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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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lichen Volksglauben halten, oder mit demselben Hete¬
rogenes und Neues vermischen, nicht so rührend und
eindringlich, als was uns das Alterthum selbst als
echte Volkspoesie aufbehalten hat, oder was neuere
Dichter streng im alten Sinn ausgebildet haben.
Dieser Unterschied ist nicht unwichtig. Zwar wird
die Mährchenwelt ewig ein Volk behalten, bei dem
sie heimisch ist, die Kinder; aber das geheimnißvolle
Band zwischen der Kindheit der Nation und ihren
immer sich verjüngenden Kindern darf nicht zerrissen
werden. Mit den Kindern blühe jene kindliche Poesie
des Volkes fort. Die modernen, gekünstelten, aus
allerlei Gelehrsamkeit zusammengebacknen Mährchen
entbehren des natürlichen Zaubers, des eindringli¬
chen Wesens, des verwandten, gleichsam mütterlichen
Tones, der alle alten echten Volksmährchen so be¬
liebt und vertraut macht.

Wundergeschichten von der ironischen Art
haben wir zuerst aus Spanien, Italien und Frank¬
reich, hauptsächlich von Ariost entlehnt. Wir besitzen
deren eine unzählbare Menge in allerlei Formen, in
Schauspielen, Heldengedichten, Mährchen, Novellen,
Romanzen. Wieland und Musäus waren die
Koryphäen dieser Dichtungsart. Sieht man auf das
Glänzende, Blendende, Bunte wechselnder, überra¬
schender Wundererscheinungen, so ist die Oper ihr
eigentlicher Schauplatz. Sieht man auf das komische
Spiel des Zufalls, so hat hier das komische Helden¬
gedicht und das Lustspiel seine vorzüglichste Weide

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lichen Volksglauben halten, oder mit demſelben Hete¬
rogenes und Neues vermiſchen, nicht ſo ruͤhrend und
eindringlich, als was uns das Alterthum ſelbſt als
echte Volkspoeſie aufbehalten hat, oder was neuere
Dichter ſtreng im alten Sinn ausgebildet haben.
Dieſer Unterſchied iſt nicht unwichtig. Zwar wird
die Maͤhrchenwelt ewig ein Volk behalten, bei dem
ſie heimiſch iſt, die Kinder; aber das geheimnißvolle
Band zwiſchen der Kindheit der Nation und ihren
immer ſich verjuͤngenden Kindern darf nicht zerriſſen
werden. Mit den Kindern bluͤhe jene kindliche Poeſie
des Volkes fort. Die modernen, gekuͤnſtelten, aus
allerlei Gelehrſamkeit zuſammengebacknen Maͤhrchen
entbehren des natuͤrlichen Zaubers, des eindringli¬
chen Weſens, des verwandten, gleichſam muͤtterlichen
Tones, der alle alten echten Volksmaͤhrchen ſo be¬
liebt und vertraut macht.

Wundergeſchichten von der ironiſchen Art
haben wir zuerſt aus Spanien, Italien und Frank¬
reich, hauptſaͤchlich von Arioſt entlehnt. Wir beſitzen
deren eine unzaͤhlbare Menge in allerlei Formen, in
Schauſpielen, Heldengedichten, Maͤhrchen, Novellen,
Romanzen. Wieland und Muſaͤus waren die
Koryphaͤen dieſer Dichtungsart. Sieht man auf das
Glaͤnzende, Blendende, Bunte wechſelnder, uͤberra¬
ſchender Wundererſcheinungen, ſo iſt die Oper ihr
eigentlicher Schauplatz. Sieht man auf das komiſche
Spiel des Zufalls, ſo hat hier das komiſche Helden¬
gedicht und das Luſtſpiel ſeine vorzuͤglichſte Weide

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[99/0109] lichen Volksglauben halten, oder mit demſelben Hete¬ rogenes und Neues vermiſchen, nicht ſo ruͤhrend und eindringlich, als was uns das Alterthum ſelbſt als echte Volkspoeſie aufbehalten hat, oder was neuere Dichter ſtreng im alten Sinn ausgebildet haben. Dieſer Unterſchied iſt nicht unwichtig. Zwar wird die Maͤhrchenwelt ewig ein Volk behalten, bei dem ſie heimiſch iſt, die Kinder; aber das geheimnißvolle Band zwiſchen der Kindheit der Nation und ihren immer ſich verjuͤngenden Kindern darf nicht zerriſſen werden. Mit den Kindern bluͤhe jene kindliche Poeſie des Volkes fort. Die modernen, gekuͤnſtelten, aus allerlei Gelehrſamkeit zuſammengebacknen Maͤhrchen entbehren des natuͤrlichen Zaubers, des eindringli¬ chen Weſens, des verwandten, gleichſam muͤtterlichen Tones, der alle alten echten Volksmaͤhrchen ſo be¬ liebt und vertraut macht. Wundergeſchichten von der ironiſchen Art haben wir zuerſt aus Spanien, Italien und Frank¬ reich, hauptſaͤchlich von Arioſt entlehnt. Wir beſitzen deren eine unzaͤhlbare Menge in allerlei Formen, in Schauſpielen, Heldengedichten, Maͤhrchen, Novellen, Romanzen. Wieland und Muſaͤus waren die Koryphaͤen dieſer Dichtungsart. Sieht man auf das Glaͤnzende, Blendende, Bunte wechſelnder, uͤberra¬ ſchender Wundererſcheinungen, ſo iſt die Oper ihr eigentlicher Schauplatz. Sieht man auf das komiſche Spiel des Zufalls, ſo hat hier das komiſche Helden¬ gedicht und das Luſtſpiel ſeine vorzuͤglichſte Weide 5 *

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/109>, abgerufen am 26.11.2024.