Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich der Verbrecher unwiederbringlich ver-
schwunden war, so wußte man würklich nicht:
sollte man auf ein Wunder, oder auf eine
Betrügerei muthmaßen. Mehrere Landleute
sammelten sich. Alles guckte hinter und
unter den Altar. Nirgends ließ sich eine Spur
des Verschwundnen auffinden. Der Scharf-
richter, der am meisten bei diesem Vorfall ein-
büßte, war gleich anfangs nach den Gerichts-
personen gelaufen. Sie stellten sich ein. Der
Geistliche wiederholte vor ihnen die obige Er-
zälung. Er fügte noch hinzu: daß ihm zwar
auf keinen Fall obliege, den Hüter eines Ge-
fangnen zu machen; daß er aber fast über-
zeugt wäre, dieser angebliche Verbrecher müsse
schuldlos gewesen seyn. Er schwur feierlich,
daß der Jnquisit zu jener Dachöfnung heraus-
gefahren wäre. Der Aberglaube der ganzen
Menge rieth auf Zauberei. Der Pater gab
sich keine Mühe ihn zu widerlegen. Acht Tage
lang sprach man in der ganzen Provinz da-

gleich der Verbrecher unwiederbringlich ver-
ſchwunden war, ſo wußte man wuͤrklich nicht:
ſollte man auf ein Wunder, oder auf eine
Betruͤgerei muthmaßen. Mehrere Landleute
ſammelten ſich. Alles guckte hinter und
unter den Altar. Nirgends ließ ſich eine Spur
des Verſchwundnen auffinden. Der Scharf-
richter, der am meiſten bei dieſem Vorfall ein-
buͤßte, war gleich anfangs nach den Gerichts-
perſonen gelaufen. Sie ſtellten ſich ein. Der
Geiſtliche wiederholte vor ihnen die obige Er-
zaͤlung. Er fuͤgte noch hinzu: daß ihm zwar
auf keinen Fall obliege, den Huͤter eines Ge-
fangnen zu machen; daß er aber faſt uͤber-
zeugt waͤre, dieſer angebliche Verbrecher muͤſſe
ſchuldlos geweſen ſeyn. Er ſchwur feierlich,
daß der Jnquiſit zu jener Dachoͤfnung heraus-
gefahren waͤre. Der Aberglaube der ganzen
Menge rieth auf Zauberei. Der Pater gab
ſich keine Muͤhe ihn zu widerlegen. Acht Tage
lang ſprach man in der ganzen Provinz da-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0444" n="436"/>
gleich der Verbrecher unwiederbringlich ver-<lb/>
&#x017F;chwunden war, &#x017F;o wußte man wu&#x0364;rklich nicht:<lb/>
&#x017F;ollte man auf ein Wunder, oder auf eine<lb/>
Betru&#x0364;gerei muthmaßen. Mehrere Landleute<lb/>
&#x017F;ammelten &#x017F;ich. Alles guckte hinter und<lb/>
unter den Altar. Nirgends ließ &#x017F;ich eine Spur<lb/>
des Ver&#x017F;chwundnen auffinden. Der Scharf-<lb/>
richter, der am mei&#x017F;ten bei die&#x017F;em Vorfall ein-<lb/>
bu&#x0364;ßte, war gleich anfangs nach den Gerichts-<lb/>
per&#x017F;onen gelaufen. Sie &#x017F;tellten &#x017F;ich ein. Der<lb/>
Gei&#x017F;tliche wiederholte vor ihnen die obige Er-<lb/>
za&#x0364;lung. Er fu&#x0364;gte noch hinzu: daß ihm zwar<lb/>
auf keinen Fall obliege, den Hu&#x0364;ter eines Ge-<lb/>
fangnen zu machen; daß er aber fa&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
zeugt wa&#x0364;re, die&#x017F;er angebliche Verbrecher mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chuldlos gewe&#x017F;en &#x017F;eyn. Er &#x017F;chwur feierlich,<lb/>
daß der Jnqui&#x017F;it zu jener Dacho&#x0364;fnung heraus-<lb/>
gefahren wa&#x0364;re. Der Aberglaube der ganzen<lb/>
Menge rieth auf Zauberei. Der Pater gab<lb/>
&#x017F;ich keine Mu&#x0364;he ihn zu widerlegen. Acht Tage<lb/>
lang &#x017F;prach man in der ganzen Provinz da-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0444] gleich der Verbrecher unwiederbringlich ver- ſchwunden war, ſo wußte man wuͤrklich nicht: ſollte man auf ein Wunder, oder auf eine Betruͤgerei muthmaßen. Mehrere Landleute ſammelten ſich. Alles guckte hinter und unter den Altar. Nirgends ließ ſich eine Spur des Verſchwundnen auffinden. Der Scharf- richter, der am meiſten bei dieſem Vorfall ein- buͤßte, war gleich anfangs nach den Gerichts- perſonen gelaufen. Sie ſtellten ſich ein. Der Geiſtliche wiederholte vor ihnen die obige Er- zaͤlung. Er fuͤgte noch hinzu: daß ihm zwar auf keinen Fall obliege, den Huͤter eines Ge- fangnen zu machen; daß er aber faſt uͤber- zeugt waͤre, dieſer angebliche Verbrecher muͤſſe ſchuldlos geweſen ſeyn. Er ſchwur feierlich, daß der Jnquiſit zu jener Dachoͤfnung heraus- gefahren waͤre. Der Aberglaube der ganzen Menge rieth auf Zauberei. Der Pater gab ſich keine Muͤhe ihn zu widerlegen. Acht Tage lang ſprach man in der ganzen Provinz da-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/444
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/444>, abgerufen am 10.11.2024.