesamtakt S. 29 ff.
Der letztere findet eine Anwendung dieses Gesamtaktes insbesondere im Gebiete
des Gemeindelebens, „wo eine Anzahl von Einzelgemeinden zu einem Gesamtbunde
zusammentreten“ (S. 56).
14 Straßenbau einer „Societät“ von Gemeinden mit Zuschuß der Provinz; O.V.G.
9. Febr. 1889: Kreistierarzt von Staat bestellt mit Gehaltszuschuß des Kreises;
Sächs. M. d. K. 17. Juli 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 367): gemeinsame Schule
von der einen Gemeinde unterhalten mit Zuschuß der anderen. Die Bayr. Praxis
behandelt auch solche Verträge als öffentlichrechtliche: V.G.H. 29. Dez. 1879
(Samml. I S. 50) und vor allem das bedeutsame Gutachten von Seydel in Bl. f.
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