Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.gegen alle Neuerungen wieder geltend zu machen ge¬ Unstreitig ist vieles Gute an den Zunftgeist ge¬ gegen alle Neuerungen wieder geltend zu machen ge¬ Unſtreitig iſt vieles Gute an den Zunftgeiſt ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="35"/> gegen alle Neuerungen wieder geltend zu machen ge¬<lb/> ſucht. Was geſtern heterodox geweſen, iſt heute wie¬<lb/> der orthodox geworden. Was geſtern als Indivi¬<lb/> dualitaͤt eines großen Mannes aufgetreten, wird<lb/> heute wieder zur deſpotiſchen Manier einer Schule.<lb/> Der Grund dieſer Erſcheinung muß aber nicht allein<lb/> in den Fortwirkungen des Mittelalters, ſondern auch<lb/> im Charakter des Volks ſelbſt geſucht werden. Der<lb/> Deutſche gluͤht fuͤr die Erkenntniß der Wahrheit,<lb/> und will ſie anerkannt wiſſen. Es iſt dieſelbe Be¬<lb/> geiſterung, die ihn zum Beharren und zum Refor¬<lb/> miren antreibt.</p><lb/> <p>Unſtreitig iſt vieles Gute an den Zunftgeiſt ge¬<lb/> knuͤpft. Die Treue, mit welcher die Schaͤtze der<lb/> Tradition bewahrt werden; die Wuͤrde, die der Au¬<lb/> toritaͤt gerettet wird; die Begeiſterung und Pietaͤt,<lb/> mit welchem man das Geheiligte, Erprobte oder Ge¬<lb/> glaubte verehrt; alle jene Tugenden, welche die <hi rendition="#g">An¬<lb/> haͤnglichkeit an das Alte</hi> zu begleiten pflegen,<lb/> muͤſſen in ihrem ganzen Werth anerkannt werden, wenn<lb/> wir ſie dem Leichtſinn vieler Neurer gegenuͤberſtellen, der<lb/> ſo oft alle moraliſche Autoritaͤt, alle hiſtoriſche Tra¬<lb/> dition, und mit der alten Schule auch die alte <hi rendition="#g">Er¬<lb/> fahrung</hi> uͤber den Haufen wirft. Das Kranke je¬<lb/> nes Zunftgeiſtes aber iſt das Princip der Stabilitaͤt,<lb/> das Stilleſtehen, wo ewiger Fortſchritt iſt, die Bor¬<lb/> nirtheit, die Schranken ſtatuirt, wo keine ſind. Hier¬<lb/> aus fließt mit Nothwendigkeit einerſeits ein hierar¬<lb/> chiſches Syſtem, Kaſtenzwang, Parteiſucht, Proſely¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0045]
gegen alle Neuerungen wieder geltend zu machen ge¬
ſucht. Was geſtern heterodox geweſen, iſt heute wie¬
der orthodox geworden. Was geſtern als Indivi¬
dualitaͤt eines großen Mannes aufgetreten, wird
heute wieder zur deſpotiſchen Manier einer Schule.
Der Grund dieſer Erſcheinung muß aber nicht allein
in den Fortwirkungen des Mittelalters, ſondern auch
im Charakter des Volks ſelbſt geſucht werden. Der
Deutſche gluͤht fuͤr die Erkenntniß der Wahrheit,
und will ſie anerkannt wiſſen. Es iſt dieſelbe Be¬
geiſterung, die ihn zum Beharren und zum Refor¬
miren antreibt.
Unſtreitig iſt vieles Gute an den Zunftgeiſt ge¬
knuͤpft. Die Treue, mit welcher die Schaͤtze der
Tradition bewahrt werden; die Wuͤrde, die der Au¬
toritaͤt gerettet wird; die Begeiſterung und Pietaͤt,
mit welchem man das Geheiligte, Erprobte oder Ge¬
glaubte verehrt; alle jene Tugenden, welche die An¬
haͤnglichkeit an das Alte zu begleiten pflegen,
muͤſſen in ihrem ganzen Werth anerkannt werden, wenn
wir ſie dem Leichtſinn vieler Neurer gegenuͤberſtellen, der
ſo oft alle moraliſche Autoritaͤt, alle hiſtoriſche Tra¬
dition, und mit der alten Schule auch die alte Er¬
fahrung uͤber den Haufen wirft. Das Kranke je¬
nes Zunftgeiſtes aber iſt das Princip der Stabilitaͤt,
das Stilleſtehen, wo ewiger Fortſchritt iſt, die Bor¬
nirtheit, die Schranken ſtatuirt, wo keine ſind. Hier¬
aus fließt mit Nothwendigkeit einerſeits ein hierar¬
chiſches Syſtem, Kaſtenzwang, Parteiſucht, Proſely¬
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