Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nis; aber wegen der verdächtigen Viertelstun-
de konnt' er doch durch keinen Zeugen sich recht-
fertigen; der Wollhändler, auch ein sonst
unbescholtner Mann, beharrte auf seiner Aus-
sage: legte den Eid drauf ab, und die zwölf
Geschwornen sprachen das fürchterliche guilty
aus.

Jn England, wie bekannt, werden alle Ge-
richtshändel bei ofnen Thüren geführt. Bei dem
gegenwärtigen Verhör war der wahre Thäter
vom Anfange bis zu Ende Zuschauer gewesen,
hatte aber weislich geschwiegen, bis der Aus-
spruch der Geschwornen gefällt war. Jezt trat
er hervor, wandte sich zum Richter, und sagte:
"Der Kriminalprozeß sey zwar ganz ohne Par-
teilichkeit, ganz ohne Verlezzung irgend eines
Gesezzes geführt worden; doch schein' es ihm,
als hätten Kläger und Geschworne zu viel
auf den Punkt mit der Perücke geachtet. Wenn
es ihm erlaubt sey, getrau' er dieses sofort
durch ein augenscheinliches Beispiel zu bewei-
sen." -- Der Richter, der nichts eifriger

nis; aber wegen der verdaͤchtigen Viertelſtun-
de konnt' er doch durch keinen Zeugen ſich recht-
fertigen; der Wollhaͤndler, auch ein ſonſt
unbeſcholtner Mann, beharrte auf ſeiner Aus-
ſage: legte den Eid drauf ab, und die zwoͤlf
Geſchwornen ſprachen das fuͤrchterliche guilty
aus.

Jn England, wie bekannt, werden alle Ge-
richtshaͤndel bei ofnen Thuͤren gefuͤhrt. Bei dem
gegenwaͤrtigen Verhoͤr war der wahre Thaͤter
vom Anfange bis zu Ende Zuſchauer geweſen,
hatte aber weislich geſchwiegen, bis der Aus-
ſpruch der Geſchwornen gefaͤllt war. Jezt trat
er hervor, wandte ſich zum Richter, und ſagte:
„Der Kriminalprozeß ſey zwar ganz ohne Par-
teilichkeit, ganz ohne Verlezzung irgend eines
Geſezzes gefuͤhrt worden; doch ſchein' es ihm,
als haͤtten Klaͤger und Geſchworne zu viel
auf den Punkt mit der Peruͤcke geachtet. Wenn
es ihm erlaubt ſey, getrau' er dieſes ſofort
durch ein augenſcheinliches Beiſpiel zu bewei-
ſen.“ — Der Richter, der nichts eifriger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="122"/>
nis; aber wegen der verda&#x0364;chtigen Viertel&#x017F;tun-<lb/>
de konnt' er doch durch keinen Zeugen &#x017F;ich recht-<lb/>
fertigen; der Wollha&#x0364;ndler, auch ein &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
unbe&#x017F;choltner Mann, beharrte auf &#x017F;einer Aus-<lb/>
&#x017F;age: legte den Eid drauf ab, und die zwo&#x0364;lf<lb/>
Ge&#x017F;chwornen &#x017F;prachen das fu&#x0364;rchterliche <hi rendition="#aq">guilty</hi><lb/>
aus.</p><lb/>
          <p>Jn England, wie bekannt, werden alle Ge-<lb/>
richtsha&#x0364;ndel bei ofnen Thu&#x0364;ren gefu&#x0364;hrt. Bei dem<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen Verho&#x0364;r war der wahre Tha&#x0364;ter<lb/>
vom Anfange bis zu Ende Zu&#x017F;chauer gewe&#x017F;en,<lb/>
hatte aber weislich ge&#x017F;chwiegen, bis der Aus-<lb/>
&#x017F;pruch der Ge&#x017F;chwornen gefa&#x0364;llt war. Jezt trat<lb/>
er hervor, wandte &#x017F;ich zum Richter, und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;Der Kriminalprozeß &#x017F;ey zwar ganz ohne Par-<lb/>
teilichkeit, ganz ohne Verlezzung irgend eines<lb/>
Ge&#x017F;ezzes gefu&#x0364;hrt worden; doch &#x017F;chein' es ihm,<lb/>
als ha&#x0364;tten Kla&#x0364;ger und Ge&#x017F;chworne zu viel<lb/>
auf den Punkt mit der Peru&#x0364;cke geachtet. Wenn<lb/>
es ihm erlaubt &#x017F;ey, getrau' er die&#x017F;es &#x017F;ofort<lb/>
durch ein augen&#x017F;cheinliches Bei&#x017F;piel zu bewei-<lb/>
&#x017F;en.&#x201C; &#x2014; Der Richter, der nichts eifriger<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0130] nis; aber wegen der verdaͤchtigen Viertelſtun- de konnt' er doch durch keinen Zeugen ſich recht- fertigen; der Wollhaͤndler, auch ein ſonſt unbeſcholtner Mann, beharrte auf ſeiner Aus- ſage: legte den Eid drauf ab, und die zwoͤlf Geſchwornen ſprachen das fuͤrchterliche guilty aus. Jn England, wie bekannt, werden alle Ge- richtshaͤndel bei ofnen Thuͤren gefuͤhrt. Bei dem gegenwaͤrtigen Verhoͤr war der wahre Thaͤter vom Anfange bis zu Ende Zuſchauer geweſen, hatte aber weislich geſchwiegen, bis der Aus- ſpruch der Geſchwornen gefaͤllt war. Jezt trat er hervor, wandte ſich zum Richter, und ſagte: „Der Kriminalprozeß ſey zwar ganz ohne Par- teilichkeit, ganz ohne Verlezzung irgend eines Geſezzes gefuͤhrt worden; doch ſchein' es ihm, als haͤtten Klaͤger und Geſchworne zu viel auf den Punkt mit der Peruͤcke geachtet. Wenn es ihm erlaubt ſey, getrau' er dieſes ſofort durch ein augenſcheinliches Beiſpiel zu bewei- ſen.“ — Der Richter, der nichts eifriger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/130
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/130>, abgerufen am 23.11.2024.