Während dieses Gesprächs lief in eben der- selben Stube ein junges Dienstmädchen oft auf und ab. Wohl möglich, daß der Graf sie nicht einmal bemerkte! Aber um desto ge- nauer hatte sie ihn bemerkt. Der schöne, wohlgewachsne Mann, die Munterkeit seines Gesprächs, selbst die fremde Uniform, die er trug, gefielen ihr von ganzem Herzen. Sie hätte gern Tagelang ihm zugehört; sie hätte noch lieber sich selbst mit ihm unterhalten. Sie wußte überdies würklich eine Sache, die ihn sehr nahe anging; wovon er sich nichts träumen ließ; die er bald erfahren muste, oder es war nachher zu spät. Seine Unwis- senheit, seine Sicherheit thaten ihr weh. Zwar sie selbst wagte, wenn sie hier hinein sich misch- te, unendlich viel. Aber so oft sie ihn wieder ansah, dachte sie bei sich selbst: Er ist doch gar zu liebenswürdig! Sie konte sich nicht erwehren, sie muste ihn, als sie einst wieder bei ihm vorbei lief, am Kleide zupfen.
Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs lief in eben der- ſelben Stube ein junges Dienſtmaͤdchen oft auf und ab. Wohl moͤglich, daß der Graf ſie nicht einmal bemerkte! Aber um deſto ge- nauer hatte ſie ihn bemerkt. Der ſchoͤne, wohlgewachsne Mann, die Munterkeit ſeines Geſpraͤchs, ſelbſt die fremde Uniform, die er trug, gefielen ihr von ganzem Herzen. Sie haͤtte gern Tagelang ihm zugehoͤrt; ſie haͤtte noch lieber ſich ſelbſt mit ihm unterhalten. Sie wußte uͤberdies wuͤrklich eine Sache, die ihn ſehr nahe anging; wovon er ſich nichts traͤumen ließ; die er bald erfahren muſte, oder es war nachher zu ſpaͤt. Seine Unwiſ- ſenheit, ſeine Sicherheit thaten ihr weh. Zwar ſie ſelbſt wagte, wenn ſie hier hinein ſich miſch- te, unendlich viel. Aber ſo oft ſie ihn wieder anſah, dachte ſie bei ſich ſelbſt: Er iſt doch gar zu liebenswuͤrdig! Sie konte ſich nicht erwehren, ſie muſte ihn, als ſie einſt wieder bei ihm vorbei lief, am Kleide zupfen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0455"n="447"/><p>Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs lief in eben der-<lb/>ſelben Stube ein junges Dienſtmaͤdchen oft<lb/>
auf und ab. Wohl moͤglich, daß der Graf<lb/>ſie nicht einmal bemerkte! Aber um deſto ge-<lb/>
nauer hatte ſie ihn bemerkt. Der ſchoͤne,<lb/>
wohlgewachsne Mann, die Munterkeit ſeines<lb/>
Geſpraͤchs, ſelbſt die fremde Uniform, die er<lb/>
trug, gefielen ihr von ganzem Herzen. Sie<lb/>
haͤtte gern Tagelang ihm zugehoͤrt; ſie haͤtte<lb/>
noch lieber ſich ſelbſt mit ihm unterhalten.<lb/>
Sie wußte uͤberdies wuͤrklich eine Sache, die<lb/>
ihn ſehr nahe anging; wovon er ſich nichts<lb/>
traͤumen ließ; die er <hirendition="#g">bald</hi> erfahren muſte,<lb/>
oder es war nachher zu ſpaͤt. Seine Unwiſ-<lb/>ſenheit, ſeine Sicherheit thaten ihr weh. Zwar<lb/>ſie ſelbſt wagte, wenn ſie hier hinein ſich miſch-<lb/>
te, unendlich viel. Aber ſo oft ſie ihn wieder<lb/>
anſah, dachte ſie bei ſich ſelbſt: Er iſt doch<lb/>
gar zu liebenswuͤrdig! Sie konte ſich nicht<lb/>
erwehren, ſie muſte ihn, als ſie einſt wieder<lb/>
bei ihm vorbei lief, am Kleide zupfen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[447/0455]
Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs lief in eben der-
ſelben Stube ein junges Dienſtmaͤdchen oft
auf und ab. Wohl moͤglich, daß der Graf
ſie nicht einmal bemerkte! Aber um deſto ge-
nauer hatte ſie ihn bemerkt. Der ſchoͤne,
wohlgewachsne Mann, die Munterkeit ſeines
Geſpraͤchs, ſelbſt die fremde Uniform, die er
trug, gefielen ihr von ganzem Herzen. Sie
haͤtte gern Tagelang ihm zugehoͤrt; ſie haͤtte
noch lieber ſich ſelbſt mit ihm unterhalten.
Sie wußte uͤberdies wuͤrklich eine Sache, die
ihn ſehr nahe anging; wovon er ſich nichts
traͤumen ließ; die er bald erfahren muſte,
oder es war nachher zu ſpaͤt. Seine Unwiſ-
ſenheit, ſeine Sicherheit thaten ihr weh. Zwar
ſie ſelbſt wagte, wenn ſie hier hinein ſich miſch-
te, unendlich viel. Aber ſo oft ſie ihn wieder
anſah, dachte ſie bei ſich ſelbſt: Er iſt doch
gar zu liebenswuͤrdig! Sie konte ſich nicht
erwehren, ſie muſte ihn, als ſie einſt wieder
bei ihm vorbei lief, am Kleide zupfen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/455>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.