Wieland's und seiner Zeit und dieser eingebürgert, und auch der französische Geschmack hat seinen Theil daran.
Zu den Franzosen wandte sich sein Genius in eben demselben ursprünglichen Bedürfniß, wie es Friedrich der Große und andere seiner Zeit wohl fühlten, nur daß der eine es als Philosoph und Kö¬ nig, der andere als Dichter befriedigte. An jenem Weltsinn, an dem Sinn für sichere, klare Behand¬ lung der Umgebung und jedes Verhältnisses, woraus zugleich immer die Kunst derselben entspringt, hatten die Franzosen uns Deutsche längst übertroffen. Sie waren allerdings nach ihrer Weise, in einseitige Ma¬ nier, und ihre Leichtigkeit in Leichtsinn verfallen, aber im Ganzen sprach ihre Tendenz jeden kräftigen deut¬ schen Geist an, der wie eine Blüthe aus dem Holze schlug. Wieland machte sich dieselbe völlig zu eigen, und wenn er einiges von der französischen Manier dazu auffaßte, so war dies wohl zu übersehen. Im Ganzen hat er als echter Deutscher von dieser Ma¬ nier sich abgestoßen gefühlt, und wirklich ist keine sei¬ ner Dichtungen als eine Nachahmung der Franzosen zu betrachten. Er fühlte sich vielmehr zu den Grie¬ chen und Italienern und zu der Ritterpoesie hinge¬ neigt. Von seinen romantischen Dichtungen reden wir später. Auch sie athmen denselben Geist der at¬ tischen Grazie, und scheinen nur halb dem Lucian nachgebildet.
Wieland's und ſeiner Zeit und dieſer eingebuͤrgert, und auch der franzoͤſiſche Geſchmack hat ſeinen Theil daran.
Zu den Franzoſen wandte ſich ſein Genius in eben demſelben urſpruͤnglichen Beduͤrfniß, wie es Friedrich der Große und andere ſeiner Zeit wohl fuͤhlten, nur daß der eine es als Philoſoph und Koͤ¬ nig, der andere als Dichter befriedigte. An jenem Weltſinn, an dem Sinn fuͤr ſichere, klare Behand¬ lung der Umgebung und jedes Verhaͤltniſſes, woraus zugleich immer die Kunſt derſelben entſpringt, hatten die Franzoſen uns Deutſche laͤngſt uͤbertroffen. Sie waren allerdings nach ihrer Weiſe, in einſeitige Ma¬ nier, und ihre Leichtigkeit in Leichtſinn verfallen, aber im Ganzen ſprach ihre Tendenz jeden kraͤftigen deut¬ ſchen Geiſt an, der wie eine Bluͤthe aus dem Holze ſchlug. Wieland machte ſich dieſelbe voͤllig zu eigen, und wenn er einiges von der franzoͤſiſchen Manier dazu auffaßte, ſo war dies wohl zu uͤberſehen. Im Ganzen hat er als echter Deutſcher von dieſer Ma¬ nier ſich abgeſtoßen gefuͤhlt, und wirklich iſt keine ſei¬ ner Dichtungen als eine Nachahmung der Franzoſen zu betrachten. Er fuͤhlte ſich vielmehr zu den Grie¬ chen und Italienern und zu der Ritterpoeſie hinge¬ neigt. Von ſeinen romantiſchen Dichtungen reden wir ſpaͤter. Auch ſie athmen denſelben Geiſt der at¬ tiſchen Grazie, und ſcheinen nur halb dem Lucian nachgebildet.
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Wieland's und ſeiner Zeit und dieſer eingebuͤrgert,
und auch der franzoͤſiſche Geſchmack hat ſeinen Theil
daran.
Zu den Franzoſen wandte ſich ſein Genius in
eben demſelben urſpruͤnglichen Beduͤrfniß, wie es
Friedrich der Große und andere ſeiner Zeit wohl
fuͤhlten, nur daß der eine es als Philoſoph und Koͤ¬
nig, der andere als Dichter befriedigte. An jenem
Weltſinn, an dem Sinn fuͤr ſichere, klare Behand¬
lung der Umgebung und jedes Verhaͤltniſſes, woraus
zugleich immer die Kunſt derſelben entſpringt, hatten
die Franzoſen uns Deutſche laͤngſt uͤbertroffen. Sie
waren allerdings nach ihrer Weiſe, in einſeitige Ma¬
nier, und ihre Leichtigkeit in Leichtſinn verfallen, aber
im Ganzen ſprach ihre Tendenz jeden kraͤftigen deut¬
ſchen Geiſt an, der wie eine Bluͤthe aus dem Holze
ſchlug. Wieland machte ſich dieſelbe voͤllig zu eigen,
und wenn er einiges von der franzoͤſiſchen Manier
dazu auffaßte, ſo war dies wohl zu uͤberſehen. Im
Ganzen hat er als echter Deutſcher von dieſer Ma¬
nier ſich abgeſtoßen gefuͤhlt, und wirklich iſt keine ſei¬
ner Dichtungen als eine Nachahmung der Franzoſen
zu betrachten. Er fuͤhlte ſich vielmehr zu den Grie¬
chen und Italienern und zu der Ritterpoeſie hinge¬
neigt. Von ſeinen romantiſchen Dichtungen reden
wir ſpaͤter. Auch ſie athmen denſelben Geiſt der at¬
tiſchen Grazie, und ſcheinen nur halb dem Lucian
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/101>, abgerufen am 27.11.2024.
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