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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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das harte der Tatsachen und der praktischen Folgerung
betreten wird: kein noch so "wissenschaftlich" angelegtes
und mit innerlicher Tiefe entworfenes Fundament kann für
einen Bau von Bedeutung sein und ihm zu Werte verhelfen,
wenn der Bau selbst aus morschem Material gezimmert ist,
das die Verwesung schon in sich trägt.

Neben sehr treffenden Kriterien der genialen Veranlagung
werden solche von erstaunlicher Einfalt aufgestellt,
die den Autor schließlich zu der Behauptung führen, kein
männliches Wesen sei ganz ungenial! So mancher, der von
seiner Genialität bisher keine Ahnung gehabt hat, wird dies
schmunzelnd zur Kenntnis nehmen! Die "absolute Bedeutungslosigkeit"
der Frauen wird durch Aufzählung verschiedener
Berufe erhärtet, in denen die Frauen nichts geleistet
hätten, ohne daß mit einer Silbe daran gerührt wird, ob sie
wohl die historische Möglichkeit dazu hatten oder nicht.
Daß sie in der Musikgeschichte, in der Architektur, in der
Plastik und Philosophie nicht das Geringste geleistet hätten,
wird ihnen vorgehalten, in einem Atem wird aber gleich
darauf eingestanden, der weibliche Baumeister sei "eine fast
nur Mitleid weckende Vorstellung". Daß diese Vorstellung
und andere ähnliche jahrhundertelang überhaupt einen Wall
bildeten, der alles weibliche Streben von solchen Richtungen
ablenkte, wird natürlich nicht gesagt; auch nicht, daß, seit in
diesen Wall durch den Ansturm der Frauenbewegung einige
Breschen geschlagen wurden, sehr tüchtige und bemerkenswerte
weibliche Leistungen sowohl in der Architektur (man
denke an die nach dem Leben gezeichnete Figur der Ursine
in Reickes berühmtem Roman: "Das grüne Huhn") als besonders
in der Plastik zu verzeichnen sind: Sondererscheinungen
natürlich, aber die geringe Zahl erklärt sich
doch klar genug daraus, daß es ja eine selbstverständliche
Erziehung jedes Mädchens zu einem Berufe noch nicht gibt,
daher der Prozentsatz, der sich trotz des Mangels an Förderung

das harte der Tatsachen und der praktischen Folgerung
betreten wird: kein noch so »wissenschaftlich« angelegtes
und mit innerlicher Tiefe entworfenes Fundament kann für
einen Bau von Bedeutung sein und ihm zu Werte verhelfen,
wenn der Bau selbst aus morschem Material gezimmert ist,
das die Verwesung schon in sich trägt.

Neben sehr treffenden Kriterien der genialen Veranlagung
werden solche von erstaunlicher Einfalt aufgestellt,
die den Autor schließlich zu der Behauptung führen, kein
männliches Wesen sei ganz ungenial! So mancher, der von
seiner Genialität bisher keine Ahnung gehabt hat, wird dies
schmunzelnd zur Kenntnis nehmen! Die »absolute Bedeutungslosigkeit«
der Frauen wird durch Aufzählung verschiedener
Berufe erhärtet, in denen die Frauen nichts geleistet
hätten, ohne daß mit einer Silbe daran gerührt wird, ob sie
wohl die historische Möglichkeit dazu hatten oder nicht.
Daß sie in der Musikgeschichte, in der Architektur, in der
Plastik und Philosophie nicht das Geringste geleistet hätten,
wird ihnen vorgehalten, in einem Atem wird aber gleich
darauf eingestanden, der weibliche Baumeister sei »eine fast
nur Mitleid weckende Vorstellung«. Daß diese Vorstellung
und andere ähnliche jahrhundertelang überhaupt einen Wall
bildeten, der alles weibliche Streben von solchen Richtungen
ablenkte, wird natürlich nicht gesagt; auch nicht, daß, seit in
diesen Wall durch den Ansturm der Frauenbewegung einige
Breschen geschlagen wurden, sehr tüchtige und bemerkenswerte
weibliche Leistungen sowohl in der Architektur (man
denke an die nach dem Leben gezeichnete Figur der Ursine
in Reickes berühmtem Roman: »Das grüne Huhn«) als besonders
in der Plastik zu verzeichnen sind: Sondererscheinungen
natürlich, aber die geringe Zahl erklärt sich
doch klar genug daraus, daß es ja eine selbstverständliche
Erziehung jedes Mädchens zu einem Berufe noch nicht gibt,
daher der Prozentsatz, der sich trotz des Mangels an Förderung

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[33/0039] das harte der Tatsachen und der praktischen Folgerung betreten wird: kein noch so »wissenschaftlich« angelegtes und mit innerlicher Tiefe entworfenes Fundament kann für einen Bau von Bedeutung sein und ihm zu Werte verhelfen, wenn der Bau selbst aus morschem Material gezimmert ist, das die Verwesung schon in sich trägt. Neben sehr treffenden Kriterien der genialen Veranlagung werden solche von erstaunlicher Einfalt aufgestellt, die den Autor schließlich zu der Behauptung führen, kein männliches Wesen sei ganz ungenial! So mancher, der von seiner Genialität bisher keine Ahnung gehabt hat, wird dies schmunzelnd zur Kenntnis nehmen! Die »absolute Bedeutungslosigkeit« der Frauen wird durch Aufzählung verschiedener Berufe erhärtet, in denen die Frauen nichts geleistet hätten, ohne daß mit einer Silbe daran gerührt wird, ob sie wohl die historische Möglichkeit dazu hatten oder nicht. Daß sie in der Musikgeschichte, in der Architektur, in der Plastik und Philosophie nicht das Geringste geleistet hätten, wird ihnen vorgehalten, in einem Atem wird aber gleich darauf eingestanden, der weibliche Baumeister sei »eine fast nur Mitleid weckende Vorstellung«. Daß diese Vorstellung und andere ähnliche jahrhundertelang überhaupt einen Wall bildeten, der alles weibliche Streben von solchen Richtungen ablenkte, wird natürlich nicht gesagt; auch nicht, daß, seit in diesen Wall durch den Ansturm der Frauenbewegung einige Breschen geschlagen wurden, sehr tüchtige und bemerkenswerte weibliche Leistungen sowohl in der Architektur (man denke an die nach dem Leben gezeichnete Figur der Ursine in Reickes berühmtem Roman: »Das grüne Huhn«) als besonders in der Plastik zu verzeichnen sind: Sondererscheinungen natürlich, aber die geringe Zahl erklärt sich doch klar genug daraus, daß es ja eine selbstverständliche Erziehung jedes Mädchens zu einem Berufe noch nicht gibt, daher der Prozentsatz, der sich trotz des Mangels an Förderung

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/39>, abgerufen am 21.11.2024.