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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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und rührend, als immer möglich, und fand
doch, daß der arme Sünder verzweifelt wenig
-- drauf Acht gab. Da er, der Gestalt, dem
Alter und dem freimüthigen Geständnis nach,
auf keinen verstockten Bösewicht gestoßen zu
seyn besorgte, so wunderte er sich über diese
Unachtsamkeit; schrieb sie auf Rechnung eines
natürlichen Leichtsinns; strafte aber auch die-
sen ernstlich und erinnerte ihn mit der kurzen,
noch übrigen Zeit ja sparsam und gut umzu-
gehn.

"Allerdings, erwiederte der Gefangne, al-
lerdings, Hochwürdiger Vater, möcht' ich
das gern thun. Auch sind Jhre Ermahnun-
gen vortreflich. Ob aber an meiner Stelle
Ewr. Hochwürden selbst, auch auf die schön-
sten Gebete viel achten würden, -- daran
zweifl' ich doch. Denn nicht gerechnet, welche
verdamt häßliche Empfindung es ist, zu wis-
sen, daß einem in wenigen Stunden bei gesun-
dem Leibe das Genick gebrochen werden soll,
so drängt sich auch noch ein Gedanke bei mir

und ruͤhrend, als immer moͤglich, und fand
doch, daß der arme Suͤnder verzweifelt wenig
— drauf Acht gab. Da er, der Geſtalt, dem
Alter und dem freimuͤthigen Geſtaͤndnis nach,
auf keinen verſtockten Boͤſewicht geſtoßen zu
ſeyn beſorgte, ſo wunderte er ſich uͤber dieſe
Unachtſamkeit; ſchrieb ſie auf Rechnung eines
natuͤrlichen Leichtſinns; ſtrafte aber auch die-
ſen ernſtlich und erinnerte ihn mit der kurzen,
noch uͤbrigen Zeit ja ſparſam und gut umzu-
gehn.

„Allerdings, erwiederte der Gefangne, al-
lerdings, Hochwuͤrdiger Vater, moͤcht' ich
das gern thun. Auch ſind Jhre Ermahnun-
gen vortreflich. Ob aber an meiner Stelle
Ewr. Hochwuͤrden ſelbſt, auch auf die ſchoͤn-
ſten Gebete viel achten wuͤrden, — daran
zweifl' ich doch. Denn nicht gerechnet, welche
verdamt haͤßliche Empfindung es iſt, zu wiſ-
ſen, daß einem in wenigen Stunden bei geſun-
dem Leibe das Genick gebrochen werden ſoll,
ſo draͤngt ſich auch noch ein Gedanke bei mir

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[431/0439] und ruͤhrend, als immer moͤglich, und fand doch, daß der arme Suͤnder verzweifelt wenig — drauf Acht gab. Da er, der Geſtalt, dem Alter und dem freimuͤthigen Geſtaͤndnis nach, auf keinen verſtockten Boͤſewicht geſtoßen zu ſeyn beſorgte, ſo wunderte er ſich uͤber dieſe Unachtſamkeit; ſchrieb ſie auf Rechnung eines natuͤrlichen Leichtſinns; ſtrafte aber auch die- ſen ernſtlich und erinnerte ihn mit der kurzen, noch uͤbrigen Zeit ja ſparſam und gut umzu- gehn. „Allerdings, erwiederte der Gefangne, al- lerdings, Hochwuͤrdiger Vater, moͤcht' ich das gern thun. Auch ſind Jhre Ermahnun- gen vortreflich. Ob aber an meiner Stelle Ewr. Hochwuͤrden ſelbſt, auch auf die ſchoͤn- ſten Gebete viel achten wuͤrden, — daran zweifl' ich doch. Denn nicht gerechnet, welche verdamt haͤßliche Empfindung es iſt, zu wiſ- ſen, daß einem in wenigen Stunden bei geſun- dem Leibe das Genick gebrochen werden ſoll, ſo draͤngt ſich auch noch ein Gedanke bei mir

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/439>, abgerufen am 24.11.2024.