Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

nerlich empfindet, und sich derselben bedienet,
ohne sich in Wort und Vortrag anders, als höchst
mangelhaft, und gleichsam stammelnd, auslas-
sen zu können; dort durch Wissenschaft und
Kunst unterstützt, hellglänzend durch Worte,
Bilder und Gleichnisse, durch welche die Wahr-
nehmungen des innern Sinnes in deutliche
Zeichenerkenntniß verwandelt und aufgestellt wer-
den. So oft es nützlich war, hat die Vorsehung
unter jeder Nation der Erde weise Männer
aufstehen lassen, und ihnen die Gabe verliehen,
mit hellerem Auge in sich selbst, und um sich her
zu schauen, die Werke Gottes zu betrachten,
und ihre Erkenntnisse andern mitzutheilen Aber
nicht zu allen Zeiten ist dieses nöthig oder nütz-
lich. Sehr oft reichet, wie der Psalmist sagt,
das Lallen der Kinder und Säuglinge hin,
den Feind zu beschämen. Der einfältig le-
bende Mensch hat sich die Einwürfe noch nicht
erkünstelt, die den Sophisten so sehr verwirren.
Ihm ist das Wort Natur, der blosse Schall,
noch nicht zu einem Wesen geworden, das die
Gottheit verdrengen will. Er weis so gar noch
wenig von dem Unterschiede zwischen mittelba-

rer

nerlich empfindet, und ſich derſelben bedienet,
ohne ſich in Wort und Vortrag anders, als hoͤchſt
mangelhaft, und gleichſam ſtammelnd, auslaſ-
ſen zu koͤnnen; dort durch Wiſſenſchaft und
Kunſt unterſtuͤtzt, hellglaͤnzend durch Worte,
Bilder und Gleichniſſe, durch welche die Wahr-
nehmungen des innern Sinnes in deutliche
Zeichenerkenntniß verwandelt und aufgeſtellt wer-
den. So oft es nuͤtzlich war, hat die Vorſehung
unter jeder Nation der Erde weiſe Maͤnner
aufſtehen laſſen, und ihnen die Gabe verliehen,
mit hellerem Auge in ſich ſelbſt, und um ſich her
zu ſchauen, die Werke Gottes zu betrachten,
und ihre Erkenntniſſe andern mitzutheilen Aber
nicht zu allen Zeiten iſt dieſes noͤthig oder nuͤtz-
lich. Sehr oft reichet, wie der Pſalmiſt ſagt,
das Lallen der Kinder und Saͤuglinge hin,
den Feind zu beſchaͤmen. Der einfaͤltig le-
bende Menſch hat ſich die Einwuͤrfe noch nicht
erkuͤnſtelt, die den Sophiſten ſo ſehr verwirren.
Ihm iſt das Wort Natur, der bloſſe Schall,
noch nicht zu einem Weſen geworden, das die
Gottheit verdrengen will. Er weis ſo gar noch
wenig von dem Unterſchiede zwiſchen mittelba-

rer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="42"/>
nerlich empfindet, und &#x017F;ich der&#x017F;elben bedienet,<lb/>
ohne &#x017F;ich in Wort und Vortrag anders, als ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
mangelhaft, und gleich&#x017F;am &#x017F;tammelnd, ausla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen; dort durch Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und<lb/>
Kun&#x017F;t unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, hellgla&#x0364;nzend durch Worte,<lb/>
Bilder und Gleichni&#x017F;&#x017F;e, durch welche die Wahr-<lb/>
nehmungen des innern Sinnes in deutliche<lb/>
Zeichenerkenntniß verwandelt und aufge&#x017F;tellt wer-<lb/>
den. So oft es nu&#x0364;tzlich war, hat die Vor&#x017F;ehung<lb/>
unter jeder Nation der Erde wei&#x017F;e Ma&#x0364;nner<lb/>
auf&#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en, und ihnen die Gabe verliehen,<lb/>
mit hellerem Auge in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und um &#x017F;ich her<lb/>
zu &#x017F;chauen, die Werke Gottes zu betrachten,<lb/>
und ihre Erkenntni&#x017F;&#x017F;e andern mitzutheilen Aber<lb/>
nicht zu allen Zeiten i&#x017F;t die&#x017F;es no&#x0364;thig oder nu&#x0364;tz-<lb/>
lich. Sehr oft reichet, wie der P&#x017F;almi&#x017F;t &#x017F;agt,<lb/>
das <hi rendition="#fr">Lallen der Kinder und Sa&#x0364;uglinge</hi> hin,<lb/><hi rendition="#fr">den Feind zu</hi> be&#x017F;cha&#x0364;men. Der einfa&#x0364;ltig le-<lb/>
bende Men&#x017F;ch hat &#x017F;ich die Einwu&#x0364;rfe noch nicht<lb/>
erku&#x0364;n&#x017F;telt, die den Sophi&#x017F;ten &#x017F;o &#x017F;ehr verwirren.<lb/>
Ihm i&#x017F;t das Wort <hi rendition="#fr">Natur</hi>, der blo&#x017F;&#x017F;e Schall,<lb/>
noch nicht zu einem We&#x017F;en geworden, das die<lb/>
Gottheit verdrengen will. Er weis &#x017F;o gar noch<lb/>
wenig von dem Unter&#x017F;chiede zwi&#x017F;chen mittelba-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rer</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0144] nerlich empfindet, und ſich derſelben bedienet, ohne ſich in Wort und Vortrag anders, als hoͤchſt mangelhaft, und gleichſam ſtammelnd, auslaſ- ſen zu koͤnnen; dort durch Wiſſenſchaft und Kunſt unterſtuͤtzt, hellglaͤnzend durch Worte, Bilder und Gleichniſſe, durch welche die Wahr- nehmungen des innern Sinnes in deutliche Zeichenerkenntniß verwandelt und aufgeſtellt wer- den. So oft es nuͤtzlich war, hat die Vorſehung unter jeder Nation der Erde weiſe Maͤnner aufſtehen laſſen, und ihnen die Gabe verliehen, mit hellerem Auge in ſich ſelbſt, und um ſich her zu ſchauen, die Werke Gottes zu betrachten, und ihre Erkenntniſſe andern mitzutheilen Aber nicht zu allen Zeiten iſt dieſes noͤthig oder nuͤtz- lich. Sehr oft reichet, wie der Pſalmiſt ſagt, das Lallen der Kinder und Saͤuglinge hin, den Feind zu beſchaͤmen. Der einfaͤltig le- bende Menſch hat ſich die Einwuͤrfe noch nicht erkuͤnſtelt, die den Sophiſten ſo ſehr verwirren. Ihm iſt das Wort Natur, der bloſſe Schall, noch nicht zu einem Weſen geworden, das die Gottheit verdrengen will. Er weis ſo gar noch wenig von dem Unterſchiede zwiſchen mittelba- rer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/144
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/144>, abgerufen am 17.05.2024.