abermaligen Bitten seiner Gattin, allen Kün- sten ihrer Weiblichkeit, ihren Schmeicheln, Liebkosen, Thränen sogar widerstand er. Der Arzt, den sie rufen ließ, fällte beim Weggehn das Urtheil: Hier sei eine schwarzgallichte Schwermuth im Anzuge, wo nicht schon da! Er würde allem Anschein nach Wahrheit ver- kündigt haben, hätte sich nicht noch ein Drit- ter zur rechten Zeit ins Spiel gemischt.
D. P. hatte einen Schwager, der Landgeist- licher, und überdies nur Landgeistlicher bei ei- ner kleinen dürftigen Gemeinde im V--dischen war, der aber manche Eigenschaft besaß, die allen Hoch-Ehrwürden und Hochwürden zu -- wünschen wäre. Zwar ob er die Bücher Moses im Grundtext, oder nur in Luthers Uebersezzung las; ob er alles das für Kern- Wahrheit hielt, was in den simbolischen Bü- chern steht, und jährlich durch viele tausend -- Meineide befestigt wird; ob er auch pünkt- lich zweimal im Jahr über Christus Einzug in Jerusalem und funfzehnmal über seine Wun-
abermaligen Bitten ſeiner Gattin, allen Kuͤn- ſten ihrer Weiblichkeit, ihren Schmeicheln, Liebkoſen, Thraͤnen ſogar widerſtand er. Der Arzt, den ſie rufen ließ, faͤllte beim Weggehn das Urtheil: Hier ſei eine ſchwarzgallichte Schwermuth im Anzuge, wo nicht ſchon da! Er wuͤrde allem Anſchein nach Wahrheit ver- kuͤndigt haben, haͤtte ſich nicht noch ein Drit- ter zur rechten Zeit ins Spiel gemiſcht.
D. P. hatte einen Schwager, der Landgeiſt- licher, und uͤberdies nur Landgeiſtlicher bei ei- ner kleinen duͤrftigen Gemeinde im V—diſchen war, der aber manche Eigenſchaft beſaß, die allen Hoch-Ehrwuͤrden und Hochwuͤrden zu — wuͤnſchen waͤre. Zwar ob er die Buͤcher Moſes im Grundtext, oder nur in Luthers Ueberſezzung las; ob er alles das fuͤr Kern- Wahrheit hielt, was in den ſimboliſchen Buͤ- chern ſteht, und jaͤhrlich durch viele tauſend — Meineide befeſtigt wird; ob er auch puͤnkt- lich zweimal im Jahr uͤber Chriſtus Einzug in Jeruſalem und funfzehnmal uͤber ſeine Wun-
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abermaligen Bitten ſeiner Gattin, allen Kuͤn-
ſten ihrer Weiblichkeit, ihren Schmeicheln,
Liebkoſen, Thraͤnen ſogar widerſtand er. Der
Arzt, den ſie rufen ließ, faͤllte beim Weggehn
das Urtheil: Hier ſei eine ſchwarzgallichte
Schwermuth im Anzuge, wo nicht ſchon da!
Er wuͤrde allem Anſchein nach Wahrheit ver-
kuͤndigt haben, haͤtte ſich nicht noch ein Drit-
ter zur rechten Zeit ins Spiel gemiſcht.
D. P. hatte einen Schwager, der Landgeiſt-
licher, und uͤberdies nur Landgeiſtlicher bei ei-
ner kleinen duͤrftigen Gemeinde im V—diſchen
war, der aber manche Eigenſchaft beſaß, die
allen Hoch-Ehrwuͤrden und Hochwuͤrden zu
— wuͤnſchen waͤre. Zwar ob er die Buͤcher
Moſes im Grundtext, oder nur in Luthers
Ueberſezzung las; ob er alles das fuͤr Kern-
Wahrheit hielt, was in den ſimboliſchen Buͤ-
chern ſteht, und jaͤhrlich durch viele tauſend
— Meineide befeſtigt wird; ob er auch puͤnkt-
lich zweimal im Jahr uͤber Chriſtus Einzug in
Jeruſalem und funfzehnmal uͤber ſeine Wun-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/526>, abgerufen am 27.11.2024.
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