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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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ter fortzusezzen, redete ihm sein Herr, dessen
Vertrauen er sich ganz erworben hatte, so lange
zu bis er noch sechs Monate hier zu bleiben
versprach. -- "Jch weiß ein Mittel, sagte der
Alte lachend, wo ihr vielleicht auch den sie-
benten Monat ungebeten zugebt!" -- R.
verstand ihn nicht. Doch am Schlusse des
halben Jahres nahm sein Herr seine einzige,
bisher in Strasburg erzogne Tochter wieder
zu sich; ein Mädchen von sechszehn Jahren,
von munterm Geiste und reizender Bildung.
Nicht vierzehn Tage befand sie sich im väter-
lichen Hause und in dem für sie einsamen
Städtchen, so war sie in R. und R. in sie
verliebt. Sogar die Schwermuth seiner Miene
gefiel ihr, denn sie hielt sich selbst für den Grund
derselben. Jhre wechselseitige Neigung ent-
ging dem Blicke des Vaters nicht; nur wolte
er einige Zeit hindurch sie nicht sehen. Als
er einst beide in zärtlichster, doch schuldloser
Unterhaltung überraschte, rief er den jungen
Mann in sein Kabinet; fragt' ihn erst lä-
chelnd: Warum er noch an kein Weggehn

ter fortzuſezzen, redete ihm ſein Herr, deſſen
Vertrauen er ſich ganz erworben hatte, ſo lange
zu bis er noch ſechs Monate hier zu bleiben
verſprach. — „Jch weiß ein Mittel, ſagte der
Alte lachend, wo ihr vielleicht auch den ſie-
benten Monat ungebeten zugebt!“ — R.
verſtand ihn nicht. Doch am Schluſſe des
halben Jahres nahm ſein Herr ſeine einzige,
bisher in Strasburg erzogne Tochter wieder
zu ſich; ein Maͤdchen von ſechszehn Jahren,
von munterm Geiſte und reizender Bildung.
Nicht vierzehn Tage befand ſie ſich im vaͤter-
lichen Hauſe und in dem fuͤr ſie einſamen
Staͤdtchen, ſo war ſie in R. und R. in ſie
verliebt. Sogar die Schwermuth ſeiner Miene
gefiel ihr, denn ſie hielt ſich ſelbſt fuͤr den Grund
derſelben. Jhre wechſelſeitige Neigung ent-
ging dem Blicke des Vaters nicht; nur wolte
er einige Zeit hindurch ſie nicht ſehen. Als
er einſt beide in zaͤrtlichſter, doch ſchuldloſer
Unterhaltung uͤberraſchte, rief er den jungen
Mann in ſein Kabinet; fragt' ihn erſt laͤ-
chelnd: Warum er noch an kein Weggehn

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[282/0290] ter fortzuſezzen, redete ihm ſein Herr, deſſen Vertrauen er ſich ganz erworben hatte, ſo lange zu bis er noch ſechs Monate hier zu bleiben verſprach. — „Jch weiß ein Mittel, ſagte der Alte lachend, wo ihr vielleicht auch den ſie- benten Monat ungebeten zugebt!“ — R. verſtand ihn nicht. Doch am Schluſſe des halben Jahres nahm ſein Herr ſeine einzige, bisher in Strasburg erzogne Tochter wieder zu ſich; ein Maͤdchen von ſechszehn Jahren, von munterm Geiſte und reizender Bildung. Nicht vierzehn Tage befand ſie ſich im vaͤter- lichen Hauſe und in dem fuͤr ſie einſamen Staͤdtchen, ſo war ſie in R. und R. in ſie verliebt. Sogar die Schwermuth ſeiner Miene gefiel ihr, denn ſie hielt ſich ſelbſt fuͤr den Grund derſelben. Jhre wechſelſeitige Neigung ent- ging dem Blicke des Vaters nicht; nur wolte er einige Zeit hindurch ſie nicht ſehen. Als er einſt beide in zaͤrtlichſter, doch ſchuldloſer Unterhaltung uͤberraſchte, rief er den jungen Mann in ſein Kabinet; fragt' ihn erſt laͤ- chelnd: Warum er noch an kein Weggehn

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/290>, abgerufen am 23.11.2024.