Verdacht ward mit jedem neuen Klingelzug stärker. Er legte sein Ohr dicht an ein Paar Spalten der Thüre, und glaubte, nach der ge- wöhnlichen Art der Selbstquäler, wirklich drinnen ein Flüstern und Rascheln zu verneh- men. Natürlich, daß durch alles dieses sei- ne Unruhe treflich wuchs; er sann bereits hin und her auf Rache, und endlich fiel es ihm ein, daß er ja so eben durch ein günstig schei- nendes Ungefähr sein Handwerkszeug bei sich habe.
"Wie, dacht' er, wenn ich mich nun dessen zur Eröffnung dieser Thüre bediente? Jst meine Braut treulos, so verdient sie Beschä- mung, und unser Handel ist geendigt. Jst sie unschuldig, so bitt' ich um Verzeihung, und sie vergiebt meiner Eifersucht, um meiner Liebe willen. -- Aber wie? wenn sie noch schlie- fe? Müßte doch wahrlich ein Todtenschlaf seyn! Und zudem wäre ja dem Bräutigam auch wohl solch' eine Ueberraschung ver- gönnt."
Verdacht ward mit jedem neuen Klingelzug ſtaͤrker. Er legte ſein Ohr dicht an ein Paar Spalten der Thuͤre, und glaubte, nach der ge- woͤhnlichen Art der Selbſtquaͤler, wirklich drinnen ein Fluͤſtern und Raſcheln zu verneh- men. Natuͤrlich, daß durch alles dieſes ſei- ne Unruhe treflich wuchs; er ſann bereits hin und her auf Rache, und endlich fiel es ihm ein, daß er ja ſo eben durch ein guͤnſtig ſchei- nendes Ungefaͤhr ſein Handwerkszeug bei ſich habe.
„Wie, dacht' er, wenn ich mich nun deſſen zur Eroͤffnung dieſer Thuͤre bediente? Jſt meine Braut treulos, ſo verdient ſie Beſchaͤ- mung, und unſer Handel iſt geendigt. Jſt ſie unſchuldig, ſo bitt' ich um Verzeihung, und ſie vergiebt meiner Eiferſucht, um meiner Liebe willen. — Aber wie? wenn ſie noch ſchlie- fe? Muͤßte doch wahrlich ein Todtenſchlaf ſeyn! Und zudem waͤre ja dem Braͤutigam auch wohl ſolch' eine Ueberraſchung ver- goͤnnt.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0064"n="56"/><hirendition="#g">Verdacht</hi> ward mit jedem neuen Klingelzug<lb/>ſtaͤrker. Er legte ſein Ohr dicht an ein Paar<lb/>
Spalten der Thuͤre, und glaubte, nach der ge-<lb/>
woͤhnlichen Art der Selbſtquaͤler, wirklich<lb/>
drinnen ein Fluͤſtern und Raſcheln zu verneh-<lb/>
men. Natuͤrlich, daß durch alles dieſes ſei-<lb/>
ne Unruhe treflich wuchs; er ſann bereits hin<lb/>
und her auf Rache, und endlich fiel es ihm<lb/>
ein, daß er ja ſo eben durch ein guͤnſtig ſchei-<lb/>
nendes Ungefaͤhr ſein Handwerkszeug bei ſich<lb/>
habe.</p><lb/><p>„Wie, dacht' er, wenn ich mich nun deſſen<lb/>
zur Eroͤffnung dieſer Thuͤre bediente? Jſt<lb/>
meine Braut treulos, ſo verdient ſie Beſchaͤ-<lb/>
mung, und unſer Handel iſt geendigt. Jſt<lb/>ſie unſchuldig, ſo bitt' ich um Verzeihung,<lb/>
und ſie vergiebt meiner Eiferſucht, um meiner<lb/>
Liebe willen. — Aber wie? wenn ſie noch ſchlie-<lb/>
fe? Muͤßte doch wahrlich ein Todtenſchlaf<lb/>ſeyn! Und zudem waͤre ja dem Braͤutigam<lb/>
auch wohl ſolch' eine Ueberraſchung ver-<lb/>
goͤnnt.“</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[56/0064]
Verdacht ward mit jedem neuen Klingelzug
ſtaͤrker. Er legte ſein Ohr dicht an ein Paar
Spalten der Thuͤre, und glaubte, nach der ge-
woͤhnlichen Art der Selbſtquaͤler, wirklich
drinnen ein Fluͤſtern und Raſcheln zu verneh-
men. Natuͤrlich, daß durch alles dieſes ſei-
ne Unruhe treflich wuchs; er ſann bereits hin
und her auf Rache, und endlich fiel es ihm
ein, daß er ja ſo eben durch ein guͤnſtig ſchei-
nendes Ungefaͤhr ſein Handwerkszeug bei ſich
habe.
„Wie, dacht' er, wenn ich mich nun deſſen
zur Eroͤffnung dieſer Thuͤre bediente? Jſt
meine Braut treulos, ſo verdient ſie Beſchaͤ-
mung, und unſer Handel iſt geendigt. Jſt
ſie unſchuldig, ſo bitt' ich um Verzeihung,
und ſie vergiebt meiner Eiferſucht, um meiner
Liebe willen. — Aber wie? wenn ſie noch ſchlie-
fe? Muͤßte doch wahrlich ein Todtenſchlaf
ſeyn! Und zudem waͤre ja dem Braͤutigam
auch wohl ſolch' eine Ueberraſchung ver-
goͤnnt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/64>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.