die Dichter, wie in Deutschland. Jeder neue Adelung wird vor einem neuen Göthe, Schiller, Tieck zu Spott werden. Titanen brauchen keine Fechtschule, weil sie doch jede Parade durchschlagen. Den gro¬ ßen Dichter und Denker hält sein Genie, den gemei¬ nen seine angeborne Natur, alle der gänzliche Man¬ gel einer Regel, eines gesetzgebenden Geschmacks und eines richtenden Publikums von dem Zwang einer attischen oder parisischen Censur entfernt.
Im Ganzen hat die deutsche Sprache im Fort¬ schritt der Zeit auf der einen Seite gewonnen, auf der andern verloren. Die Reinheit, eine Menge Stammwörter, einen bewundrungswürdigen Reich¬ thum von feinen und wohllautenden Biegungen hat sie seit einem halben Jahrtausend verloren. Dagegen hat sie von dem, was ihr übrig geblieben, einen desto bessern Gebrauch gemacht. In der jetzt ärmern und klanglosern Sprache ist unendlich viel gedacht und gedichtet worden, das uns die verlornen Laute vermissen läßt. Ausgezeichnete Meister haben aber auch diese neue hochdeutsche Sprache durch Virtuosi¬ tät des Gebrauchs zu einer eigenthümlichen Schön¬ heit zu bilden gewußt, und man hat angefangen, sie sogar aufs Neue aus dem Schatz der Vorzeit zu schmücken. Es gehört nicht zu den geringsten Ver¬ diensten der Romantiker, daß sie die deutsche Sprache wieder auf den alten Ton gestimmt haben, so weit es ihre gegenwärtige Instrumentation vertragen kann.
die Dichter, wie in Deutſchland. Jeder neue Adelung wird vor einem neuen Goͤthe, Schiller, Tieck zu Spott werden. Titanen brauchen keine Fechtſchule, weil ſie doch jede Parade durchſchlagen. Den gro¬ ßen Dichter und Denker haͤlt ſein Genie, den gemei¬ nen ſeine angeborne Natur, alle der gaͤnzliche Man¬ gel einer Regel, eines geſetzgebenden Geſchmacks und eines richtenden Publikums von dem Zwang einer attiſchen oder pariſiſchen Cenſur entfernt.
Im Ganzen hat die deutſche Sprache im Fort¬ ſchritt der Zeit auf der einen Seite gewonnen, auf der andern verloren. Die Reinheit, eine Menge Stammwoͤrter, einen bewundrungswuͤrdigen Reich¬ thum von feinen und wohllautenden Biegungen hat ſie ſeit einem halben Jahrtauſend verloren. Dagegen hat ſie von dem, was ihr uͤbrig geblieben, einen deſto beſſern Gebrauch gemacht. In der jetzt aͤrmern und klangloſern Sprache iſt unendlich viel gedacht und gedichtet worden, das uns die verlornen Laute vermiſſen laͤßt. Ausgezeichnete Meiſter haben aber auch dieſe neue hochdeutſche Sprache durch Virtuoſi¬ taͤt des Gebrauchs zu einer eigenthuͤmlichen Schoͤn¬ heit zu bilden gewußt, und man hat angefangen, ſie ſogar aufs Neue aus dem Schatz der Vorzeit zu ſchmuͤcken. Es gehoͤrt nicht zu den geringſten Ver¬ dienſten der Romantiker, daß ſie die deutſche Sprache wieder auf den alten Ton geſtimmt haben, ſo weit es ihre gegenwaͤrtige Inſtrumentation vertragen kann.
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die Dichter, wie in Deutſchland. Jeder neue Adelung
wird vor einem neuen Goͤthe, Schiller, Tieck zu
Spott werden. Titanen brauchen keine Fechtſchule,
weil ſie doch jede Parade durchſchlagen. Den gro¬
ßen Dichter und Denker haͤlt ſein Genie, den gemei¬
nen ſeine angeborne Natur, alle der gaͤnzliche Man¬
gel einer Regel, eines geſetzgebenden Geſchmacks und
eines richtenden Publikums von dem Zwang einer
attiſchen oder pariſiſchen Cenſur entfernt.
Im Ganzen hat die deutſche Sprache im Fort¬
ſchritt der Zeit auf der einen Seite gewonnen, auf
der andern verloren. Die Reinheit, eine Menge
Stammwoͤrter, einen bewundrungswuͤrdigen Reich¬
thum von feinen und wohllautenden Biegungen hat
ſie ſeit einem halben Jahrtauſend verloren. Dagegen
hat ſie von dem, was ihr uͤbrig geblieben, einen
deſto beſſern Gebrauch gemacht. In der jetzt aͤrmern
und klangloſern Sprache iſt unendlich viel gedacht
und gedichtet worden, das uns die verlornen Laute
vermiſſen laͤßt. Ausgezeichnete Meiſter haben aber
auch dieſe neue hochdeutſche Sprache durch Virtuoſi¬
taͤt des Gebrauchs zu einer eigenthuͤmlichen Schoͤn¬
heit zu bilden gewußt, und man hat angefangen, ſie
ſogar aufs Neue aus dem Schatz der Vorzeit zu
ſchmuͤcken. Es gehoͤrt nicht zu den geringſten Ver¬
dienſten der Romantiker, daß ſie die deutſche Sprache
wieder auf den alten Ton geſtimmt haben, ſo weit es
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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