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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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durch Görres, Arnim, die Brüder Schlegel, von
der Hagen, Grimm, Mone, Lachmann etc. Man
sammelte alle Thatsachen des alten Volksglaubens
und die mehr oder minder vollkommen erhaltnen Sagen.

Die Poesie in diesen alten Sagen machte den
mächtigsten Eindruck auf die Zeitgenossen. Trotz aller
Aufklärung, mit der man prahlte, wurde man un¬
widerstehlich von dem heiligen Dunkel dieser Poesie
angezogen. Die große Wirkung derselben beruht ohn¬
streitig darauf, daß sie nicht als das künstliche Mach¬
werk von Menschen, sondern als eine unmittelbare
Naturoffenbarung erscheint. Nicht die spielende Phan¬
tasie des Dichters hat diese Sagen erfunden, sie sind
unwillkürlich im Gemüth aller Völker entsprungen.
Sie sind mit der Geschichte, mit dem handelnden
Leben der Völker so unzertrennlich verbunden, wie
es die ältesten Mythen mit der Natur selbst waren.
In jenen Mythen sprach sich das Daseyn und der
Naturtypus der Völker aus, in diesen spätern Sa¬
gen offenbarte sich die lebendige Seele derselben, gleich¬
zeitig mit ihren Thaten. Wie aber durch alle Mythen
derselbe Zug hindurchgeht, so auch durch alle Sagen.
Alle Völker sahen sich noch um so ähnlicher, je nä¬
her sie der gemeinsamen Wiege des menschlichen Ge¬
schlechtes standen, wie sich die Blüthen mehr glei¬
chen, als die Früchte. Das Charakteristische dieser
Sagen ist die historische Form, in welcher sie alles
Innerliche der Seele auf allegorische Weise oder in
Beispielen offenbaren, wie es dieselben Völker gleich¬

durch Goͤrres, Arnim, die Bruͤder Schlegel, von
der Hagen, Grimm, Mone, Lachmann ꝛc. Man
ſammelte alle Thatſachen des alten Volksglaubens
und die mehr oder minder vollkommen erhaltnen Sagen.

Die Poeſie in dieſen alten Sagen machte den
maͤchtigſten Eindruck auf die Zeitgenoſſen. Trotz aller
Aufklaͤrung, mit der man prahlte, wurde man un¬
widerſtehlich von dem heiligen Dunkel dieſer Poeſie
angezogen. Die große Wirkung derſelben beruht ohn¬
ſtreitig darauf, daß ſie nicht als das kuͤnſtliche Mach¬
werk von Menſchen, ſondern als eine unmittelbare
Naturoffenbarung erſcheint. Nicht die ſpielende Phan¬
taſie des Dichters hat dieſe Sagen erfunden, ſie ſind
unwillkuͤrlich im Gemuͤth aller Voͤlker entſprungen.
Sie ſind mit der Geſchichte, mit dem handelnden
Leben der Voͤlker ſo unzertrennlich verbunden, wie
es die aͤlteſten Mythen mit der Natur ſelbſt waren.
In jenen Mythen ſprach ſich das Daſeyn und der
Naturtypus der Voͤlker aus, in dieſen ſpaͤtern Sa¬
gen offenbarte ſich die lebendige Seele derſelben, gleich¬
zeitig mit ihren Thaten. Wie aber durch alle Mythen
derſelbe Zug hindurchgeht, ſo auch durch alle Sagen.
Alle Voͤlker ſahen ſich noch um ſo aͤhnlicher, je naͤ¬
her ſie der gemeinſamen Wiege des menſchlichen Ge¬
ſchlechtes ſtanden, wie ſich die Bluͤthen mehr glei¬
chen, als die Fruͤchte. Das Charakteriſtiſche dieſer
Sagen iſt die hiſtoriſche Form, in welcher ſie alles
Innerliche der Seele auf allegoriſche Weiſe oder in
Beiſpielen offenbaren, wie es dieſelben Voͤlker gleich¬

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[143/0153] durch Goͤrres, Arnim, die Bruͤder Schlegel, von der Hagen, Grimm, Mone, Lachmann ꝛc. Man ſammelte alle Thatſachen des alten Volksglaubens und die mehr oder minder vollkommen erhaltnen Sagen. Die Poeſie in dieſen alten Sagen machte den maͤchtigſten Eindruck auf die Zeitgenoſſen. Trotz aller Aufklaͤrung, mit der man prahlte, wurde man un¬ widerſtehlich von dem heiligen Dunkel dieſer Poeſie angezogen. Die große Wirkung derſelben beruht ohn¬ ſtreitig darauf, daß ſie nicht als das kuͤnſtliche Mach¬ werk von Menſchen, ſondern als eine unmittelbare Naturoffenbarung erſcheint. Nicht die ſpielende Phan¬ taſie des Dichters hat dieſe Sagen erfunden, ſie ſind unwillkuͤrlich im Gemuͤth aller Voͤlker entſprungen. Sie ſind mit der Geſchichte, mit dem handelnden Leben der Voͤlker ſo unzertrennlich verbunden, wie es die aͤlteſten Mythen mit der Natur ſelbſt waren. In jenen Mythen ſprach ſich das Daſeyn und der Naturtypus der Voͤlker aus, in dieſen ſpaͤtern Sa¬ gen offenbarte ſich die lebendige Seele derſelben, gleich¬ zeitig mit ihren Thaten. Wie aber durch alle Mythen derſelbe Zug hindurchgeht, ſo auch durch alle Sagen. Alle Voͤlker ſahen ſich noch um ſo aͤhnlicher, je naͤ¬ her ſie der gemeinſamen Wiege des menſchlichen Ge¬ ſchlechtes ſtanden, wie ſich die Bluͤthen mehr glei¬ chen, als die Fruͤchte. Das Charakteriſtiſche dieſer Sagen iſt die hiſtoriſche Form, in welcher ſie alles Innerliche der Seele auf allegoriſche Weiſe oder in Beiſpielen offenbaren, wie es dieſelben Voͤlker gleich¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/153>, abgerufen am 21.11.2024.