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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.

Es kann sein, daß besondere Bestimmungen eingreifen, welche
eine Verschiebung bewirken. Der Enteignungsausspruch kann der
Anfechtung durch Rechtsmittel unterliegen. Dann ist möglicher-
weise die Wirksamkeit des Aktes und die Vollendung der Enteignung
hinausgeschoben bis zur Erledigung des Rechtsmittels oder Ablauf der
Frist für die Einlegung. Das Regelmäßige ist, wie in allen Ver-
waltungssachen, daß eine aufschiebende Bedeutung weder dem noch
möglichen, noch dem wirklich eingelegten Rechtsmittel zukommt.
Gegebenen Falles wird die eingetretene Wirkung rückwärts wieder
aufgehoben16.

denselben über." Freilich fügt er hinzu: "die Enteignungsgesetze haben zum Teil
abweichende Bestimmungen"; das ist in weitem Maße der Fall; jene Wirkungen
sind recht sehr anzuzweifeln. Aber lassen wir es dabei. Die Parteien sollen ge-
bunden sein, gegenseitige Pflichten entstanden sein, -- ist damit die Enteignung
perfekt? Was ist sie denn? Nach G. Meyer, V.R. I S. 280: "Derjenige Ver-
waltungsakt, durch welchen der Staat ... Eigentum entzieht". Kann sie perfekt
sein, bevor Eigentum entzogen ist? Die der früher aufgestellten Theorie ent-
lehnte Perfektionslehre stimmt mit der der neueren Auffassung entsprechenden Be-
griffsbestimmung nicht überein. -- Die "obligatorischen Verhältnisse", welche hier
eine so verhängnisvolle Rolle spielen, sind nichts anderes als Nebenwirkungen des
Fortgangs des Verfahrens: Verfügungsbeschränkungen des Enteigneten, Selbst-
betriebsrechte, die ihm zustehen, Entschädigungsverpflichtungen wegen Rücktritts;
davon unten III n. 2.
16 Grünhut, Ent.R. S. 187, bezeichnet richtig die Enteignung als perfekt,
"sobald die Staatsgewalt den Ausspruch über die Notwendigkeit der Abtretung des
bestimmten Grundstückes gefällt hat" (einfach: "über die Abtretung" wäre freilich
besser gesagt). Er fügt aber alsdann erläuternd hinzu: "Als Moment der Per-
fektion muß der Zeitpunkt angesehen werden, in welchem sich der Enteignete
dem Enteignungsantrage entweder ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen
oder die Rechtsmittel gegen den Enteignungsanspruch verbraucht hat." Ebenso
v. Rohland, Ent.R. S. 37, wörtlich den letzteren Satz wiederholend. Der-
selbe stammt in dieser Fassung von Burkhard in Ztschft. f. Civ.R. und Pr.
N. F. 6 (1849) S. 230. Burkhard hat aber gar nicht die neuere Vorstellung von
der Enteignung. Der Enteignungsausspruch ist ihm nicht der Mittelpunkt des
Vorganges, sondern der Enteignungsanspruch, den der Staat dadurch erhebt,
daß er als Unternehmer die Enteignung verlangt. Der Enteignungsausspruch ist
nur notwendig, wenn der Betroffene sich nicht fügt, also im Streitfall; dann wirkt
er wie ein das Enteignungsrecht anerkennendes Urteil. Dieser Auffassung ent-
spricht vollkommen die Alternative der Perfektionsbestimmung: Unterwerfung oder
Erschöpfung der Rechtsmittel. Für die Auffassung, welche auch Grünhut und
v. Rohland vertreten, wonach die Enteignung durch einen Verwaltungsakt sich
vollzieht, paßt diese Formel gar nicht mehr. -- Unsere Gesetzgebungen sind in
dieser Beziehung ganz unzweideutig. Preuß. Enteignungsges. § 32: "Die Ent-
eignung des Grundstücks wird auf Antrag des Unternehmers von der Bezirks-
regierung ausgesprochen, wenn u. s. w."; § 44: "Mit Zustellung des Enteignungs-
beschlusses (§ 32) an Eigentümer und Unternehmer geht das Eigentum des ent-
Das öffentliche Sachenrecht.

Es kann sein, daß besondere Bestimmungen eingreifen, welche
eine Verschiebung bewirken. Der Enteignungsausspruch kann der
Anfechtung durch Rechtsmittel unterliegen. Dann ist möglicher-
weise die Wirksamkeit des Aktes und die Vollendung der Enteignung
hinausgeschoben bis zur Erledigung des Rechtsmittels oder Ablauf der
Frist für die Einlegung. Das Regelmäßige ist, wie in allen Ver-
waltungssachen, daß eine aufschiebende Bedeutung weder dem noch
möglichen, noch dem wirklich eingelegten Rechtsmittel zukommt.
Gegebenen Falles wird die eingetretene Wirkung rückwärts wieder
aufgehoben16.

denselben über.“ Freilich fügt er hinzu: „die Enteignungsgesetze haben zum Teil
abweichende Bestimmungen“; das ist in weitem Maße der Fall; jene Wirkungen
sind recht sehr anzuzweifeln. Aber lassen wir es dabei. Die Parteien sollen ge-
bunden sein, gegenseitige Pflichten entstanden sein, — ist damit die Enteignung
perfekt? Was ist sie denn? Nach G. Meyer, V.R. I S. 280: „Derjenige Ver-
waltungsakt, durch welchen der Staat … Eigentum entzieht“. Kann sie perfekt
sein, bevor Eigentum entzogen ist? Die der früher aufgestellten Theorie ent-
lehnte Perfektionslehre stimmt mit der der neueren Auffassung entsprechenden Be-
griffsbestimmung nicht überein. — Die „obligatorischen Verhältnisse“, welche hier
eine so verhängnisvolle Rolle spielen, sind nichts anderes als Nebenwirkungen des
Fortgangs des Verfahrens: Verfügungsbeschränkungen des Enteigneten, Selbst-
betriebsrechte, die ihm zustehen, Entschädigungsverpflichtungen wegen Rücktritts;
davon unten III n. 2.
16 Grünhut, Ent.R. S. 187, bezeichnet richtig die Enteignung als perfekt,
„sobald die Staatsgewalt den Ausspruch über die Notwendigkeit der Abtretung des
bestimmten Grundstückes gefällt hat“ (einfach: „über die Abtretung“ wäre freilich
besser gesagt). Er fügt aber alsdann erläuternd hinzu: „Als Moment der Per-
fektion muß der Zeitpunkt angesehen werden, in welchem sich der Enteignete
dem Enteignungsantrage entweder ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen
oder die Rechtsmittel gegen den Enteignungsanspruch verbraucht hat.“ Ebenso
v. Rohland, Ent.R. S. 37, wörtlich den letzteren Satz wiederholend. Der-
selbe stammt in dieser Fassung von Burkhard in Ztschft. f. Civ.R. und Pr.
N. F. 6 (1849) S. 230. Burkhard hat aber gar nicht die neuere Vorstellung von
der Enteignung. Der Enteignungsausspruch ist ihm nicht der Mittelpunkt des
Vorganges, sondern der Enteignungsanspruch, den der Staat dadurch erhebt,
daß er als Unternehmer die Enteignung verlangt. Der Enteignungsausspruch ist
nur notwendig, wenn der Betroffene sich nicht fügt, also im Streitfall; dann wirkt
er wie ein das Enteignungsrecht anerkennendes Urteil. Dieser Auffassung ent-
spricht vollkommen die Alternative der Perfektionsbestimmung: Unterwerfung oder
Erschöpfung der Rechtsmittel. Für die Auffassung, welche auch Grünhut und
v. Rohland vertreten, wonach die Enteignung durch einen Verwaltungsakt sich
vollzieht, paßt diese Formel gar nicht mehr. — Unsere Gesetzgebungen sind in
dieser Beziehung ganz unzweideutig. Preuß. Enteignungsges. § 32: „Die Ent-
eignung des Grundstücks wird auf Antrag des Unternehmers von der Bezirks-
regierung ausgesprochen, wenn u. s. w.“; § 44: „Mit Zustellung des Enteignungs-
beschlusses (§ 32) an Eigentümer und Unternehmer geht das Eigentum des ent-
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[40/0052] Das öffentliche Sachenrecht. Es kann sein, daß besondere Bestimmungen eingreifen, welche eine Verschiebung bewirken. Der Enteignungsausspruch kann der Anfechtung durch Rechtsmittel unterliegen. Dann ist möglicher- weise die Wirksamkeit des Aktes und die Vollendung der Enteignung hinausgeschoben bis zur Erledigung des Rechtsmittels oder Ablauf der Frist für die Einlegung. Das Regelmäßige ist, wie in allen Ver- waltungssachen, daß eine aufschiebende Bedeutung weder dem noch möglichen, noch dem wirklich eingelegten Rechtsmittel zukommt. Gegebenen Falles wird die eingetretene Wirkung rückwärts wieder aufgehoben 16. 15 16 Grünhut, Ent.R. S. 187, bezeichnet richtig die Enteignung als perfekt, „sobald die Staatsgewalt den Ausspruch über die Notwendigkeit der Abtretung des bestimmten Grundstückes gefällt hat“ (einfach: „über die Abtretung“ wäre freilich besser gesagt). Er fügt aber alsdann erläuternd hinzu: „Als Moment der Per- fektion muß der Zeitpunkt angesehen werden, in welchem sich der Enteignete dem Enteignungsantrage entweder ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen oder die Rechtsmittel gegen den Enteignungsanspruch verbraucht hat.“ Ebenso v. Rohland, Ent.R. S. 37, wörtlich den letzteren Satz wiederholend. Der- selbe stammt in dieser Fassung von Burkhard in Ztschft. f. Civ.R. und Pr. N. F. 6 (1849) S. 230. Burkhard hat aber gar nicht die neuere Vorstellung von der Enteignung. Der Enteignungsausspruch ist ihm nicht der Mittelpunkt des Vorganges, sondern der Enteignungsanspruch, den der Staat dadurch erhebt, daß er als Unternehmer die Enteignung verlangt. Der Enteignungsausspruch ist nur notwendig, wenn der Betroffene sich nicht fügt, also im Streitfall; dann wirkt er wie ein das Enteignungsrecht anerkennendes Urteil. Dieser Auffassung ent- spricht vollkommen die Alternative der Perfektionsbestimmung: Unterwerfung oder Erschöpfung der Rechtsmittel. Für die Auffassung, welche auch Grünhut und v. Rohland vertreten, wonach die Enteignung durch einen Verwaltungsakt sich vollzieht, paßt diese Formel gar nicht mehr. — Unsere Gesetzgebungen sind in dieser Beziehung ganz unzweideutig. Preuß. Enteignungsges. § 32: „Die Ent- eignung des Grundstücks wird auf Antrag des Unternehmers von der Bezirks- regierung ausgesprochen, wenn u. s. w.“; § 44: „Mit Zustellung des Enteignungs- beschlusses (§ 32) an Eigentümer und Unternehmer geht das Eigentum des ent- 15 denselben über.“ Freilich fügt er hinzu: „die Enteignungsgesetze haben zum Teil abweichende Bestimmungen“; das ist in weitem Maße der Fall; jene Wirkungen sind recht sehr anzuzweifeln. Aber lassen wir es dabei. Die Parteien sollen ge- bunden sein, gegenseitige Pflichten entstanden sein, — ist damit die Enteignung perfekt? Was ist sie denn? Nach G. Meyer, V.R. I S. 280: „Derjenige Ver- waltungsakt, durch welchen der Staat … Eigentum entzieht“. Kann sie perfekt sein, bevor Eigentum entzogen ist? Die der früher aufgestellten Theorie ent- lehnte Perfektionslehre stimmt mit der der neueren Auffassung entsprechenden Be- griffsbestimmung nicht überein. — Die „obligatorischen Verhältnisse“, welche hier eine so verhängnisvolle Rolle spielen, sind nichts anderes als Nebenwirkungen des Fortgangs des Verfahrens: Verfügungsbeschränkungen des Enteigneten, Selbst- betriebsrechte, die ihm zustehen, Entschädigungsverpflichtungen wegen Rücktritts; davon unten III n. 2.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/52>, abgerufen am 21.11.2024.