lerdings keiner, sondern ein Schlesier von Ge- burt sey; daß er erst seit fünf Jahren in Elsas lebe, und daß blos Liebe zu ihr ihn festgehalten habe. Auch von seinem Hange zur Schwer- muth, von der Mühe, die es gekostet, ihn hieher zu bringen, von ihrer Freude, daß er noch einen Tag zugegeben habe, -- von allen dem sprach sie in ihrer Unschuld; und dachte gewiß an nichts weniger, als daß sie jezt die Anklägerin eines geliebten Gatten mache. Mit jedem Worte fast ward Siebald überzeugter, daß sein Verdacht Wahrheit sey. Selbst jenes Lehmanns, der, ein Schlesier von Ge- burt, in R's Hause gestorben sey, entsann er sich. Aller übriger Zusammenhang däm- merte vor den Augen seines Geistes.
Was ihm hier zu thun obliege, dünkte ihm gar nicht zweifelhaft. Zwar dauerte ihm ein paar Minuten lang die junge, heitre, gewiß schuldlose Frau; doch ein Gedanke an seinen Freund, an sein eignes Versprechen, und an die Abscheulichkeit jenes Mordes er-
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lerdings keiner, ſondern ein Schleſier von Ge- burt ſey; daß er erſt ſeit fuͤnf Jahren in Elſas lebe, und daß blos Liebe zu ihr ihn feſtgehalten habe. Auch von ſeinem Hange zur Schwer- muth, von der Muͤhe, die es gekoſtet, ihn hieher zu bringen, von ihrer Freude, daß er noch einen Tag zugegeben habe, — von allen dem ſprach ſie in ihrer Unſchuld; und dachte gewiß an nichts weniger, als daß ſie jezt die Anklaͤgerin eines geliebten Gatten mache. Mit jedem Worte faſt ward Siebald uͤberzeugter, daß ſein Verdacht Wahrheit ſey. Selbſt jenes Lehmanns, der, ein Schleſier von Ge- burt, in R's Hauſe geſtorben ſey, entſann er ſich. Aller uͤbriger Zuſammenhang daͤm- merte vor den Augen ſeines Geiſtes.
Was ihm hier zu thun obliege, duͤnkte ihm gar nicht zweifelhaft. Zwar dauerte ihm ein paar Minuten lang die junge, heitre, gewiß ſchuldloſe Frau; doch ein Gedanke an ſeinen Freund, an ſein eignes Verſprechen, und an die Abſcheulichkeit jenes Mordes er-
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lerdings keiner, ſondern ein Schleſier von Ge-
burt ſey; daß er erſt ſeit fuͤnf Jahren in Elſas
lebe, und daß blos Liebe zu ihr ihn feſtgehalten
habe. Auch von ſeinem Hange zur Schwer-
muth, von der Muͤhe, die es gekoſtet, ihn
hieher zu bringen, von ihrer Freude, daß er
noch einen Tag zugegeben habe, — von allen
dem ſprach ſie in ihrer Unſchuld; und dachte
gewiß an nichts weniger, als daß ſie jezt die
Anklaͤgerin eines geliebten Gatten mache. Mit
jedem Worte faſt ward Siebald uͤberzeugter,
daß ſein Verdacht Wahrheit ſey. Selbſt
jenes Lehmanns, der, ein Schleſier von Ge-
burt, in R's Hauſe geſtorben ſey, entſann
er ſich. Aller uͤbriger Zuſammenhang daͤm-
merte vor den Augen ſeines Geiſtes.
Was ihm hier zu thun obliege, duͤnkte
ihm gar nicht zweifelhaft. Zwar dauerte
ihm ein paar Minuten lang die junge, heitre,
gewiß ſchuldloſe Frau; doch ein Gedanke an
ſeinen Freund, an ſein eignes Verſprechen,
und an die Abſcheulichkeit jenes Mordes er-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/297>, abgerufen am 23.11.2024.
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