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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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von der Gestalt, von dem eigentlichen Verbre-
chen, und, wo möglich, auch von dem frühern
Schicksal jenes Hingerichteten; verschwieg
zwar, wie sehr begreiflich, die wahreUrsache sei-
ner Fragen, gestand aber doch, daß ihm viel an
bestimter Nachricht liege. Seine Miene war in
der Zwischenzeit viel düstrer als sonst, seine
Laune nie rosenfarb. Seine Gattin, die ihn
liebte, und auch viel über ihn vermochte, merkte
diese heimliche Unruhe bald, forschte nach der
Ursache und erfuhr -- nichts. Nach drei Wo-
chen ließ er sich fast alltäglich auf der Post er-
kundigen: ob nicht Briefe für ihn da wären?
Als er endlich einst, grade bei der Mittagstafel,
ein dickes Paquet empfing, besah er sich mit
unruhigem Blick wohl sechsmal das Siegel;
wolt' es brechen, und brach es nicht. Nach
Tische verschlos er sich in seinem Kabinet; kam
erst in der Abenddämmerung wieder zum Vor-
schein, und sah aus, als wär' er indeß zwan-
zig Jahr älter geworden, so ernst, so bleich
und in sich selbst gekehrt.

K k 2

von der Geſtalt, von dem eigentlichen Verbre-
chen, und, wo moͤglich, auch von dem fruͤhern
Schickſal jenes Hingerichteten; verſchwieg
zwar, wie ſehr begreiflich, die wahreUrſache ſei-
ner Fragen, geſtand aber doch, daß ihm viel an
beſtimter Nachricht liege. Seine Miene war in
der Zwiſchenzeit viel duͤſtrer als ſonſt, ſeine
Laune nie roſenfarb. Seine Gattin, die ihn
liebte, und auch viel uͤber ihn vermochte, merkte
dieſe heimliche Unruhe bald, forſchte nach der
Urſache und erfuhr — nichts. Nach drei Wo-
chen ließ er ſich faſt alltaͤglich auf der Poſt er-
kundigen: ob nicht Briefe fuͤr ihn da waͤren?
Als er endlich einſt, grade bei der Mittagstafel,
ein dickes Paquet empfing, beſah er ſich mit
unruhigem Blick wohl ſechsmal das Siegel;
wolt' es brechen, und brach es nicht. Nach
Tiſche verſchlos er ſich in ſeinem Kabinet; kam
erſt in der Abenddaͤmmerung wieder zum Vor-
ſchein, und ſah aus, als waͤr' er indeß zwan-
zig Jahr aͤlter geworden, ſo ernſt, ſo bleich
und in ſich ſelbſt gekehrt.

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[515/0523] von der Geſtalt, von dem eigentlichen Verbre- chen, und, wo moͤglich, auch von dem fruͤhern Schickſal jenes Hingerichteten; verſchwieg zwar, wie ſehr begreiflich, die wahreUrſache ſei- ner Fragen, geſtand aber doch, daß ihm viel an beſtimter Nachricht liege. Seine Miene war in der Zwiſchenzeit viel duͤſtrer als ſonſt, ſeine Laune nie roſenfarb. Seine Gattin, die ihn liebte, und auch viel uͤber ihn vermochte, merkte dieſe heimliche Unruhe bald, forſchte nach der Urſache und erfuhr — nichts. Nach drei Wo- chen ließ er ſich faſt alltaͤglich auf der Poſt er- kundigen: ob nicht Briefe fuͤr ihn da waͤren? Als er endlich einſt, grade bei der Mittagstafel, ein dickes Paquet empfing, beſah er ſich mit unruhigem Blick wohl ſechsmal das Siegel; wolt' es brechen, und brach es nicht. Nach Tiſche verſchlos er ſich in ſeinem Kabinet; kam erſt in der Abenddaͤmmerung wieder zum Vor- ſchein, und ſah aus, als waͤr' er indeß zwan- zig Jahr aͤlter geworden, ſo ernſt, ſo bleich und in ſich ſelbſt gekehrt. K k 2

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/523>, abgerufen am 27.11.2024.