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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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ihrer Diener. Wie hat es den Menschen beykome
men können, jene das Gegentheil lehren, diese
das Gegentheil predigen zu lassen?

Wenn aber der Charakter der Nation, der
Grad der Cultur, auf welchen sie gestiegen, die
mit dem Wohlstande der Nation gewachsene
Volksmenge, vervielfältigte Verhältnisse und
Verbindungen, überhand genommene Ueppig-
keit und andere Ursachen es unmöglich machen,
die Nation blos durch Gesinnungen zu regieren;
so nimmt der Staat seine Zuflucht zu öffentlichen
Anstalten, Zwangsgesetzen, Bestrafungen des
Verbrechens und Belohnung des Verdienstes.
Wenn der Bürger nicht aus innerm Gefühl sei-
ner Schuldigkeit das Vaterland vertheidigen
will; so werde er durch Belohnung gelockt, oder
durch Gewalt gezwungen. Haben die Menschen
keinen Sinn mehr für den innern Werth der
Gerechtigkeit, erkennen sie nicht mehr, daß Red-
lichkeit in Handel und Wandel wahre Glückse-
ligkeit sey; so werde die Ungerechtigkeit gezüch-
tiget, der Betrug bestraft. Freylich erhält der
Staat auf diese Weise den Endzweck der Gesell-
schaft nur zur Hälfte. Aeußere Bewegungs-
gründe machen den, auf welchen sie auch wir-

ken
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ihrer Diener. Wie hat es den Menſchen beykome
men koͤnnen, jene das Gegentheil lehren, dieſe
das Gegentheil predigen zu laſſen?

Wenn aber der Charakter der Nation, der
Grad der Cultur, auf welchen ſie geſtiegen, die
mit dem Wohlſtande der Nation gewachſene
Volksmenge, vervielfaͤltigte Verhaͤltniſſe und
Verbindungen, uͤberhand genommene Ueppig-
keit und andere Urſachen es unmoͤglich machen,
die Nation blos durch Geſinnungen zu regieren;
ſo nimmt der Staat ſeine Zuflucht zu oͤffentlichen
Anſtalten, Zwangsgeſetzen, Beſtrafungen des
Verbrechens und Belohnung des Verdienſtes.
Wenn der Buͤrger nicht aus innerm Gefuͤhl ſei-
ner Schuldigkeit das Vaterland vertheidigen
will; ſo werde er durch Belohnung gelockt, oder
durch Gewalt gezwungen. Haben die Menſchen
keinen Sinn mehr fuͤr den innern Werth der
Gerechtigkeit, erkennen ſie nicht mehr, daß Red-
lichkeit in Handel und Wandel wahre Gluͤckſe-
ligkeit ſey; ſo werde die Ungerechtigkeit gezuͤch-
tiget, der Betrug beſtraft. Freylich erhaͤlt der
Staat auf dieſe Weiſe den Endzweck der Geſell-
ſchaft nur zur Haͤlfte. Aeußere Bewegungs-
gruͤnde machen den, auf welchen ſie auch wir-

ken
B 5
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[25/0031] ihrer Diener. Wie hat es den Menſchen beykome men koͤnnen, jene das Gegentheil lehren, dieſe das Gegentheil predigen zu laſſen? Wenn aber der Charakter der Nation, der Grad der Cultur, auf welchen ſie geſtiegen, die mit dem Wohlſtande der Nation gewachſene Volksmenge, vervielfaͤltigte Verhaͤltniſſe und Verbindungen, uͤberhand genommene Ueppig- keit und andere Urſachen es unmoͤglich machen, die Nation blos durch Geſinnungen zu regieren; ſo nimmt der Staat ſeine Zuflucht zu oͤffentlichen Anſtalten, Zwangsgeſetzen, Beſtrafungen des Verbrechens und Belohnung des Verdienſtes. Wenn der Buͤrger nicht aus innerm Gefuͤhl ſei- ner Schuldigkeit das Vaterland vertheidigen will; ſo werde er durch Belohnung gelockt, oder durch Gewalt gezwungen. Haben die Menſchen keinen Sinn mehr fuͤr den innern Werth der Gerechtigkeit, erkennen ſie nicht mehr, daß Red- lichkeit in Handel und Wandel wahre Gluͤckſe- ligkeit ſey; ſo werde die Ungerechtigkeit gezuͤch- tiget, der Betrug beſtraft. Freylich erhaͤlt der Staat auf dieſe Weiſe den Endzweck der Geſell- ſchaft nur zur Haͤlfte. Aeußere Bewegungs- gruͤnde machen den, auf welchen ſie auch wir- ken B 5

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/31>, abgerufen am 21.11.2024.