Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.Daß Vittoria Colonna, die Dichterin, die Liebe Auch daß Schriftstellerinnen "so oft" (?) einen Männernamen Daß Vittoria Colonna, die Dichterin, die Liebe Auch daß Schriftstellerinnen »so oft« (?) einen Männernamen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="18"/> Daß Vittoria Colonna, die Dichterin, die Liebe<lb/> eines Michel Angelo genoß, beweist wohl, daß sie gewaltiger<lb/> Männlichkeit nicht abhold war; – ebenso die selten<lb/> erhabene Liebes- und Ehegeschichte der englischen Dichterin<lb/> Elisabeth Barret, an deren Krankenlager der gefeierte<lb/> Browning trat – schön und strahlend wie ein junger<lb/> Gott, gefeiert, berühmt, stark und liebreich – um sich nie<lb/> wieder von der von ihm angebeteten Frau zu trennen; und<lb/> diese beiden Menschen, die beide zu den bedeutendsten<lb/> ihrer Epoche gehörten, die in ihrem dichterischen Schaffen<lb/> beide nicht erlahmten, führten das innigste, verständnistiefste,<lb/> zärtlichste und glücklichste Eheleben!<lb/></p> <p>Auch daß Schriftstellerinnen »so oft« (?) einen Männernamen<lb/> annehmen, hat nach Weininger einen »tieferen«<lb/> Grund, als man glaubt: »das Motiv zur Wahl eines männlichen<lb/> Pseudonyms muß in dem Gefühle liegen, daß nur<lb/> ein solches der eigenen Natur korrespondiert«. So? Nicht<lb/> viel eher in dem Vorurteil, welches lange Zeit gegen die<lb/> literarische Betätigung der Frauen herrschte, und das selbst<lb/> noch in der Zeit der Sonja Kowalewska so stark war, daß<lb/> ihr Vater deren Schwester aus dem Hause jagen wollte,<lb/> als er erfuhr, diese habe dem Dostojewsky für seine Zeitschrift<lb/> eine Novelle »verkauft«, – indem er seinen Zorn<lb/> damit begründete, – eine Frau, die heute ihre Novelle<lb/> »verkaufe«, – verkaufe morgen ihren Leib! – Heute noch<lb/> ist es Frauen sehr schwer, redaktionelle Stellungen zu<lb/> erlangen, welche Männer, die ihnen an literarischer Befähigung<lb/> und an Namen gleichstehen, mühelos erlangen;<lb/> ein weiblicher Theaterreferent – fix angestellt und besoldet<lb/> – scheint noch immer eine ungeheuerliche Vorstellung,<lb/> die, um sich durchzusetzen, mit tausend Schwierigkeiten zu<lb/> kämpfen hat, so daß es nicht verwunderlich wäre, wenn<lb/> ein männliches Pseudonym für dieses Amt benützt würde –<lb/> lebten wir nicht in einer Zeit, wo es schon aus Prinzip<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0024]
Daß Vittoria Colonna, die Dichterin, die Liebe
eines Michel Angelo genoß, beweist wohl, daß sie gewaltiger
Männlichkeit nicht abhold war; – ebenso die selten
erhabene Liebes- und Ehegeschichte der englischen Dichterin
Elisabeth Barret, an deren Krankenlager der gefeierte
Browning trat – schön und strahlend wie ein junger
Gott, gefeiert, berühmt, stark und liebreich – um sich nie
wieder von der von ihm angebeteten Frau zu trennen; und
diese beiden Menschen, die beide zu den bedeutendsten
ihrer Epoche gehörten, die in ihrem dichterischen Schaffen
beide nicht erlahmten, führten das innigste, verständnistiefste,
zärtlichste und glücklichste Eheleben!
Auch daß Schriftstellerinnen »so oft« (?) einen Männernamen
annehmen, hat nach Weininger einen »tieferen«
Grund, als man glaubt: »das Motiv zur Wahl eines männlichen
Pseudonyms muß in dem Gefühle liegen, daß nur
ein solches der eigenen Natur korrespondiert«. So? Nicht
viel eher in dem Vorurteil, welches lange Zeit gegen die
literarische Betätigung der Frauen herrschte, und das selbst
noch in der Zeit der Sonja Kowalewska so stark war, daß
ihr Vater deren Schwester aus dem Hause jagen wollte,
als er erfuhr, diese habe dem Dostojewsky für seine Zeitschrift
eine Novelle »verkauft«, – indem er seinen Zorn
damit begründete, – eine Frau, die heute ihre Novelle
»verkaufe«, – verkaufe morgen ihren Leib! – Heute noch
ist es Frauen sehr schwer, redaktionelle Stellungen zu
erlangen, welche Männer, die ihnen an literarischer Befähigung
und an Namen gleichstehen, mühelos erlangen;
ein weiblicher Theaterreferent – fix angestellt und besoldet
– scheint noch immer eine ungeheuerliche Vorstellung,
die, um sich durchzusetzen, mit tausend Schwierigkeiten zu
kämpfen hat, so daß es nicht verwunderlich wäre, wenn
ein männliches Pseudonym für dieses Amt benützt würde –
lebten wir nicht in einer Zeit, wo es schon aus Prinzip
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