vor dieser gefährlichen Wollust aber wohl in Acht nehmen.
Die Lustspiele sind in Deutschland noch gar nicht recht gediehen. Die witzigsten, und die am meisten zum lachen reizen, sind nicht für die Bühne geschrieben. Die populärsten, die auf die Bretter kommen und den lautesten Beifall finden, sind ge¬ wöhnlich etwas gemein. Nur Dichter, die wie Tieck der Bühne selbst entsagen, dürfen dem Lustspiel seine ganze unbändige Freiheit lassen, auf der Bühne selbst ist man ziemlich zahm und höflich. Tolle Possen und Satyren werden dort nicht geduldet, außer wenn sie gemein und bäurisch sind, wie Rochus Pumpernickel und der Ritter Tulipan. Geistreiche feinerere Possen mit Anwendung auf die Legion von Lächerlichkeiten in unserm öffentlichen Leben, Komödien in der Ma¬ nier des Aristophanes wären etwas Unerhörtes. Man bringt nur die kleinen Thorheiten einzelner Stände und Individuen auf die Bühne, und ist ehrlich oder dumm genug, die Kleinstädter immer nur in kleinen Städten zu suchen. Auch glaubt man nicht lustig seyn zu können, wenn nicht irgend ein sentimentales liebendes Paar oder ein rührender Familienzirkel da¬ bei ist. Die lächerlichen Personen sind gewöhnlich nur Nebenpersonen. Der Kreis, in dem sich die In¬ trigue dreht, ist nur ein Familienkreis. So lange man den Komiker nicht zur Hauptperson macht und jenen Kreis nicht auf das große öffentliche Leben aus¬
vor dieſer gefaͤhrlichen Wolluſt aber wohl in Acht nehmen.
Die Luſtſpiele ſind in Deutſchland noch gar nicht recht gediehen. Die witzigſten, und die am meiſten zum lachen reizen, ſind nicht fuͤr die Buͤhne geſchrieben. Die populaͤrſten, die auf die Bretter kommen und den lauteſten Beifall finden, ſind ge¬ woͤhnlich etwas gemein. Nur Dichter, die wie Tieck der Buͤhne ſelbſt entſagen, duͤrfen dem Luſtſpiel ſeine ganze unbaͤndige Freiheit laſſen, auf der Buͤhne ſelbſt iſt man ziemlich zahm und hoͤflich. Tolle Poſſen und Satyren werden dort nicht geduldet, außer wenn ſie gemein und baͤuriſch ſind, wie Rochus Pumpernickel und der Ritter Tulipan. Geiſtreiche feinerere Poſſen mit Anwendung auf die Legion von Laͤcherlichkeiten in unſerm oͤffentlichen Leben, Komoͤdien in der Ma¬ nier des Ariſtophanes waͤren etwas Unerhoͤrtes. Man bringt nur die kleinen Thorheiten einzelner Staͤnde und Individuen auf die Buͤhne, und iſt ehrlich oder dumm genug, die Kleinſtaͤdter immer nur in kleinen Staͤdten zu ſuchen. Auch glaubt man nicht luſtig ſeyn zu koͤnnen, wenn nicht irgend ein ſentimentales liebendes Paar oder ein ruͤhrender Familienzirkel da¬ bei iſt. Die laͤcherlichen Perſonen ſind gewoͤhnlich nur Nebenperſonen. Der Kreis, in dem ſich die In¬ trigue dreht, iſt nur ein Familienkreis. So lange man den Komiker nicht zur Hauptperſon macht und jenen Kreis nicht auf das große oͤffentliche Leben aus¬
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vor dieſer gefaͤhrlichen Wolluſt aber wohl in Acht
nehmen.
Die Luſtſpiele ſind in Deutſchland noch gar
nicht recht gediehen. Die witzigſten, und die am
meiſten zum lachen reizen, ſind nicht fuͤr die Buͤhne
geſchrieben. Die populaͤrſten, die auf die Bretter
kommen und den lauteſten Beifall finden, ſind ge¬
woͤhnlich etwas gemein. Nur Dichter, die wie Tieck
der Buͤhne ſelbſt entſagen, duͤrfen dem Luſtſpiel ſeine
ganze unbaͤndige Freiheit laſſen, auf der Buͤhne ſelbſt
iſt man ziemlich zahm und hoͤflich. Tolle Poſſen und
Satyren werden dort nicht geduldet, außer wenn ſie
gemein und baͤuriſch ſind, wie Rochus Pumpernickel
und der Ritter Tulipan. Geiſtreiche feinerere Poſſen
mit Anwendung auf die Legion von Laͤcherlichkeiten
in unſerm oͤffentlichen Leben, Komoͤdien in der Ma¬
nier des Ariſtophanes waͤren etwas Unerhoͤrtes. Man
bringt nur die kleinen Thorheiten einzelner Staͤnde
und Individuen auf die Buͤhne, und iſt ehrlich oder
dumm genug, die Kleinſtaͤdter immer nur in kleinen
Staͤdten zu ſuchen. Auch glaubt man nicht luſtig
ſeyn zu koͤnnen, wenn nicht irgend ein ſentimentales
liebendes Paar oder ein ruͤhrender Familienzirkel da¬
bei iſt. Die laͤcherlichen Perſonen ſind gewoͤhnlich
nur Nebenperſonen. Der Kreis, in dem ſich die In¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/274>, abgerufen am 25.11.2024.
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