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Meißner, Alfred: Die Prinzessin von Portugal. Breslau u. a., 1882.

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Liebste auf der Welt sterben können? Sagte sie denn nicht auch selbst zu mir, daß sie mich bis zum Sterben liebe? Sie hat mir das Herz mit eigener Hand wieder geöffnet, und ich fühle weder die Lust noch die Macht, es vor ihr zu verschließen. Ich bin der seligste Mensch unter der Sonne!"

Unter solchen Gedanken war die Zeit schnell verstrichen; die Prinzessin kam von der heiligen Ceremonie mit ihren beiden Damen aus den Klosterhallen wieder hervor.

Es war schon Nachmittag; man konnte Lissabon nicht vor Mitternacht erreichen. Mit erröthenden Wangen und niedergeschlagenen Augen ging die Prinzessin an Arbogast vorüber, eilte aber sodann mit lustigen Sprüngen den Saumpfad hinunter. Arbogast lief ihr nach, von dem süßen, glühenden Wunsche und der einschmeichelnden Hoffnung erfüllt, sie wieder über die schmale Stelle auf den Armen tragen zu dürfen; aber er war bitter enttäuscht, als er sah, daß die Prinzessin, ohne zu zaudern und sich zu bedenken, den gefährlichen Weg mit der Raschheit und Sicherheit einer Gemse dahinschwebte.

Ohne weitere Zwischenfälle wurde die Landstraße

Liebste auf der Welt sterben können? Sagte sie denn nicht auch selbst zu mir, daß sie mich bis zum Sterben liebe? Sie hat mir das Herz mit eigener Hand wieder geöffnet, und ich fühle weder die Lust noch die Macht, es vor ihr zu verschließen. Ich bin der seligste Mensch unter der Sonne!“

Unter solchen Gedanken war die Zeit schnell verstrichen; die Prinzessin kam von der heiligen Ceremonie mit ihren beiden Damen aus den Klosterhallen wieder hervor.

Es war schon Nachmittag; man konnte Lissabon nicht vor Mitternacht erreichen. Mit erröthenden Wangen und niedergeschlagenen Augen ging die Prinzessin an Arbogast vorüber, eilte aber sodann mit lustigen Sprüngen den Saumpfad hinunter. Arbogast lief ihr nach, von dem süßen, glühenden Wunsche und der einschmeichelnden Hoffnung erfüllt, sie wieder über die schmale Stelle auf den Armen tragen zu dürfen; aber er war bitter enttäuscht, als er sah, daß die Prinzessin, ohne zu zaudern und sich zu bedenken, den gefährlichen Weg mit der Raschheit und Sicherheit einer Gemse dahinschwebte.

Ohne weitere Zwischenfälle wurde die Landstraße

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[46/0054] Liebste auf der Welt sterben können? Sagte sie denn nicht auch selbst zu mir, daß sie mich bis zum Sterben liebe? Sie hat mir das Herz mit eigener Hand wieder geöffnet, und ich fühle weder die Lust noch die Macht, es vor ihr zu verschließen. Ich bin der seligste Mensch unter der Sonne!“ Unter solchen Gedanken war die Zeit schnell verstrichen; die Prinzessin kam von der heiligen Ceremonie mit ihren beiden Damen aus den Klosterhallen wieder hervor. Es war schon Nachmittag; man konnte Lissabon nicht vor Mitternacht erreichen. Mit erröthenden Wangen und niedergeschlagenen Augen ging die Prinzessin an Arbogast vorüber, eilte aber sodann mit lustigen Sprüngen den Saumpfad hinunter. Arbogast lief ihr nach, von dem süßen, glühenden Wunsche und der einschmeichelnden Hoffnung erfüllt, sie wieder über die schmale Stelle auf den Armen tragen zu dürfen; aber er war bitter enttäuscht, als er sah, daß die Prinzessin, ohne zu zaudern und sich zu bedenken, den gefährlichen Weg mit der Raschheit und Sicherheit einer Gemse dahinschwebte. Ohne weitere Zwischenfälle wurde die Landstraße

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Die Prinzessin von Portugal. Breslau u. a., 1882, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_prinzessin_1882/54>, abgerufen am 15.05.2024.