Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mehring, Franz: Kunst und Proletariat. Stuttgart, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Walter Crane: William Morris.
Die große Rolle, die das Theater in den bürgerlichen Emanzipationskämpfen
gespielt hat, ist bekannt. Die bürgerliche Klasse hatte das Geld, Theater zu
bauen, und der alte Absolutismus drückte ein Auge zu, gleichviel ob aus Be¬
rechnung oder aus Verblendung, indem er der bürgerlichen Klasse auf den Brettern,
die die Welt bedeuten, gern gewährte, was er ihr in der Wirklichkeit unerbittlich
versagte und versagen konnte. Heute hat die arbeitende Klasse aber kein Geld,
Theater zu bauen, und der moderne Absolutismus, der ihr den Kampf auf dem
Gebiete der Wirklichkeit nicht mehr versagen kann, kühlt wenigstens sein Müthchen,
indem er ihr die Welt des schönen Scheins hermetisch verschließt. Die Arbeiter¬
klasse, die auf ökonomischem und politischem Gebiete täglich neue Siege über den
Kapitalismus und die Polizei erficht, ist ohnmächtig gegen diese erhabenen Mächte
auf künstlerischem Gebiete. Die Dinge haben sich eben seit hundert Jahren voll¬
ständig umgekehrt, wenn auch gewiß nicht zum Nachtheil des Proletariats.

Um nun aber auf die Verhandlungen des Parteitags zurückzukommen, so
hat er sich wohlweislich gehütet, das Kind mit dem Bade zu verschütten. Er
hat hervorgehoben, was die arbeitende Klasse von der modernen Kunst trennt,
aber er ist nicht so ungerecht gewesen, die moderne Kunst in Bausch und Bogen
zu verwerfen oder gar zu verkennen, daß sie innerhalb der bürgerlichen Gesell¬
schaft allerdings ein Fortschritt ist. Einstweilen leben wir noch in dieser Gesell¬
schaft, und es wäre unbillig, mehr von ihr zu verlangen, als sie leisten kann.
Nur daß man das, was die moderne Arbeiterklasse gegen die moderne Kunst
einzuwenden hat, nicht in welcher rückständigen Auffassung des Proletariats
suchen darf. Es steht dieser Kunst mit gelassener Kühle gegenüber, nicht weil
es ihre hehren Geheimnisse nicht zu fassen vermag, sondern weil sie nicht entfernt
heranreicht an die historische Größe des proletarischen Emanzipationskampfes.


[irrelevantes Material]

Walter Crane: William Morris.
Die große Rolle, die das Theater in den bürgerlichen Emanzipationskämpfen
geſpielt hat, iſt bekannt. Die bürgerliche Klaſſe hatte das Geld, Theater zu
bauen, und der alte Abſolutismus drückte ein Auge zu, gleichviel ob aus Be¬
rechnung oder aus Verblendung, indem er der bürgerlichen Klaſſe auf den Brettern,
die die Welt bedeuten, gern gewährte, was er ihr in der Wirklichkeit unerbittlich
verſagte und verſagen konnte. Heute hat die arbeitende Klaſſe aber kein Geld,
Theater zu bauen, und der moderne Abſolutismus, der ihr den Kampf auf dem
Gebiete der Wirklichkeit nicht mehr verſagen kann, kühlt wenigſtens ſein Müthchen,
indem er ihr die Welt des ſchönen Scheins hermetiſch verſchließt. Die Arbeiter¬
klaſſe, die auf ökonomiſchem und politiſchem Gebiete täglich neue Siege über den
Kapitalismus und die Polizei erficht, iſt ohnmächtig gegen dieſe erhabenen Mächte
auf künſtleriſchem Gebiete. Die Dinge haben ſich eben ſeit hundert Jahren voll¬
ſtändig umgekehrt, wenn auch gewiß nicht zum Nachtheil des Proletariats.

Um nun aber auf die Verhandlungen des Parteitags zurückzukommen, ſo
hat er ſich wohlweislich gehütet, das Kind mit dem Bade zu verſchütten. Er
hat hervorgehoben, was die arbeitende Klaſſe von der modernen Kunſt trennt,
aber er iſt nicht ſo ungerecht geweſen, die moderne Kunſt in Bauſch und Bogen
zu verwerfen oder gar zu verkennen, daß ſie innerhalb der bürgerlichen Geſell¬
ſchaft allerdings ein Fortſchritt iſt. Einſtweilen leben wir noch in dieſer Geſell¬
ſchaft, und es wäre unbillig, mehr von ihr zu verlangen, als ſie leiſten kann.
Nur daß man das, was die moderne Arbeiterklaſſe gegen die moderne Kunſt
einzuwenden hat, nicht in welcher rückſtändigen Auffaſſung des Proletariats
ſuchen darf. Es ſteht dieſer Kunſt mit gelaſſener Kühle gegenüber, nicht weil
es ihre hehren Geheimniſſe nicht zu faſſen vermag, ſondern weil ſie nicht entfernt
heranreicht an die hiſtoriſche Größe des proletariſchen Emanzipationskampfes.


[irrelevantes Material]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="133"/><fw place="top" type="header">Walter Crane: William Morris.<lb/></fw> Die große Rolle, die das Theater in den bürgerlichen Emanzipationskämpfen<lb/>
ge&#x017F;pielt hat, i&#x017F;t bekannt. Die bürgerliche Kla&#x017F;&#x017F;e hatte das Geld, Theater zu<lb/>
bauen, und der alte Ab&#x017F;olutismus drückte ein Auge zu, gleichviel ob aus Be¬<lb/>
rechnung oder aus Verblendung, indem er der bürgerlichen Kla&#x017F;&#x017F;e auf den Brettern,<lb/>
die die Welt bedeuten, gern gewährte, was er ihr in der Wirklichkeit unerbittlich<lb/>
ver&#x017F;agte und ver&#x017F;agen konnte. Heute hat die arbeitende Kla&#x017F;&#x017F;e aber kein Geld,<lb/>
Theater zu bauen, und der moderne Ab&#x017F;olutismus, der ihr den Kampf auf dem<lb/>
Gebiete der Wirklichkeit nicht mehr ver&#x017F;agen kann, kühlt wenig&#x017F;tens &#x017F;ein Müthchen,<lb/>
indem er ihr die Welt des &#x017F;chönen Scheins hermeti&#x017F;ch ver&#x017F;chließt. Die Arbeiter¬<lb/>
kla&#x017F;&#x017F;e, die auf ökonomi&#x017F;chem und politi&#x017F;chem Gebiete täglich neue Siege über den<lb/>
Kapitalismus und die Polizei erficht, i&#x017F;t ohnmächtig gegen die&#x017F;e erhabenen Mächte<lb/>
auf kün&#x017F;tleri&#x017F;chem Gebiete. Die Dinge haben &#x017F;ich eben &#x017F;eit hundert Jahren voll¬<lb/>
&#x017F;tändig umgekehrt, wenn auch gewiß nicht zum Nachtheil des Proletariats.</p><lb/>
        <p>Um nun aber auf die Verhandlungen des Parteitags zurückzukommen, &#x017F;o<lb/>
hat er &#x017F;ich wohlweislich gehütet, das Kind mit dem Bade zu ver&#x017F;chütten. Er<lb/>
hat hervorgehoben, was die arbeitende Kla&#x017F;&#x017F;e von der modernen Kun&#x017F;t trennt,<lb/>
aber er i&#x017F;t nicht &#x017F;o ungerecht gewe&#x017F;en, die moderne Kun&#x017F;t in Bau&#x017F;ch und Bogen<lb/>
zu verwerfen oder gar zu verkennen, daß &#x017F;ie innerhalb der bürgerlichen Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft allerdings ein Fort&#x017F;chritt i&#x017F;t. Ein&#x017F;tweilen leben wir noch in die&#x017F;er Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft, und es wäre unbillig, mehr von ihr zu verlangen, als &#x017F;ie lei&#x017F;ten kann.<lb/>
Nur daß man das, was die moderne Arbeiterkla&#x017F;&#x017F;e gegen die moderne Kun&#x017F;t<lb/>
einzuwenden hat, nicht in welcher rück&#x017F;tändigen Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Proletariats<lb/>
&#x017F;uchen darf. Es &#x017F;teht die&#x017F;er Kun&#x017F;t mit gela&#x017F;&#x017F;ener Kühle gegenüber, nicht weil<lb/>
es ihre hehren Geheimni&#x017F;&#x017F;e nicht zu fa&#x017F;&#x017F;en vermag, &#x017F;ondern weil &#x017F;ie nicht entfernt<lb/>
heranreicht an die hi&#x017F;tori&#x017F;che Größe des proletari&#x017F;chen Emanzipationskampfes.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <gap reason="insignificant"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0019] Walter Crane: William Morris. Die große Rolle, die das Theater in den bürgerlichen Emanzipationskämpfen geſpielt hat, iſt bekannt. Die bürgerliche Klaſſe hatte das Geld, Theater zu bauen, und der alte Abſolutismus drückte ein Auge zu, gleichviel ob aus Be¬ rechnung oder aus Verblendung, indem er der bürgerlichen Klaſſe auf den Brettern, die die Welt bedeuten, gern gewährte, was er ihr in der Wirklichkeit unerbittlich verſagte und verſagen konnte. Heute hat die arbeitende Klaſſe aber kein Geld, Theater zu bauen, und der moderne Abſolutismus, der ihr den Kampf auf dem Gebiete der Wirklichkeit nicht mehr verſagen kann, kühlt wenigſtens ſein Müthchen, indem er ihr die Welt des ſchönen Scheins hermetiſch verſchließt. Die Arbeiter¬ klaſſe, die auf ökonomiſchem und politiſchem Gebiete täglich neue Siege über den Kapitalismus und die Polizei erficht, iſt ohnmächtig gegen dieſe erhabenen Mächte auf künſtleriſchem Gebiete. Die Dinge haben ſich eben ſeit hundert Jahren voll¬ ſtändig umgekehrt, wenn auch gewiß nicht zum Nachtheil des Proletariats. Um nun aber auf die Verhandlungen des Parteitags zurückzukommen, ſo hat er ſich wohlweislich gehütet, das Kind mit dem Bade zu verſchütten. Er hat hervorgehoben, was die arbeitende Klaſſe von der modernen Kunſt trennt, aber er iſt nicht ſo ungerecht geweſen, die moderne Kunſt in Bauſch und Bogen zu verwerfen oder gar zu verkennen, daß ſie innerhalb der bürgerlichen Geſell¬ ſchaft allerdings ein Fortſchritt iſt. Einſtweilen leben wir noch in dieſer Geſell¬ ſchaft, und es wäre unbillig, mehr von ihr zu verlangen, als ſie leiſten kann. Nur daß man das, was die moderne Arbeiterklaſſe gegen die moderne Kunſt einzuwenden hat, nicht in welcher rückſtändigen Auffaſſung des Proletariats ſuchen darf. Es ſteht dieſer Kunſt mit gelaſſener Kühle gegenüber, nicht weil es ihre hehren Geheimniſſe nicht zu faſſen vermag, ſondern weil ſie nicht entfernt heranreicht an die hiſtoriſche Größe des proletariſchen Emanzipationskampfes. _

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mehring_kunst_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mehring_kunst_1896/19
Zitationshilfe: Mehring, Franz: Kunst und Proletariat. Stuttgart, 1896, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mehring_kunst_1896/19>, abgerufen am 21.11.2024.