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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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auf die ungeheure Masse der Romane. Folgte die
Poesie im griechischen Alterthum der sinnlich-plasti¬
schen Richtung, und im christlichen Mittelalter dem
einen geraden starken Strome der Gemüthskraft, so
folgt sie jetzt nur dem Verstande nach allen Seiten
und in alle Tiefen der Weltbetrachtung. Sie geht
gleichsam hinter dem Verstande her, um alles zu ge¬
nießen, was er entdeckt. Sie muß sich aber demzu¬
folge von allen alten strengen Formen loswinden,
und die allerfreieste Form wählen, und diese hat sie
vollkommen im Roman gefunden. Es giebt keine
freiere poetische Form, als die des Romans, wie es
keinen freiern poetischen Geist giebt, als den des
Romans, und wie überhaupt der Geist in unsrem
Zeitalter nach Freiheit strebt.

Was das griechische Alterthum dichtete, gieng
gleichsam zuvor durch das Medium des Sinnlichen.
Es war plastisch geformt, bevor es in das Gedicht
übergieng. Was das Mittelalter dichtete, gieng durch
das Medium des Gemüths, der Begeisterung und
Leidenschaft. Es war gefühlt, bevor es zum Worte
wurde, bevor die Himmelsgluth im Schall und Rauch
des Namens sich niederschlug. Was aber wir dich¬
ten, geht durch das Medium des Verstandes, der
Betrachtung, Beurtheilung und Überlegung. Das
ist das Charakteristische unsrer Poesie, und ganz vor¬
züglich unsres Romans, in welchem diese Poesie ihre
eigentliche Heimath gefunden hat. Auch das unsicht¬
bare Wort mußte bei den Griechen den Sinnen

auf die ungeheure Maſſe der Romane. Folgte die
Poeſie im griechiſchen Alterthum der ſinnlich-plaſti¬
ſchen Richtung, und im chriſtlichen Mittelalter dem
einen geraden ſtarken Strome der Gemuͤthskraft, ſo
folgt ſie jetzt nur dem Verſtande nach allen Seiten
und in alle Tiefen der Weltbetrachtung. Sie geht
gleichſam hinter dem Verſtande her, um alles zu ge¬
nießen, was er entdeckt. Sie muß ſich aber demzu¬
folge von allen alten ſtrengen Formen loswinden,
und die allerfreieſte Form waͤhlen, und dieſe hat ſie
vollkommen im Roman gefunden. Es giebt keine
freiere poetiſche Form, als die des Romans, wie es
keinen freiern poetiſchen Geiſt giebt, als den des
Romans, und wie uͤberhaupt der Geiſt in unſrem
Zeitalter nach Freiheit ſtrebt.

Was das griechiſche Alterthum dichtete, gieng
gleichſam zuvor durch das Medium des Sinnlichen.
Es war plaſtiſch geformt, bevor es in das Gedicht
uͤbergieng. Was das Mittelalter dichtete, gieng durch
das Medium des Gemuͤths, der Begeiſterung und
Leidenſchaft. Es war gefuͤhlt, bevor es zum Worte
wurde, bevor die Himmelsgluth im Schall und Rauch
des Namens ſich niederſchlug. Was aber wir dich¬
ten, geht durch das Medium des Verſtandes, der
Betrachtung, Beurtheilung und Überlegung. Das
iſt das Charakteriſtiſche unſrer Poeſie, und ganz vor¬
zuͤglich unſres Romans, in welchem dieſe Poeſie ihre
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[271/0281] auf die ungeheure Maſſe der Romane. Folgte die Poeſie im griechiſchen Alterthum der ſinnlich-plaſti¬ ſchen Richtung, und im chriſtlichen Mittelalter dem einen geraden ſtarken Strome der Gemuͤthskraft, ſo folgt ſie jetzt nur dem Verſtande nach allen Seiten und in alle Tiefen der Weltbetrachtung. Sie geht gleichſam hinter dem Verſtande her, um alles zu ge¬ nießen, was er entdeckt. Sie muß ſich aber demzu¬ folge von allen alten ſtrengen Formen loswinden, und die allerfreieſte Form waͤhlen, und dieſe hat ſie vollkommen im Roman gefunden. Es giebt keine freiere poetiſche Form, als die des Romans, wie es keinen freiern poetiſchen Geiſt giebt, als den des Romans, und wie uͤberhaupt der Geiſt in unſrem Zeitalter nach Freiheit ſtrebt. Was das griechiſche Alterthum dichtete, gieng gleichſam zuvor durch das Medium des Sinnlichen. Es war plaſtiſch geformt, bevor es in das Gedicht uͤbergieng. Was das Mittelalter dichtete, gieng durch das Medium des Gemuͤths, der Begeiſterung und Leidenſchaft. Es war gefuͤhlt, bevor es zum Worte wurde, bevor die Himmelsgluth im Schall und Rauch des Namens ſich niederſchlug. Was aber wir dich¬ ten, geht durch das Medium des Verſtandes, der Betrachtung, Beurtheilung und Überlegung. Das iſt das Charakteriſtiſche unſrer Poeſie, und ganz vor¬ zuͤglich unſres Romans, in welchem dieſe Poeſie ihre eigentliche Heimath gefunden hat. Auch das unſicht¬ bare Wort mußte bei den Griechen den Sinnen

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/281>, abgerufen am 25.11.2024.