Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882."Wie blöde Falter um die Flamme, So flattern sie am Kreuzesstamme!" Es saust. Steilnieder zu der Bucht Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht. Das Kreuz, mit Glut und brünst'ger Hast Umfängt's ein Mönch und hält's umfaßt: "Hörst, König, Du der Heiden Spott? Vernichte sie, verhöhnter Gott! In heller Rüstung komm gefahren Mit Deines Vaters Engelschaaren! Lebst Du, regierst Du, Christe, nicht?" Kein Engelschwert erblitzt im Licht. Die Luft verfinstert Pfeilgesaus -- "Komm!" schreit der Mönch und athmet aus. Des Himmels innig tiefer Schein Umfaßt ein menschenleer Gestein. Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerstört, Dies Reich hat nicht dem Christ gehört. „Wie blöde Falter um die Flamme, So flattern ſie am Kreuzesſtamme!“ Es ſauſt. Steilnieder zu der Bucht Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht. Das Kreuz, mit Glut und brünſt'ger Haſt Umfängt's ein Mönch und hält's umfaßt: „Hörſt, König, Du der Heiden Spott? Vernichte ſie, verhöhnter Gott! In heller Rüſtung komm gefahren Mit Deines Vaters Engelſchaaren! Lebſt Du, regierſt Du, Chriſte, nicht?“ Kein Engelſchwert erblitzt im Licht. Die Luft verfinſtert Pfeilgeſaus — „Komm!“ ſchreit der Mönch und athmet aus. Des Himmels innig tiefer Schein Umfaßt ein menſchenleer Geſtein. Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerſtört, Dies Reich hat nicht dem Chriſt gehört. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0242" n="228"/> <lg n="5"> <l>„Wie blöde Falter um die Flamme,</l><lb/> <l>So flattern ſie am Kreuzesſtamme!“</l><lb/> <l>Es ſauſt. Steilnieder zu der Bucht</l><lb/> <l>Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht.</l><lb/> <l>Das Kreuz, mit Glut und brünſt'ger Haſt</l><lb/> <l>Umfängt's ein Mönch und hält's umfaßt:</l><lb/> <l>„Hörſt, König, Du der Heiden Spott?</l><lb/> <l>Vernichte ſie, verhöhnter Gott!</l><lb/> <l>In heller Rüſtung komm gefahren</l><lb/> <l>Mit Deines Vaters Engelſchaaren!</l><lb/> <l>Lebſt Du, regierſt Du, Chriſte, nicht?“</l><lb/> <l>Kein Engelſchwert erblitzt im Licht.</l><lb/> <l>Die Luft verfinſtert Pfeilgeſaus —</l><lb/> <l>„Komm!“ ſchreit der Mönch und athmet aus.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Des Himmels innig tiefer Schein</l><lb/> <l>Umfaßt ein menſchenleer Geſtein.</l><lb/> <l>Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerſtört,</l><lb/> <l>Dies Reich hat nicht dem Chriſt gehört.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [228/0242]
„Wie blöde Falter um die Flamme,
So flattern ſie am Kreuzesſtamme!“
Es ſauſt. Steilnieder zu der Bucht
Stürzt Roß und Reiter in die Schlucht.
Das Kreuz, mit Glut und brünſt'ger Haſt
Umfängt's ein Mönch und hält's umfaßt:
„Hörſt, König, Du der Heiden Spott?
Vernichte ſie, verhöhnter Gott!
In heller Rüſtung komm gefahren
Mit Deines Vaters Engelſchaaren!
Lebſt Du, regierſt Du, Chriſte, nicht?“
Kein Engelſchwert erblitzt im Licht.
Die Luft verfinſtert Pfeilgeſaus —
„Komm!“ ſchreit der Mönch und athmet aus.
Des Himmels innig tiefer Schein
Umfaßt ein menſchenleer Geſtein.
Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerſtört,
Dies Reich hat nicht dem Chriſt gehört.
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/242>, abgerufen am 16.07.2024. |