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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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bringen, in welcher sie allein gesund gedeihen und
ihre Harmonie entfalten können. Bei uns ist diese
einfache Wahrheit vergessen, und als Ersatzmittel für
die unmittelbarsten Hebel einer gesunden Erziehung
dienen nur Worte und nichts als Worte. Unser gan¬
zer Unterricht beschränkt sich auf den intellectuellen.
Wenn dem Gedächtniß nur Worte und dem Verstand
einige Geläufigkeit in Begriffen eingeprägt werden,
so ist die Sache gethan, der Körper und das Ge¬
müth mögen dabei versauern. Die Wirkung, welche
die Gymnastik auf den Körper, die Musik auf das
Gemüth übt, und die Wirkung, welche beide dadurch
auf die Gesundheit des Geistes üben, kommen uns
gar nicht in Anschlag. Man will keine harmonische
Bildung des ganzen Menschen, sondern nur Viel¬
wisserei.

An die Musik scheint man neuerdings mehr zu
denken, die Gymnastik wird aber geflohn und das
Gesundeste gleich einer Pest verabscheut. Ein unge¬
wöhnliches Auffallen erregte vor einigen Jahren die
Turnkunst, und daß jetzt kein Wort mehr davon ge¬
hört wird, ist wohl noch auffallender. Man darf
hoffen, daß es zum Theil die Scham ist, welche die
Pädagogen lieber über einen Gegenstand schweigen
läßt, der ihre Blößen so sehr aufgedeckt hat. Kann
es wohl etwas wahnsinnigeres geben, als was man
von dieser guten Turnkunst gehofft hat? vielleicht das,
was man von ihr gefürchtet hat, wenn beides nicht
einerlei ist. Man glaubte damals, die liebe Jugend

bringen, in welcher ſie allein geſund gedeihen und
ihre Harmonie entfalten koͤnnen. Bei uns iſt dieſe
einfache Wahrheit vergeſſen, und als Erſatzmittel fuͤr
die unmittelbarſten Hebel einer geſunden Erziehung
dienen nur Worte und nichts als Worte. Unſer gan¬
zer Unterricht beſchraͤnkt ſich auf den intellectuellen.
Wenn dem Gedaͤchtniß nur Worte und dem Verſtand
einige Gelaͤufigkeit in Begriffen eingepraͤgt werden,
ſo iſt die Sache gethan, der Koͤrper und das Ge¬
muͤth moͤgen dabei verſauern. Die Wirkung, welche
die Gymnaſtik auf den Koͤrper, die Muſik auf das
Gemuͤth uͤbt, und die Wirkung, welche beide dadurch
auf die Geſundheit des Geiſtes uͤben, kommen uns
gar nicht in Anſchlag. Man will keine harmoniſche
Bildung des ganzen Menſchen, ſondern nur Viel¬
wiſſerei.

An die Muſik ſcheint man neuerdings mehr zu
denken, die Gymnaſtik wird aber geflohn und das
Geſundeſte gleich einer Peſt verabſcheut. Ein unge¬
woͤhnliches Auffallen erregte vor einigen Jahren die
Turnkunſt, und daß jetzt kein Wort mehr davon ge¬
hoͤrt wird, iſt wohl noch auffallender. Man darf
hoffen, daß es zum Theil die Scham iſt, welche die
Paͤdagogen lieber uͤber einen Gegenſtand ſchweigen
laͤßt, der ihre Bloͤßen ſo ſehr aufgedeckt hat. Kann
es wohl etwas wahnſinnigeres geben, als was man
von dieſer guten Turnkunſt gehofft hat? vielleicht das,
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einerlei iſt. Man glaubte damals, die liebe Jugend

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[268/0278] bringen, in welcher ſie allein geſund gedeihen und ihre Harmonie entfalten koͤnnen. Bei uns iſt dieſe einfache Wahrheit vergeſſen, und als Erſatzmittel fuͤr die unmittelbarſten Hebel einer geſunden Erziehung dienen nur Worte und nichts als Worte. Unſer gan¬ zer Unterricht beſchraͤnkt ſich auf den intellectuellen. Wenn dem Gedaͤchtniß nur Worte und dem Verſtand einige Gelaͤufigkeit in Begriffen eingepraͤgt werden, ſo iſt die Sache gethan, der Koͤrper und das Ge¬ muͤth moͤgen dabei verſauern. Die Wirkung, welche die Gymnaſtik auf den Koͤrper, die Muſik auf das Gemuͤth uͤbt, und die Wirkung, welche beide dadurch auf die Geſundheit des Geiſtes uͤben, kommen uns gar nicht in Anſchlag. Man will keine harmoniſche Bildung des ganzen Menſchen, ſondern nur Viel¬ wiſſerei. An die Muſik ſcheint man neuerdings mehr zu denken, die Gymnaſtik wird aber geflohn und das Geſundeſte gleich einer Peſt verabſcheut. Ein unge¬ woͤhnliches Auffallen erregte vor einigen Jahren die Turnkunſt, und daß jetzt kein Wort mehr davon ge¬ hoͤrt wird, iſt wohl noch auffallender. Man darf hoffen, daß es zum Theil die Scham iſt, welche die Paͤdagogen lieber uͤber einen Gegenſtand ſchweigen laͤßt, der ihre Bloͤßen ſo ſehr aufgedeckt hat. Kann es wohl etwas wahnſinnigeres geben, als was man von dieſer guten Turnkunſt gehofft hat? vielleicht das, was man von ihr gefuͤrchtet hat, wenn beides nicht einerlei iſt. Man glaubte damals, die liebe Jugend

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/278>, abgerufen am 23.11.2024.