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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Die sterbende Meduse.
Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten,
Belauert Perseus bang in seinem Schild
Der schlummernden Meduse Spiegelbild,
Das süße Haupt mit müden Schlangenflechten.
Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde
Des jungen Wuchses athmende Geberde --
"Raub' ich das arge Haupt mit raschem Hiebe,
Verderblich der Verderberin genaht?
Wenn nur die blonde Wimper schlummernd bliebe!
Der Blick versteint! Gefährlich ist die That.
Die Mörderin! Sie schließt vielleicht aus List
Die wachen Augen! Sie die grausam ist!
Durch weiße Lider schimmert blaues Licht
Und -- zischte dort der Kopf der Natter nicht?
Medusen träumt daß einen Kranz sie winde,
Der Menschen schöner Liebling der sie war,
Bevor die Stirn der Göttin Angebinde
Verschattet ihr mit wirrem Schlangenhaar.
Mit den Gespielen glaubt sie noch zu wandern
Und spendet ihnen lockenschüttelnd Grüße,
In blüh'ndem Reigen regt sie mit den Andern
Die freudehellen, die beschwingten Füße,
Ihr Antlitz hat vergessen, daß es tödte,
Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge
Des Traums. Es lauscht dem Hauch der Hirtenflöte,
Der weich melodisch zieht durch seine Züge.
Die ſterbende Meduſe.
Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten,
Belauert Perſeus bang in ſeinem Schild
Der ſchlummernden Meduſe Spiegelbild,
Das ſüße Haupt mit müden Schlangenflechten.
Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde
Des jungen Wuchſes athmende Geberde —
„Raub' ich das arge Haupt mit raſchem Hiebe,
Verderblich der Verderberin genaht?
Wenn nur die blonde Wimper ſchlummernd bliebe!
Der Blick verſteint! Gefährlich iſt die That.
Die Mörderin! Sie ſchließt vielleicht aus Liſt
Die wachen Augen! Sie die grauſam iſt!
Durch weiße Lider ſchimmert blaues Licht
Und — ziſchte dort der Kopf der Natter nicht?
Meduſen träumt daß einen Kranz ſie winde,
Der Menſchen ſchöner Liebling der ſie war,
Bevor die Stirn der Göttin Angebinde
Verſchattet ihr mit wirrem Schlangenhaar.
Mit den Geſpielen glaubt ſie noch zu wandern
Und ſpendet ihnen lockenſchüttelnd Grüße,
In blüh'ndem Reigen regt ſie mit den Andern
Die freudehellen, die beſchwingten Füße,
Ihr Antlitz hat vergeſſen, daß es tödte,
Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge
Des Traums. Es lauſcht dem Hauch der Hirtenflöte,
Der weich melodiſch zieht durch ſeine Züge.
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[188/0202] Die ſterbende Meduſe. Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten, Belauert Perſeus bang in ſeinem Schild Der ſchlummernden Meduſe Spiegelbild, Das ſüße Haupt mit müden Schlangenflechten. Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der Erde Des jungen Wuchſes athmende Geberde — „Raub' ich das arge Haupt mit raſchem Hiebe, Verderblich der Verderberin genaht? Wenn nur die blonde Wimper ſchlummernd bliebe! Der Blick verſteint! Gefährlich iſt die That. Die Mörderin! Sie ſchließt vielleicht aus Liſt Die wachen Augen! Sie die grauſam iſt! Durch weiße Lider ſchimmert blaues Licht Und — ziſchte dort der Kopf der Natter nicht? Meduſen träumt daß einen Kranz ſie winde, Der Menſchen ſchöner Liebling der ſie war, Bevor die Stirn der Göttin Angebinde Verſchattet ihr mit wirrem Schlangenhaar. Mit den Geſpielen glaubt ſie noch zu wandern Und ſpendet ihnen lockenſchüttelnd Grüße, In blüh'ndem Reigen regt ſie mit den Andern Die freudehellen, die beſchwingten Füße, Ihr Antlitz hat vergeſſen, daß es tödte, Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge Lüge Des Traums. Es lauſcht dem Hauch der Hirtenflöte, Der weich melodiſch zieht durch ſeine Züge.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/202>, abgerufen am 24.11.2024.