Die Umstände tragen vieles bei, daß eine so große Menge unberufener Autoren auftritt. Die Kunst ist profanirt worden. Man glaubt keiner Meister¬ schaft mehr zu bedürfen. Jeder achtet sich für eben so befugt, zu schreiben, als zu reden. Die Gelehr¬ samkeit der Kaste ist so ins Absurde gerathen, daß die gesunde Vernunft der Laien eine Revolution da¬ gegen erheben und einen leichten Sieg davon tragen konnte. Plötzlich brachen aus der Hefe des Laien¬ volks Publicisten und Romanschreiber, als andre Mar¬ seiller und Septembriseurs, unter die alten gelehrten Perüken, und auch die Poissarden fehlten nicht. Wie hätten die Weiber, bei denen der gesunde Menschen¬ verstand immer wie an der Wurzel hält, ihre Sen¬ timens und natürlichen Erfahrungen nicht geltend ma¬ chen sollen, wie hätten sie nicht mit ihren Talenten glänzen wollen, da die Bahn des Ruhms ihnen offen stund. So sehn wir jetzt eine närrische Armee von Weibern und Kindern das Ballhaus zur literarischen Nationalversammlung machen, und dem deutschen Publikum Gesetze geben.
Der Gelehrte schreibt, weil er weiser zu seyn glaubt, als andre, und weil er die Schriftstellerei zu seinen Rechten und Pflichten zählt. Die Profanen schreiben, weil sie sich für gescheiter und gesünder achten, als die Gelehrten, und weil sie, indem sie uns zur Natur zurückführen wollen, zunächst ihre eigne für die rechte halten. Endlich ist es ein immer wiederkehrender Wahn der Einfältigen, der Eitlen
Die Umſtaͤnde tragen vieles bei, daß eine ſo große Menge unberufener Autoren auftritt. Die Kunſt iſt profanirt worden. Man glaubt keiner Meiſter¬ ſchaft mehr zu beduͤrfen. Jeder achtet ſich fuͤr eben ſo befugt, zu ſchreiben, als zu reden. Die Gelehr¬ ſamkeit der Kaſte iſt ſo ins Abſurde gerathen, daß die geſunde Vernunft der Laien eine Revolution da¬ gegen erheben und einen leichten Sieg davon tragen konnte. Ploͤtzlich brachen aus der Hefe des Laien¬ volks Publiciſten und Romanſchreiber, als andre Mar¬ ſeiller und Septembriſeurs, unter die alten gelehrten Peruͤken, und auch die Poiſſarden fehlten nicht. Wie haͤtten die Weiber, bei denen der geſunde Menſchen¬ verſtand immer wie an der Wurzel haͤlt, ihre Sen¬ timens und natuͤrlichen Erfahrungen nicht geltend ma¬ chen ſollen, wie haͤtten ſie nicht mit ihren Talenten glaͤnzen wollen, da die Bahn des Ruhms ihnen offen ſtund. So ſehn wir jetzt eine naͤrriſche Armee von Weibern und Kindern das Ballhaus zur literariſchen Nationalverſammlung machen, und dem deutſchen Publikum Geſetze geben.
Der Gelehrte ſchreibt, weil er weiſer zu ſeyn glaubt, als andre, und weil er die Schriftſtellerei zu ſeinen Rechten und Pflichten zaͤhlt. Die Profanen ſchreiben, weil ſie ſich fuͤr geſcheiter und geſuͤnder achten, als die Gelehrten, und weil ſie, indem ſie uns zur Natur zuruͤckfuͤhren wollen, zunaͤchſt ihre eigne fuͤr die rechte halten. Endlich iſt es ein immer wiederkehrender Wahn der Einfaͤltigen, der Eitlen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0079"n="69"/><p>Die Umſtaͤnde tragen vieles bei, daß eine ſo<lb/>
große Menge unberufener Autoren auftritt. Die Kunſt<lb/>
iſt profanirt worden. Man glaubt keiner Meiſter¬<lb/>ſchaft mehr zu beduͤrfen. Jeder achtet ſich fuͤr eben<lb/>ſo befugt, zu ſchreiben, als zu reden. Die Gelehr¬<lb/>ſamkeit der Kaſte iſt ſo ins Abſurde gerathen, daß<lb/>
die geſunde Vernunft der Laien eine Revolution da¬<lb/>
gegen erheben und einen leichten Sieg davon tragen<lb/>
konnte. Ploͤtzlich brachen aus der Hefe des Laien¬<lb/>
volks Publiciſten und Romanſchreiber, als andre Mar¬<lb/>ſeiller und Septembriſeurs, unter die alten gelehrten<lb/>
Peruͤken, und auch die Poiſſarden fehlten nicht. Wie<lb/>
haͤtten die Weiber, bei denen der geſunde Menſchen¬<lb/>
verſtand immer wie an der Wurzel haͤlt, ihre Sen¬<lb/>
timens und natuͤrlichen Erfahrungen nicht geltend ma¬<lb/>
chen ſollen, wie haͤtten ſie nicht mit ihren Talenten<lb/>
glaͤnzen wollen, da die Bahn des Ruhms ihnen offen<lb/>ſtund. So ſehn wir jetzt eine naͤrriſche Armee von<lb/>
Weibern und Kindern das Ballhaus zur literariſchen<lb/>
Nationalverſammlung machen, und dem deutſchen<lb/>
Publikum Geſetze geben.</p><lb/><p>Der Gelehrte ſchreibt, weil er weiſer zu ſeyn<lb/>
glaubt, als andre, und weil er die Schriftſtellerei<lb/>
zu ſeinen Rechten und Pflichten zaͤhlt. Die Profanen<lb/>ſchreiben, weil ſie ſich fuͤr geſcheiter und geſuͤnder<lb/>
achten, als die Gelehrten, und weil ſie, indem ſie<lb/>
uns zur Natur zuruͤckfuͤhren wollen, zunaͤchſt ihre<lb/>
eigne fuͤr die rechte halten. Endlich iſt es ein immer<lb/>
wiederkehrender Wahn der Einfaͤltigen, der Eitlen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0079]
Die Umſtaͤnde tragen vieles bei, daß eine ſo
große Menge unberufener Autoren auftritt. Die Kunſt
iſt profanirt worden. Man glaubt keiner Meiſter¬
ſchaft mehr zu beduͤrfen. Jeder achtet ſich fuͤr eben
ſo befugt, zu ſchreiben, als zu reden. Die Gelehr¬
ſamkeit der Kaſte iſt ſo ins Abſurde gerathen, daß
die geſunde Vernunft der Laien eine Revolution da¬
gegen erheben und einen leichten Sieg davon tragen
konnte. Ploͤtzlich brachen aus der Hefe des Laien¬
volks Publiciſten und Romanſchreiber, als andre Mar¬
ſeiller und Septembriſeurs, unter die alten gelehrten
Peruͤken, und auch die Poiſſarden fehlten nicht. Wie
haͤtten die Weiber, bei denen der geſunde Menſchen¬
verſtand immer wie an der Wurzel haͤlt, ihre Sen¬
timens und natuͤrlichen Erfahrungen nicht geltend ma¬
chen ſollen, wie haͤtten ſie nicht mit ihren Talenten
glaͤnzen wollen, da die Bahn des Ruhms ihnen offen
ſtund. So ſehn wir jetzt eine naͤrriſche Armee von
Weibern und Kindern das Ballhaus zur literariſchen
Nationalverſammlung machen, und dem deutſchen
Publikum Geſetze geben.
Der Gelehrte ſchreibt, weil er weiſer zu ſeyn
glaubt, als andre, und weil er die Schriftſtellerei
zu ſeinen Rechten und Pflichten zaͤhlt. Die Profanen
ſchreiben, weil ſie ſich fuͤr geſcheiter und geſuͤnder
achten, als die Gelehrten, und weil ſie, indem ſie
uns zur Natur zuruͤckfuͤhren wollen, zunaͤchſt ihre
eigne fuͤr die rechte halten. Endlich iſt es ein immer
wiederkehrender Wahn der Einfaͤltigen, der Eitlen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/79>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.