nius war nur der sanfte Engel, der seinen Namen trägt. Jener originelle, unerklärbare Reiz aber, der himmlische Zauber, der Abglanz einer höhern Welt, der in den Angesichtern Raphaels liegt, liegt in den Charakteren Schillers. Kein Maler hat das mensch¬ liche Antlitz, kein Dichter die menschliche Seele in dieser Anmuth und Majestät der Schönheit darzu¬ stellen gewußt. Und wie Raphaels Genius sich gleich bleibt, und jener lichte, friedenbringende Engel in vielnamigen Erscheinungen uns immer in derselben Ruhe und Verklärung entgegenblickt, so bleibt auch Schillers Genius sich gleich, und wir sehen denselben kriegerischen Engel in Karl Moor, Amalien, Ferdi¬ nand, Louisen, Marquis Posa, Max Piccolomini, Thekla, Maria Stuart, Mortimer, Johanna von Orleans, Wilhelm Tell. Jener Genius trägt die Palme, dieser das Schwert. Jener ruht im Bewußt¬ seyn eines nie zu störenden Friedens, in seiner eige¬ nen Herrlichkeit versunken; dieser wendet das schöne, engelreine Antlitz drohend und wehmüthig gegen die Ungeheuer der Tiefe.
Die Helden Schillers sind durch einen Adel der Natur ausgezeichnet, der unmittelbar als reine, vol¬ lendete Schönheit wirkt, wie jener Adel in den Bil¬ dern Raphaels. Es ist etwas Königliches in densel¬ ben, welches unmittelbar heilige Ehrfurcht erweckt. Dieser Strahl eines höhern Lichts muß aber, in die dunkeln Schatten irdischer Verderbniß geworfen, nur
nius war nur der ſanfte Engel, der ſeinen Namen traͤgt. Jener originelle, unerklaͤrbare Reiz aber, der himmliſche Zauber, der Abglanz einer hoͤhern Welt, der in den Angeſichtern Raphaels liegt, liegt in den Charakteren Schillers. Kein Maler hat das menſch¬ liche Antlitz, kein Dichter die menſchliche Seele in dieſer Anmuth und Majeſtaͤt der Schoͤnheit darzu¬ ſtellen gewußt. Und wie Raphaels Genius ſich gleich bleibt, und jener lichte, friedenbringende Engel in vielnamigen Erſcheinungen uns immer in derſelben Ruhe und Verklaͤrung entgegenblickt, ſo bleibt auch Schillers Genius ſich gleich, und wir ſehen denſelben kriegeriſchen Engel in Karl Moor, Amalien, Ferdi¬ nand, Louiſen, Marquis Poſa, Max Piccolomini, Thekla, Maria Stuart, Mortimer, Johanna von Orleans, Wilhelm Tell. Jener Genius traͤgt die Palme, dieſer das Schwert. Jener ruht im Bewußt¬ ſeyn eines nie zu ſtoͤrenden Friedens, in ſeiner eige¬ nen Herrlichkeit verſunken; dieſer wendet das ſchoͤne, engelreine Antlitz drohend und wehmuͤthig gegen die Ungeheuer der Tiefe.
Die Helden Schillers ſind durch einen Adel der Natur ausgezeichnet, der unmittelbar als reine, vol¬ lendete Schoͤnheit wirkt, wie jener Adel in den Bil¬ dern Raphaels. Es iſt etwas Koͤnigliches in denſel¬ ben, welches unmittelbar heilige Ehrfurcht erweckt. Dieſer Strahl eines hoͤhern Lichts muß aber, in die dunkeln Schatten irdiſcher Verderbniß geworfen, nur
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nius war nur der ſanfte Engel, der ſeinen Namen
traͤgt. Jener originelle, unerklaͤrbare Reiz aber, der
himmliſche Zauber, der Abglanz einer hoͤhern Welt,
der in den Angeſichtern Raphaels liegt, liegt in den
Charakteren Schillers. Kein Maler hat das menſch¬
liche Antlitz, kein Dichter die menſchliche Seele in
dieſer Anmuth und Majeſtaͤt der Schoͤnheit darzu¬
ſtellen gewußt. Und wie Raphaels Genius ſich gleich
bleibt, und jener lichte, friedenbringende Engel in
vielnamigen Erſcheinungen uns immer in derſelben
Ruhe und Verklaͤrung entgegenblickt, ſo bleibt auch
Schillers Genius ſich gleich, und wir ſehen denſelben
kriegeriſchen Engel in Karl Moor, Amalien, Ferdi¬
nand, Louiſen, Marquis Poſa, Max Piccolomini,
Thekla, Maria Stuart, Mortimer, Johanna von
Orleans, Wilhelm Tell. Jener Genius traͤgt die
Palme, dieſer das Schwert. Jener ruht im Bewußt¬
ſeyn eines nie zu ſtoͤrenden Friedens, in ſeiner eige¬
nen Herrlichkeit verſunken; dieſer wendet das ſchoͤne,
engelreine Antlitz drohend und wehmuͤthig gegen die
Ungeheuer der Tiefe.
Die Helden Schillers ſind durch einen Adel der
Natur ausgezeichnet, der unmittelbar als reine, vol¬
lendete Schoͤnheit wirkt, wie jener Adel in den Bil¬
dern Raphaels. Es iſt etwas Koͤnigliches in denſel¬
ben, welches unmittelbar heilige Ehrfurcht erweckt.
Dieſer Strahl eines hoͤhern Lichts muß aber, in die
dunkeln Schatten irdiſcher Verderbniß geworfen, nur
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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