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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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der Perücken und Reifröcke. Die Marmorwelt des
Alterthums verwandelte sich unter den geschäftigen
Händen der Friseurs von Paris, Leipzig und Berlin
in ein Bedlam voll phantastischer Ungeheuer. Das
waren die Gestalten, womit man den ganzen Raum,
den die damalige Poesie einnahm, bevölkerte. Nichts
schien poetisch, was nicht eine Beziehung auf die
alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen
Pariser Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern
des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte,
gelangte Horaz zum höchsten Ruhm. Ihm fühlten
die Hofpoeten am nächsten sich verwandt. Man durfte
ihn nur übersetzen, nur citiren, so fand man schon
Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet
dieses Geschmacks, in Deutschland sein Übersetzer
Ramler. Daher nun jene Sündfluth von Oden,
Elegien, poetischen Briefen und Satyren, die da¬
mals Deutschland unter ein schlammiges Wasser setzte.
Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand,
als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬
leien, so gab man sich auch wenig Mühe. Es war
schon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬
dichter durfte von seinem Helden nur sagen, er sey
feurig wie Mars, schlau wie Merkur, schön wie
Apoll, von seiner Heldin, sie sey jung wie Hebe,
schlank wie Atalante, reizend wie Venus gewesen,
und man fand die Schilderung entzückend. Selbst
Wieland setzte seine Gemälde noch oft aus hundert
Anspielungen und Citaten aus der Mythologie zusam¬

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der Peruͤcken und Reifroͤcke. Die Marmorwelt des
Alterthums verwandelte ſich unter den geſchaͤftigen
Haͤnden der Friſeurs von Paris, Leipzig und Berlin
in ein Bedlam voll phantaſtiſcher Ungeheuer. Das
waren die Geſtalten, womit man den ganzen Raum,
den die damalige Poeſie einnahm, bevoͤlkerte. Nichts
ſchien poetiſch, was nicht eine Beziehung auf die
alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen
Pariſer Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern
des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte,
gelangte Horaz zum hoͤchſten Ruhm. Ihm fuͤhlten
die Hofpoeten am naͤchſten ſich verwandt. Man durfte
ihn nur uͤberſetzen, nur citiren, ſo fand man ſchon
Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet
dieſes Geſchmacks, in Deutſchland ſein Überſetzer
Ramler. Daher nun jene Suͤndfluth von Oden,
Elegien, poetiſchen Briefen und Satyren, die da¬
mals Deutſchland unter ein ſchlammiges Waſſer ſetzte.
Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand,
als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬
leien, ſo gab man ſich auch wenig Muͤhe. Es war
ſchon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬
dichter durfte von ſeinem Helden nur ſagen, er ſey
feurig wie Mars, ſchlau wie Merkur, ſchoͤn wie
Apoll, von ſeiner Heldin, ſie ſey jung wie Hebe,
ſchlank wie Atalante, reizend wie Venus geweſen,
und man fand die Schilderung entzuͤckend. Selbſt
Wieland ſetzte ſeine Gemaͤlde noch oft aus hundert
Anſpielungen und Citaten aus der Mythologie zuſam¬

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[75/0085] der Peruͤcken und Reifroͤcke. Die Marmorwelt des Alterthums verwandelte ſich unter den geſchaͤftigen Haͤnden der Friſeurs von Paris, Leipzig und Berlin in ein Bedlam voll phantaſtiſcher Ungeheuer. Das waren die Geſtalten, womit man den ganzen Raum, den die damalige Poeſie einnahm, bevoͤlkerte. Nichts ſchien poetiſch, was nicht eine Beziehung auf die alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen Pariſer Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte, gelangte Horaz zum hoͤchſten Ruhm. Ihm fuͤhlten die Hofpoeten am naͤchſten ſich verwandt. Man durfte ihn nur uͤberſetzen, nur citiren, ſo fand man ſchon Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet dieſes Geſchmacks, in Deutſchland ſein Überſetzer Ramler. Daher nun jene Suͤndfluth von Oden, Elegien, poetiſchen Briefen und Satyren, die da¬ mals Deutſchland unter ein ſchlammiges Waſſer ſetzte. Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand, als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬ leien, ſo gab man ſich auch wenig Muͤhe. Es war ſchon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬ dichter durfte von ſeinem Helden nur ſagen, er ſey feurig wie Mars, ſchlau wie Merkur, ſchoͤn wie Apoll, von ſeiner Heldin, ſie ſey jung wie Hebe, ſchlank wie Atalante, reizend wie Venus geweſen, und man fand die Schilderung entzuͤckend. Selbſt Wieland ſetzte ſeine Gemaͤlde noch oft aus hundert Anſpielungen und Citaten aus der Mythologie zuſam¬ 4 *

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/85>, abgerufen am 28.11.2024.