Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.sophie Regeln an, als sie selbst in sie Regeln hin¬ Deutsche Literatur. I. 8
ſophie Regeln an, als ſie ſelbſt in ſie Regeln hin¬ Deutſche Literatur. I. 8
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0179" n="169"/> ſophie Regeln an, als ſie ſelbſt in ſie Regeln hin¬<lb/> uͤber tragen, ja ſogar ſie voͤllig umſchaffen. Und wo<lb/> dies auch nicht der Fall waͤre, muß ein ſelbſtſtaͤndi¬<lb/> ges, wenn auch einſeitiges Moralſyſtem, eine eigen¬<lb/> thuͤmliche Logik oder Phyſik ſo viel Werth haben,<lb/> als wenn wir ſie als integrirenden Theil eines um¬<lb/> faſſenden philoſophiſchen Syſtems kennen lernten. In<lb/> allem, was der Menſchengeiſt hervorbringt, liegt ein<lb/> innrer Zuſammenhang, wenn auch die Form ihn ver¬<lb/> laͤugnet. Kant war ſo vielſeitig, als die Bildung des<lb/> Jahrhunderts ihm Seiten darbot. Sein brillantirter<lb/> Geiſt ſelbſt war der Stein der Weiſen ſeiner Zeit.<lb/> Sein Syſtem beruhte auf der Wuͤrdigung aller gei¬<lb/> ſtigen Richtungen und er wirkte wohlthaͤtig auf alle.<lb/> Seine Schuͤler zeigen oft nur dem Syſtem zu Liebe<lb/> eine oberflaͤchliche Vielſeitigkeit. An echter umfaſſen¬<lb/> der Bildung ſteht allen andern der biedre Fries voran,<lb/> der ſich uͤberdem durch eine vorwiegende ethiſche Rich¬<lb/> tung und durch ein Streben nach Popularitaͤt aus¬<lb/> zeichnet. Fichte war ganz Moraliſt, und alle ſeine<lb/> Werke beziehen ſich auf das handelnde Leben, ſo we¬<lb/> nig ſie auch populaͤr geſchrieben ſind, ſo daß man<lb/> nicht einmal ſeine Reden an die deutſche Nation au¬<lb/> ßer der Schule begreifen kann. Dieſer tapfre Geiſt<lb/> verlangte die Diktatur und den Terrorismus der Tu¬<lb/> gend. Er ſtellte die abſolute Tugend ſelbſt dem Him¬<lb/> mel entgegen und verſchmaͤhte fuͤr dieſelbe die Garan¬<lb/> tie der religioͤſen Autoritaͤt. Ein rieſenſtarker Wille<lb/> in der eignen Bruſt ſollte jede fremde Kruͤcke dem neu¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Deutſche Literatur. <hi rendition="#aq">I</hi>. 8<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [169/0179]
ſophie Regeln an, als ſie ſelbſt in ſie Regeln hin¬
uͤber tragen, ja ſogar ſie voͤllig umſchaffen. Und wo
dies auch nicht der Fall waͤre, muß ein ſelbſtſtaͤndi¬
ges, wenn auch einſeitiges Moralſyſtem, eine eigen¬
thuͤmliche Logik oder Phyſik ſo viel Werth haben,
als wenn wir ſie als integrirenden Theil eines um¬
faſſenden philoſophiſchen Syſtems kennen lernten. In
allem, was der Menſchengeiſt hervorbringt, liegt ein
innrer Zuſammenhang, wenn auch die Form ihn ver¬
laͤugnet. Kant war ſo vielſeitig, als die Bildung des
Jahrhunderts ihm Seiten darbot. Sein brillantirter
Geiſt ſelbſt war der Stein der Weiſen ſeiner Zeit.
Sein Syſtem beruhte auf der Wuͤrdigung aller gei¬
ſtigen Richtungen und er wirkte wohlthaͤtig auf alle.
Seine Schuͤler zeigen oft nur dem Syſtem zu Liebe
eine oberflaͤchliche Vielſeitigkeit. An echter umfaſſen¬
der Bildung ſteht allen andern der biedre Fries voran,
der ſich uͤberdem durch eine vorwiegende ethiſche Rich¬
tung und durch ein Streben nach Popularitaͤt aus¬
zeichnet. Fichte war ganz Moraliſt, und alle ſeine
Werke beziehen ſich auf das handelnde Leben, ſo we¬
nig ſie auch populaͤr geſchrieben ſind, ſo daß man
nicht einmal ſeine Reden an die deutſche Nation au¬
ßer der Schule begreifen kann. Dieſer tapfre Geiſt
verlangte die Diktatur und den Terrorismus der Tu¬
gend. Er ſtellte die abſolute Tugend ſelbſt dem Him¬
mel entgegen und verſchmaͤhte fuͤr dieſelbe die Garan¬
tie der religioͤſen Autoritaͤt. Ein rieſenſtarker Wille
in der eignen Bruſt ſollte jede fremde Kruͤcke dem neu¬
Deutſche Literatur. I. 8
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