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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Wechselbälge wieder zum Vorschein gekommen. Alle
sind nun kleine Vosse geworden, alle gehn in Steif¬
leinen einer wie der andre uniformirt.

Voß war übrigens so sehr in jeder Hinsicht eine
Karrikatur Klopstock's, daß er auch dessen beide poe¬
tischen Ideen, Vaterland und Religion, nach seiner
Weise umprägte. Wie ihm die Poesie in einer mecha¬
nischen Fertigkeit, Sylben zu stechen, bestand, so
schrumpfte diesem engherzigen Mann auch das Vater¬
land in den idyllischen Familienkreis zusammen, und
die Religion in eine schwarzgalligte altprotestantische
Polemik.

Der dritten und letzten Entwicklung des antiken
Geschmacks verdankt die deutsche Poesie ausnehmend
viel. Man drang endlich in den Geist des classischen
Alterthums ein, und bildete daran den eignen Geist.
Man bemühte sich die plastische Klarheit, die natür¬
liche Grazie und die Feinheit der Griechen auch auf
die deutsche Poesie überzutragen, diese darnach zu
veredeln und zu verfeinern, ohne ihre Eigenthüm¬
lichkeit aufzuopfern. Eine Wechselwirkung, ein wech¬
selseitiger Unterricht der Völker ist der Zweck ihres
Verkehrs, das Resultat aller historischen Erinnerun¬
gen. Wenn jedem etwas ganz Eigenthümliches in¬
wohnt, das kein andres nachahmen kann, so bildet
doch auch jedes etwas Reinmenschliches aus, das je¬
des andre sich aneignen kann. Unter allen Völkern
des Alterthums aber haben die Griechen den unbe¬
strittnen Ruhm der humansten Bildung. Abgesehn von

Wechſelbaͤlge wieder zum Vorſchein gekommen. Alle
ſind nun kleine Voſſe geworden, alle gehn in Steif¬
leinen einer wie der andre uniformirt.

Voß war uͤbrigens ſo ſehr in jeder Hinſicht eine
Karrikatur Klopſtock's, daß er auch deſſen beide poe¬
tiſchen Ideen, Vaterland und Religion, nach ſeiner
Weiſe umpraͤgte. Wie ihm die Poeſie in einer mecha¬
niſchen Fertigkeit, Sylben zu ſtechen, beſtand, ſo
ſchrumpfte dieſem engherzigen Mann auch das Vater¬
land in den idylliſchen Familienkreis zuſammen, und
die Religion in eine ſchwarzgalligte altproteſtantiſche
Polemik.

Der dritten und letzten Entwicklung des antiken
Geſchmacks verdankt die deutſche Poeſie ausnehmend
viel. Man drang endlich in den Geiſt des claſſiſchen
Alterthums ein, und bildete daran den eignen Geiſt.
Man bemuͤhte ſich die plaſtiſche Klarheit, die natuͤr¬
liche Grazie und die Feinheit der Griechen auch auf
die deutſche Poeſie uͤberzutragen, dieſe darnach zu
veredeln und zu verfeinern, ohne ihre Eigenthuͤm¬
lichkeit aufzuopfern. Eine Wechſelwirkung, ein wech¬
ſelſeitiger Unterricht der Voͤlker iſt der Zweck ihres
Verkehrs, das Reſultat aller hiſtoriſchen Erinnerun¬
gen. Wenn jedem etwas ganz Eigenthuͤmliches in¬
wohnt, das kein andres nachahmen kann, ſo bildet
doch auch jedes etwas Reinmenſchliches aus, das je¬
des andre ſich aneignen kann. Unter allen Voͤlkern
des Alterthums aber haben die Griechen den unbe¬
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[83/0093] Wechſelbaͤlge wieder zum Vorſchein gekommen. Alle ſind nun kleine Voſſe geworden, alle gehn in Steif¬ leinen einer wie der andre uniformirt. Voß war uͤbrigens ſo ſehr in jeder Hinſicht eine Karrikatur Klopſtock's, daß er auch deſſen beide poe¬ tiſchen Ideen, Vaterland und Religion, nach ſeiner Weiſe umpraͤgte. Wie ihm die Poeſie in einer mecha¬ niſchen Fertigkeit, Sylben zu ſtechen, beſtand, ſo ſchrumpfte dieſem engherzigen Mann auch das Vater¬ land in den idylliſchen Familienkreis zuſammen, und die Religion in eine ſchwarzgalligte altproteſtantiſche Polemik. Der dritten und letzten Entwicklung des antiken Geſchmacks verdankt die deutſche Poeſie ausnehmend viel. Man drang endlich in den Geiſt des claſſiſchen Alterthums ein, und bildete daran den eignen Geiſt. Man bemuͤhte ſich die plaſtiſche Klarheit, die natuͤr¬ liche Grazie und die Feinheit der Griechen auch auf die deutſche Poeſie uͤberzutragen, dieſe darnach zu veredeln und zu verfeinern, ohne ihre Eigenthuͤm¬ lichkeit aufzuopfern. Eine Wechſelwirkung, ein wech¬ ſelſeitiger Unterricht der Voͤlker iſt der Zweck ihres Verkehrs, das Reſultat aller hiſtoriſchen Erinnerun¬ gen. Wenn jedem etwas ganz Eigenthuͤmliches in¬ wohnt, das kein andres nachahmen kann, ſo bildet doch auch jedes etwas Reinmenſchliches aus, das je¬ des andre ſich aneignen kann. Unter allen Voͤlkern des Alterthums aber haben die Griechen den unbe¬ ſtrittnen Ruhm der humanſten Bildung. Abgeſehn von

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/93>, abgerufen am 27.11.2024.