hoft' er abermals die Ruhe wieder zu finden, die ihm seit der Entfernung aus dem Vater- lande fremd geworden war. Zeit und Rei- sen, schmeichelte er sich, würden seine Gesichts- züge verändert und unkenntlich gemacht haben. Jm Winkel einer Provinz, fern von der Hauptstadt, unter fremden angenomnen Na- men, wollte er den Ueberrest seiner Tage ver- leben. Sein Plan war weislich genug über- dacht; aber doch schien ihn dadurch das Ver- hängnis nur zum Empfang einer längst ver- dienten Strafe zu berufen.
So wie er in London aussteigt, und bei dem Hause des Kaufmanns, den er vordem getöd- tet, vorbeigeht, hört er hinter sich eine Stim- me erschallen: "Haltet ihn! Haltet ihn! das ist er!" Sofort ergreift er aus allen Kräften die Flucht. Eine Menge Volks stürzt hinter ihm her. Binnen wenigen Minuten sieht er sich umringt und ergriffen. Erschreckt durch diesen Vorfall, und durch diesen Haufen seiner Ver- folger, bekennt er sofort: "Ja, ja! er sey
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hoft' er abermals die Ruhe wieder zu finden, die ihm ſeit der Entfernung aus dem Vater- lande fremd geworden war. Zeit und Rei- ſen, ſchmeichelte er ſich, wuͤrden ſeine Geſichts- zuͤge veraͤndert und unkenntlich gemacht haben. Jm Winkel einer Provinz, fern von der Hauptſtadt, unter fremden angenomnen Na- men, wollte er den Ueberreſt ſeiner Tage ver- leben. Sein Plan war weislich genug uͤber- dacht; aber doch ſchien ihn dadurch das Ver- haͤngnis nur zum Empfang einer laͤngſt ver- dienten Strafe zu berufen.
So wie er in London ausſteigt, und bei dem Hauſe des Kaufmanns, den er vordem getoͤd- tet, vorbeigeht, hoͤrt er hinter ſich eine Stim- me erſchallen: „Haltet ihn! Haltet ihn! das iſt er!“ Sofort ergreift er aus allen Kraͤften die Flucht. Eine Menge Volks ſtuͤrzt hinter ihm her. Binnen wenigen Minuten ſieht er ſich umringt und ergriffen. Erſchreckt durch dieſen Vorfall, und durch dieſen Haufen ſeiner Ver- folger, bekennt er ſofort: „Ja, ja! er ſey
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hoft' er abermals die Ruhe wieder zu finden,
die ihm ſeit der Entfernung aus dem Vater-
lande fremd geworden war. Zeit und Rei-
ſen, ſchmeichelte er ſich, wuͤrden ſeine Geſichts-
zuͤge veraͤndert und unkenntlich gemacht haben.
Jm Winkel einer Provinz, fern von der
Hauptſtadt, unter fremden angenomnen Na-
men, wollte er den Ueberreſt ſeiner Tage ver-
leben. Sein Plan war weislich genug uͤber-
dacht; aber doch ſchien ihn dadurch das Ver-
haͤngnis nur zum Empfang einer laͤngſt ver-
dienten Strafe zu berufen.
So wie er in London ausſteigt, und bei dem
Hauſe des Kaufmanns, den er vordem getoͤd-
tet, vorbeigeht, hoͤrt er hinter ſich eine Stim-
me erſchallen: „Haltet ihn! Haltet ihn! das
iſt er!“ Sofort ergreift er aus allen Kraͤften
die Flucht. Eine Menge Volks ſtuͤrzt hinter
ihm her. Binnen wenigen Minuten ſieht er ſich
umringt und ergriffen. Erſchreckt durch dieſen
Vorfall, und durch dieſen Haufen ſeiner Ver-
folger, bekennt er ſofort: „Ja, ja! er ſey
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/395>, abgerufen am 27.11.2024.
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