Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.trachtungen, gelehrten Grübeleien und ausschweifen¬ Das schulgemäße Treiben hat zu gelehrter trachtungen, gelehrten Gruͤbeleien und ausſchweifen¬ Das ſchulgemaͤße Treiben hat zu gelehrter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="37"/> trachtungen, gelehrten Gruͤbeleien und ausſchweifen¬<lb/> den Phantaſien befoͤrdert, woraus denn auch der<lb/> Mangel an praktiſchem Sinn und Lebensfreude ſich<lb/> erklaͤren laͤßt. Noch jetzt leben die meiſten Gelehr¬<lb/> ten und Schriftſteller wie Troglodyten in ihren Buͤ¬<lb/> cherhoͤhlen und verlieren mit dem Anblick der Natur<lb/> zugleich den Sinn fuͤr dieſelbe, und die Kraft, ſie zu<lb/> genießen. Das Leben wird ihnen ein Traum, und<lb/> nur der Traum iſt ihr Leben. Ob der Schieferde¬<lb/> cker vom Dach, oder Napoleon vom Thron gefallen,<lb/> ſie ſagen: ſo ſo, ei ei! und ſtecken die Naſe wieder<lb/> in die Buͤcher. Wie aber Fruͤchte, die man in einem<lb/> feuchten Keller aufbewahrt, vom Schimmel verderbt<lb/> werden, ſo die Geiſtesfruͤchte von der gelehrten Stu¬<lb/> benluft. Der Vater theilt ſeinen geiſtigen Kindern<lb/> nicht nur ſeine geiſtigen, ſondern auch ſeine phyſiſchen<lb/> Krankheiten mit. Man kann den Buͤchern nicht nur<lb/> die Verſtocktheit, Herzloſigkeit oder Hypochondrie,<lb/> ſondern auch die Gicht, die Gelbſucht, ja die Haͤ߬<lb/> lichkeit ihrer Verfaſſer anſehn.</p><lb/> <p>Das ſchulgemaͤße Treiben hat zu <hi rendition="#g">gelehrter<lb/> Pedanterie</hi> gefuͤhrt. Die geſunde unmittelbare<lb/> Anſchauung hat einer hypochondriſchen Reflexion Platz<lb/> gemacht. Man ſchreibt Buͤcher aus Buͤchern, ſtatt<lb/> ſie aus der Natur zu entlehnen. Man ſtellt die<lb/> Dinge nicht mehr einfach dar, ſondern kramt dabei<lb/> den Schatz ſeiner Kenntniſſe aus. Man weicht von<lb/> dem urſpruͤnglichen Zwecke der Wiſſenſchaften ab und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0047]
trachtungen, gelehrten Gruͤbeleien und ausſchweifen¬
den Phantaſien befoͤrdert, woraus denn auch der
Mangel an praktiſchem Sinn und Lebensfreude ſich
erklaͤren laͤßt. Noch jetzt leben die meiſten Gelehr¬
ten und Schriftſteller wie Troglodyten in ihren Buͤ¬
cherhoͤhlen und verlieren mit dem Anblick der Natur
zugleich den Sinn fuͤr dieſelbe, und die Kraft, ſie zu
genießen. Das Leben wird ihnen ein Traum, und
nur der Traum iſt ihr Leben. Ob der Schieferde¬
cker vom Dach, oder Napoleon vom Thron gefallen,
ſie ſagen: ſo ſo, ei ei! und ſtecken die Naſe wieder
in die Buͤcher. Wie aber Fruͤchte, die man in einem
feuchten Keller aufbewahrt, vom Schimmel verderbt
werden, ſo die Geiſtesfruͤchte von der gelehrten Stu¬
benluft. Der Vater theilt ſeinen geiſtigen Kindern
nicht nur ſeine geiſtigen, ſondern auch ſeine phyſiſchen
Krankheiten mit. Man kann den Buͤchern nicht nur
die Verſtocktheit, Herzloſigkeit oder Hypochondrie,
ſondern auch die Gicht, die Gelbſucht, ja die Haͤ߬
lichkeit ihrer Verfaſſer anſehn.
Das ſchulgemaͤße Treiben hat zu gelehrter
Pedanterie gefuͤhrt. Die geſunde unmittelbare
Anſchauung hat einer hypochondriſchen Reflexion Platz
gemacht. Man ſchreibt Buͤcher aus Buͤchern, ſtatt
ſie aus der Natur zu entlehnen. Man ſtellt die
Dinge nicht mehr einfach dar, ſondern kramt dabei
den Schatz ſeiner Kenntniſſe aus. Man weicht von
dem urſpruͤnglichen Zwecke der Wiſſenſchaften ab und
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