Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

genheit und schüttete dann sein ganzes Herz
aus. -- Der Geistliche stuzte anfangs aller-
dings ein wenig. Er hatte sich auf ein paar
mögliche Fälle schon vorbereitet; doch der
würkliche überstieg seine Erwartung. Er
überdachte einige Minuten lang schweigend die
Lage des Ganzen. Er gestand dann, daß er an
P's Stelle auch Gewissens-Schmerzen fühlen
würde; er fand daher auch die Reue desselben
nicht nur billig, sondern sogar nothwendig.
Aber er bemerkte doch, indem er den einmal
aufgenommenen Faden weiter fortspann: daß
selbst in dieser Reue Uebermaas statt finden
könne, und vielleicht -- jezt schon finde. Er
machte die große Wahrheit mit warmer Be-
redsamkeit geltend: daß Gott gewiß nicht rich-
te, wie ein strenger, menschlicher, am Buchsta-
ben gebundner Richter; daß er auf Absicht und
Willen nur, nie auf den Erfolg der That selbst
sehe. Freilich, fuhr er fort, sei auch Ps Absicht
nicht tadellos zu nennen; doch ertrage sie we-
nigstens einige Entschuldigung; sei mehr

K k 5

genheit und ſchuͤttete dann ſein ganzes Herz
aus. — Der Geiſtliche ſtuzte anfangs aller-
dings ein wenig. Er hatte ſich auf ein paar
moͤgliche Faͤlle ſchon vorbereitet; doch der
wuͤrkliche uͤberſtieg ſeine Erwartung. Er
uͤberdachte einige Minuten lang ſchweigend die
Lage des Ganzen. Er geſtand dann, daß er an
P's Stelle auch Gewiſſens-Schmerzen fuͤhlen
wuͤrde; er fand daher auch die Reue deſſelben
nicht nur billig, ſondern ſogar nothwendig.
Aber er bemerkte doch, indem er den einmal
aufgenommenen Faden weiter fortſpann: daß
ſelbſt in dieſer Reue Uebermaas ſtatt finden
koͤnne, und vielleicht — jezt ſchon finde. Er
machte die große Wahrheit mit warmer Be-
redſamkeit geltend: daß Gott gewiß nicht rich-
te, wie ein ſtrenger, menſchlicher, am Buchſta-
ben gebundner Richter; daß er auf Abſicht und
Willen nur, nie auf den Erfolg der That ſelbſt
ſehe. Freilich, fuhr er fort, ſei auch Ps Abſicht
nicht tadellos zu nennen; doch ertrage ſie we-
nigſtens einige Entſchuldigung; ſei mehr

K k 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0529" n="521"/>
genheit und &#x017F;chu&#x0364;ttete dann &#x017F;ein ganzes Herz<lb/>
aus. &#x2014; Der Gei&#x017F;tliche &#x017F;tuzte anfangs aller-<lb/>
dings ein wenig. Er hatte &#x017F;ich auf ein paar<lb/><hi rendition="#g">mo&#x0364;gliche</hi> Fa&#x0364;lle &#x017F;chon vorbereitet; doch der<lb/><hi rendition="#g">wu&#x0364;rkliche</hi> u&#x0364;ber&#x017F;tieg &#x017F;eine Erwartung. Er<lb/>
u&#x0364;berdachte einige Minuten lang &#x017F;chweigend die<lb/>
Lage des Ganzen. Er ge&#x017F;tand dann, daß er an<lb/>
P's Stelle auch Gewi&#x017F;&#x017F;ens-Schmerzen fu&#x0364;hlen<lb/>
wu&#x0364;rde; er fand daher auch die Reue de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
nicht nur billig, &#x017F;ondern &#x017F;ogar nothwendig.<lb/>
Aber er bemerkte doch, indem er den einmal<lb/>
aufgenommenen Faden weiter fort&#x017F;pann: daß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in die&#x017F;er Reue Uebermaas &#x017F;tatt finden<lb/>
ko&#x0364;nne, und vielleicht &#x2014; jezt &#x017F;chon finde. Er<lb/>
machte die große Wahrheit mit warmer Be-<lb/>
red&#x017F;amkeit geltend: daß Gott gewiß nicht rich-<lb/>
te, wie ein &#x017F;trenger, men&#x017F;chlicher, am Buch&#x017F;ta-<lb/>
ben gebundner Richter; daß er auf Ab&#x017F;icht und<lb/>
Willen nur, nie auf den Erfolg der That &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehe. Freilich, fuhr er fort, &#x017F;ei auch Ps Ab&#x017F;icht<lb/>
nicht tadellos zu nennen; doch ertrage &#x017F;ie we-<lb/>
nig&#x017F;tens einige Ent&#x017F;chuldigung; &#x017F;ei mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[521/0529] genheit und ſchuͤttete dann ſein ganzes Herz aus. — Der Geiſtliche ſtuzte anfangs aller- dings ein wenig. Er hatte ſich auf ein paar moͤgliche Faͤlle ſchon vorbereitet; doch der wuͤrkliche uͤberſtieg ſeine Erwartung. Er uͤberdachte einige Minuten lang ſchweigend die Lage des Ganzen. Er geſtand dann, daß er an P's Stelle auch Gewiſſens-Schmerzen fuͤhlen wuͤrde; er fand daher auch die Reue deſſelben nicht nur billig, ſondern ſogar nothwendig. Aber er bemerkte doch, indem er den einmal aufgenommenen Faden weiter fortſpann: daß ſelbſt in dieſer Reue Uebermaas ſtatt finden koͤnne, und vielleicht — jezt ſchon finde. Er machte die große Wahrheit mit warmer Be- redſamkeit geltend: daß Gott gewiß nicht rich- te, wie ein ſtrenger, menſchlicher, am Buchſta- ben gebundner Richter; daß er auf Abſicht und Willen nur, nie auf den Erfolg der That ſelbſt ſehe. Freilich, fuhr er fort, ſei auch Ps Abſicht nicht tadellos zu nennen; doch ertrage ſie we- nigſtens einige Entſchuldigung; ſei mehr K k 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/529
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/529>, abgerufen am 27.11.2024.