Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.die Schönheit nur für ein Werk des Talentes, schickt bleibt, und das man es nie darin zu einer mei¬
sterhaften Fertigkeit bringt. -- Wilhelm Meister's Lehrjahre sind gewissermaßen durchaus prosaisch und modern. Das Romantische geht darin zu Grunde, auch die Naturpoesie, das Wunder¬ bare. Das Buch handelt blos von gewöhnlichen mensch¬ lichen Dingen, die Natur und der Mysticismus sind ganz vergessen. Es ist eine poetisirte bürgerliche und häusliche Geschichte, das Wunderbare wird ausdrück¬ lich als Poesie und Schwärmerei behandelt. Künstli¬ cher Atheismus ist der Geist des Buchs. Die Ökono¬ mie ist merkwürdig, wodurch es mit prosaischem, wohl¬ feilem Stoff einen poetischen Effect erreicht. -- Wilhelm Meister ist eigentlich ein Candide gegen die Poesie gerichtet; das Buch ist undichterisch in ei¬ nem hohen Grade, was den Geist betrifft, so poetisch auch die Darstellung ist. Nach dem Feuer, Wahnsinn und den wilden Erscheinungen in der ersten Hälfte des dritten Theils sind die Bekenntnisse eine Beruhi¬ gung des Lesers. Die Oberaufsicht, welche der Abbe führt, ist lästig und komisch; der Thurm in Lotharios Schlosse ist ein großer Widerspruch mit ihm selbst. Die Musen werden zu Comödiantinnen gemacht, und die Poesie spielt beinahe eine Rolle, wie in einer Farce. Es läßt sich fragen, wer am meisten verliert, ob der Adel, daß er zur Poesie gerechnet, oder die Poesie, daß sie vom Adel repräsentirt wird. Die Einführung Shakespeare's macht eine fast tragische Wirkung. Der Held retardirt das Eindringen vom Evangelium der Ökonomie, und die ökonomische Natur ist endlich die wahre, übrigbleibende. -- die Schoͤnheit nur fuͤr ein Werk des Talentes, ſchickt bleibt, und das man es nie darin zu einer mei¬
ſterhaften Fertigkeit bringt. — Wilhelm Meiſter's Lehrjahre ſind gewiſſermaßen durchaus proſaiſch und modern. Das Romantiſche geht darin zu Grunde, auch die Naturpoeſie, das Wunder¬ bare. Das Buch handelt blos von gewoͤhnlichen menſch¬ lichen Dingen, die Natur und der Myſticismus ſind ganz vergeſſen. Es iſt eine poetiſirte buͤrgerliche und haͤusliche Geſchichte, das Wunderbare wird ausdruͤck¬ lich als Poeſie und Schwaͤrmerei behandelt. Kuͤnſtli¬ cher Atheismus iſt der Geiſt des Buchs. Die Ökono¬ mie iſt merkwuͤrdig, wodurch es mit proſaiſchem, wohl¬ feilem Stoff einen poetiſchen Effect erreicht. — Wilhelm Meiſter iſt eigentlich ein Candide gegen die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undichteriſch in ei¬ nem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poetiſch auch die Darſtellung iſt. Nach dem Feuer, Wahnſinn und den wilden Erſcheinungen in der erſten Haͤlfte des dritten Theils ſind die Bekenntniſſe eine Beruhi¬ gung des Leſers. Die Oberaufſicht, welche der Abbé fuͤhrt, iſt laͤſtig und komiſch; der Thurm in Lotharios Schloſſe iſt ein großer Widerſpruch mit ihm ſelbſt. Die Muſen werden zu Comoͤdiantinnen gemacht, und die Poeſie ſpielt beinahe eine Rolle, wie in einer Farce. Es laͤßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der Adel, daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie, daß ſie vom Adel repraͤſentirt wird. Die Einfuͤhrung Shakeſpeare's macht eine faſt tragiſche Wirkung. Der Held retardirt das Eindringen vom Evangelium der Ökonomie, und die oͤkonomiſche Natur iſt endlich die wahre, uͤbrigbleibende. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0221" n="211"/> die Schoͤnheit nur fuͤr ein Werk des Talentes,<lb/> denn mit ſeiner Zuſtimmung ſteht in Kunſt und Al¬<lb/><note xml:id="note-0221" prev="#note-0220" place="foot" n="*)"><p xml:id="p-0221" prev="#p-0220">ſchickt bleibt, und das man es nie darin zu einer mei¬<lb/> ſterhaften Fertigkeit bringt. —<lb/> Wilhelm Meiſter's Lehrjahre ſind gewiſſermaßen<lb/> durchaus proſaiſch und modern. Das Romantiſche geht<lb/> darin zu Grunde, auch die Naturpoeſie, das Wunder¬<lb/> bare. Das Buch handelt blos von gewoͤhnlichen menſch¬<lb/> lichen Dingen, die Natur und der Myſticismus ſind<lb/> ganz vergeſſen. Es iſt eine poetiſirte buͤrgerliche und<lb/> haͤusliche Geſchichte, das Wunderbare wird ausdruͤck¬<lb/> lich als Poeſie und Schwaͤrmerei behandelt. Kuͤnſtli¬<lb/> cher Atheismus iſt der Geiſt des Buchs. Die Ökono¬<lb/> mie iſt merkwuͤrdig, wodurch es mit proſaiſchem, wohl¬<lb/> feilem Stoff einen poetiſchen Effect erreicht. —<lb/> Wilhelm Meiſter iſt eigentlich ein Candide gegen<lb/> die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undichteriſch in ei¬<lb/> nem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poetiſch<lb/> auch die Darſtellung iſt. Nach dem Feuer, Wahnſinn<lb/> und den wilden Erſcheinungen in der erſten Haͤlfte<lb/> des dritten Theils ſind die Bekenntniſſe eine Beruhi¬<lb/> gung des Leſers. Die Oberaufſicht, welche der Abbé<lb/> fuͤhrt, iſt laͤſtig und komiſch; der Thurm in Lotharios<lb/> Schloſſe iſt ein großer Widerſpruch mit ihm ſelbſt. Die<lb/> Muſen werden zu Comoͤdiantinnen gemacht, und die<lb/> Poeſie ſpielt beinahe eine Rolle, wie in einer Farce.<lb/> Es laͤßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der<lb/> Adel, daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie,<lb/> daß ſie vom Adel repraͤſentirt wird. Die Einfuͤhrung<lb/> Shakeſpeare's macht eine faſt tragiſche Wirkung. Der<lb/> Held retardirt das Eindringen vom Evangelium der<lb/> Ökonomie, und die oͤkonomiſche Natur iſt endlich die<lb/> wahre, uͤbrigbleibende. —</p><lb/></note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [211/0221]
die Schoͤnheit nur fuͤr ein Werk des Talentes,
denn mit ſeiner Zuſtimmung ſteht in Kunſt und Al¬
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*) ſchickt bleibt, und das man es nie darin zu einer mei¬
ſterhaften Fertigkeit bringt. —
Wilhelm Meiſter's Lehrjahre ſind gewiſſermaßen
durchaus proſaiſch und modern. Das Romantiſche geht
darin zu Grunde, auch die Naturpoeſie, das Wunder¬
bare. Das Buch handelt blos von gewoͤhnlichen menſch¬
lichen Dingen, die Natur und der Myſticismus ſind
ganz vergeſſen. Es iſt eine poetiſirte buͤrgerliche und
haͤusliche Geſchichte, das Wunderbare wird ausdruͤck¬
lich als Poeſie und Schwaͤrmerei behandelt. Kuͤnſtli¬
cher Atheismus iſt der Geiſt des Buchs. Die Ökono¬
mie iſt merkwuͤrdig, wodurch es mit proſaiſchem, wohl¬
feilem Stoff einen poetiſchen Effect erreicht. —
Wilhelm Meiſter iſt eigentlich ein Candide gegen
die Poeſie gerichtet; das Buch iſt undichteriſch in ei¬
nem hohen Grade, was den Geiſt betrifft, ſo poetiſch
auch die Darſtellung iſt. Nach dem Feuer, Wahnſinn
und den wilden Erſcheinungen in der erſten Haͤlfte
des dritten Theils ſind die Bekenntniſſe eine Beruhi¬
gung des Leſers. Die Oberaufſicht, welche der Abbé
fuͤhrt, iſt laͤſtig und komiſch; der Thurm in Lotharios
Schloſſe iſt ein großer Widerſpruch mit ihm ſelbſt. Die
Muſen werden zu Comoͤdiantinnen gemacht, und die
Poeſie ſpielt beinahe eine Rolle, wie in einer Farce.
Es laͤßt ſich fragen, wer am meiſten verliert, ob der
Adel, daß er zur Poeſie gerechnet, oder die Poeſie,
daß ſie vom Adel repraͤſentirt wird. Die Einfuͤhrung
Shakeſpeare's macht eine faſt tragiſche Wirkung. Der
Held retardirt das Eindringen vom Evangelium der
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