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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Nun sind die Eltern zwar auch im Stan-
de der Natur gegen ihre Kinder zu gewissen
Dingen äusserlich verpflichtet, und könte
man glauben, daß dieses eine positive Pflicht
sey, die ohne allen Vertrag, nach den ewi-
gen Gesetzen der Weisheit und Güte er-
zwungen werden könnte. Allein mich dünkt,
das Zwangsrecht zur Erziehung der Kin-
der komme im Stande der Natur blos
den Eltern selbst, einem gegen den an-
dern, keinem dritten aber zu, der sich
etwa der Kinder annehmen und die Er-
ziehung von den Eltern erpressen wollte.
Niemand ist im Stande der Natur be-
sugt, die Eltern zur Erziehung ihrer Kin-
der mit Gewalt anzuhalten. Daß aber die
Eltern selbst gegen einander dieses Zwangs-
recht haben, fließet aus der Verabre-
dung, die sie, obschon nicht in Worten,
doch durch die Handlung selbst, getroffen
zu haben, vorausgesetzt wird.

Wer ein zur Glückseligkeit fähiges We-
sen hervorbringen hilft, ist nach dem Gesetze
der Natur verbunden, die Glückseligkeit
desselben zu befördern, so lange es selbst noch

in
C 4

Nun ſind die Eltern zwar auch im Stan-
de der Natur gegen ihre Kinder zu gewiſſen
Dingen aͤuſſerlich verpflichtet, und koͤnte
man glauben, daß dieſes eine poſitive Pflicht
ſey, die ohne allen Vertrag, nach den ewi-
gen Geſetzen der Weisheit und Guͤte er-
zwungen werden koͤnnte. Allein mich duͤnkt,
das Zwangsrecht zur Erziehung der Kin-
der komme im Stande der Natur blos
den Eltern ſelbſt, einem gegen den an-
dern, keinem dritten aber zu, der ſich
etwa der Kinder annehmen und die Er-
ziehung von den Eltern erpreſſen wollte.
Niemand iſt im Stande der Natur be-
ſugt, die Eltern zur Erziehung ihrer Kin-
der mit Gewalt anzuhalten. Daß aber die
Eltern ſelbſt gegen einander dieſes Zwangs-
recht haben, fließet aus der Verabre-
dung, die ſie, obſchon nicht in Worten,
doch durch die Handlung ſelbſt, getroffen
zu haben, vorausgeſetzt wird.

Wer ein zur Gluͤckſeligkeit faͤhiges We-
ſen hervorbringen hilft, iſt nach dem Geſetze
der Natur verbunden, die Gluͤckſeligkeit
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in
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[39/0045] Nun ſind die Eltern zwar auch im Stan- de der Natur gegen ihre Kinder zu gewiſſen Dingen aͤuſſerlich verpflichtet, und koͤnte man glauben, daß dieſes eine poſitive Pflicht ſey, die ohne allen Vertrag, nach den ewi- gen Geſetzen der Weisheit und Guͤte er- zwungen werden koͤnnte. Allein mich duͤnkt, das Zwangsrecht zur Erziehung der Kin- der komme im Stande der Natur blos den Eltern ſelbſt, einem gegen den an- dern, keinem dritten aber zu, der ſich etwa der Kinder annehmen und die Er- ziehung von den Eltern erpreſſen wollte. Niemand iſt im Stande der Natur be- ſugt, die Eltern zur Erziehung ihrer Kin- der mit Gewalt anzuhalten. Daß aber die Eltern ſelbſt gegen einander dieſes Zwangs- recht haben, fließet aus der Verabre- dung, die ſie, obſchon nicht in Worten, doch durch die Handlung ſelbſt, getroffen zu haben, vorausgeſetzt wird. Wer ein zur Gluͤckſeligkeit faͤhiges We- ſen hervorbringen hilft, iſt nach dem Geſetze der Natur verbunden, die Gluͤckſeligkeit deſſelben zu befoͤrdern, ſo lange es ſelbſt noch in C 4

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/45>, abgerufen am 03.05.2024.